Jahrgang 2 Nr. 0 vom 30.11.2001
 

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Beratung der EU-Türkei Parlamentarierkommission

Harmonisch ist das Treffen nicht verlaufen. Die Abschlußpressekonferenz wurde gar durch einen öffentlichen Wortwechsel des türkischen und des EU-Delegationsführer abgeschlossen. In der öffentlichen Wahrnehmung war es vor allem der Zypernkonflikt, der für Zündstoff sorgte. Neben Zypern sind jedoch eine Reihe weiterer Konfliktpunkte zwischen EU und Türkei zur Sprache gekommen.

Die EU-Parlamentarierdelegation wurde angeführt von Daniel Cohn Bendit. Die türkische Delegation durch den MHP-Abgeordneten Kürsat Eser.

Problempanorama aus der Sicht Cohn Bendits

(nach einem Beitrag von Bianet vom 26.11.01)

Zwar wurde seit 1984 die Todesstrafe in der Türkei nicht mehr vollzogen und die Zahl der Straftatbestände, die mit der Todesstrafe belegt werden können, durch die Verfassungsänderung vom vergangenen Oktober verringert. Dennoch ist die Tatsache, daß nach wie vor wegen Terrordelikten die Todesstrafe verhängt werden kann, ein Verstoß gegen das 6. Protokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention und darum nicht hinnehmbar. Im Hinblick auf die Dauer von Festnahmen ohne Haftbefehl sowie Folter wird die vollzogene Verfassungsänderung positiv bewertet. Bendit mahnt zugleich jedoch auch an, daß eine entsprechende Praxis verwirklicht werden müsse. Dabei reiche ein einfacher Erlaß des Innenministeriums nicht aus, sondern es müsse eine systematische Verfolgung von Folterdelikten und eine Bestrafung der Täter erfolgen. Solche Maßnahmen müßten sich vor allem auf den Südosten der Türkei konzentrieren, wo Folter mehr oder weniger systematisch erfolge.

Der andauernde Hungerstreik in türksichen Gefängnissen wird als ein "tragisches Ereignis, das dem Jahr 2001 seinen Stempel aufgedrückt hat" charakterisiert. Die Verbesserung der Haftbedingungen im Frühjahr diesen Jahres hätten leider nicht zur Beendigung des Hungerstreiks geführt. Gleichwohl müsse versucht werden, zu einer Einigung zu kommen, indem unter Beachtung von Gesundheits- und Sicherheitsgesichtspunkten ein soziales Zusammenleben der Gefangenen geschützt wird.

Im Bereich der Meinungsfreiheit müssen weitere Anstrengungen unternommen werden. So müssen insbesondere der Paragraph 312 Türkisches Strafgesetzbuch sowie die Paragraphen 7und 8 des Antiterrorgesetzes außer Kraft gesetzt werden. Im Zuge der Anpassungsgesetzgebung nach der Verfassungsänderung vom Oktober, die eine Reihe von bisher bestehenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit aufhob, muß insbesondere der Straftatbestand "Spaltung der Einheit des Staates" klargestellt werden.

Die Neufassung der Vereinigungsfreiheit in der Verfassungsreform sei ermutigend, jedoch seien auch hier umgehend die nötigen gesetzlichen Anpassungen zu erlassen.

Im Bereich der Sicherstellung einer unabhängigen und gerechten Rechtsprechung wird zunächst angesprochen, daß die vollzogene Reform bei der Ernennung von Richtern zu den Staatssicherheitsgerichten zwar einen Fortschritt darstelle, jedoch unzureichend sei. Außerdem sprach Cohn Bendit die Verurteilung von vier Abgeordneten der DEP im Jahr 1994 an, die vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof als unzulässig beurteilt wurde. Da dieses Urteil auch für die Türkei bindend sei, müsse der Strafvollzug unverzüglich ausgesetzt werden.

Im Bereich der Minderheiten und die Kurden betreffenden Fragen sei die Fortsetzung des Ausnahmezustandes in den Südostregionen der Türkei besorgniserregend. Der Frage der Rückkehrförderung der Menschen in ihre Heimatregionen müsse Vorrang eingeräumt werden. In diesem Jahr sei im Hinblick auf die Zuerkennung kultureller Rechte für die kurdische Bevölkerung kein Fortschritt erzielt worden.

Durch die Verurteilung der Türkei durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen Zypern wird nochmals deutlich vor Augen geführt, wie dringend sich die Türkei um eine Lösung des Konflikts bemühen müsse. Wenn sich die Türkei nicht an der Konfliktlösung beteilige, sei eine EU-Mitgliedschaft nicht denkbar.

Der hohe Stellenwert des Militärs in der türkischen Politik und in anderen Bereichen stellt eine Hypothek für die Zukunft der Türkei innerhalb der EU dar. Zwar seien gesetzliche und verfassungsrechtliche Veränderungen erfolgt, jedoch zeige die Geschichte der Türkei bis heute, daß das Miltär starken Einfluß ausübe.

Die Zypernkontroverse bei der Abschlußpressekonferenz der gemeinsamen Parlamentarierkommission

(Quelle: Aksam vom 28.11.01)

Cohn Bendit begann seinen Beitrag mit den Worten, daß er zum Thema Zypern offen reden wolle. Nord- und Südzypern müßten autonom bleiben, erklärte Bendit und fuhr fort:

"Das ist der Schlüssel für den Beitritt der Türkei zur EU. Die Eintrittspforte der Türkei zur EU ist Zypern. Wenn die Türkei und Griechenland die Erweiterung der EU blockieren, wird dies zu einer bedeutenden Krise führen. Laßt uns auf Zypern einen föderativen Staat gründen. Laßt die Türkei und Griechenland Garantiemächte sein und als große Garantiemacht die EU auftreten. Autonomie, Politik und Verteidigung aller auf der Insel lebenden Bürger sollen durch die EU garantiert werden. Auf diese Weise wird Zypern als Ganzes in die EU integriert. Wenn Sie den Weg Zyperns in die EU öffnen, öffnen Sie zugleich den Weg der Türkei in die EU. Das ist in den kommenden Tagen eine große Chance für die Vollmitgliedschaft der Türkei. Lassen Sie diese Chance nicht verstreichen. Treffen Sie nicht aus falschem Nationalismus eine falsche Entscheidung."

(Quelle: Milliyet vom 28.11.01)

In Reaktion auf eine Frage zur Lösung des Zypernproblems sagte Cohn Bendit, daß es aus der Sicht der EU wie auch der UN nur ein Zypern gäbe.

Zur Diskussion über die Integration des Nord- oder des Südteils erklärte Cohn Bendit, daß die Insel als Einheit aufgefaßt werde.

"Wir wolle die Insel als Ganzes integrieren. Wenn es auf Zypern ein besetztes Gebiet gibt, wird, praktisch gesehen, Zypern nicht in die EU eintreten," führte Cohn Bendit aus und erklärte weiter: "Das ein Teil Zyperns besetzt ist, ruft bei den Gesprächen Schwierigkeiten hervor. Ich will nicht lügen. Dies wird eine Frage des Jahres 2004 sein. In Helsinki wurde ein Beschluß gefaßt. Es wird geprüft werden, ob beide Parteien sich angemessen bemüht haben oder nicht. Der Europäische Rat kann sagen, daß "die griechische Seite sich nicht ausreichend bemüht hat". Wenn beide Parteien sich zu den nötigen Bemühungen bereitgefunden haben, wird Zypern aufgenommen. Diese Möglichkeit besteht. Versuchen Sie nicht, davor die Augen zu verschließen."

Daraufhin ergriff der türkische Delegationsführer Kürset Eser das Wort und erklärte: "Sehr geehrter Co-Präsident, wenn Sie nicht in aller Tiefe auf die Gründe der Intervention von 1974 eingehen, können Sie natürlich erklären, daß dort 'Menschen in einem Besetzungszustand' leben. Aber vergessen Sie nicht, seit 1974 ist dort kein Blut mehr geflossen. Es herrscht Friede. Als EU ihre Entscheidung treffend, können Sie nicht die bis heute geschlossenen Verträge außer Acht lassen. In diesem Sinne wird die Türkei von all ihren Rechten Gebrauch machen."

Cohn Bendit ging auf Esers Beitrag ein und erklärte, daß er sowohl bei seinen Gesprächen in der Türkei wie auch in Griechenland die gleiche Überzeugung vertreten habeund daß die griechischen Generals Anteil an den auf Zypern verübten Massakern hatten. Aber: "Wir sind nicht mehr im Jahr 1974. In Griechenland sind nicht mehr die faschistischen Generals, sondern es gibt ein demokratisches Griechenland. Zweitens wollen wir, daß eine Friedensmacht der EU sowohl die Bürger im Norden als auch im Süden Zyperns schützt. Indem die EU alles in ihrer Macht stehende unternimmt, werden weder in Nord- noch in Südzypern die Menschen zu Schaden kommen."

Daraufhin ergriff wieder Eser das Wort und erklärte seine Beunruhigung darüber, daß die Beziehungen der EU mit der Türkei und die Zypernfrage miteinander in Beziehung gesetzt würden. Er erklärte weiter, daß die EU, wenn sie angesichts zweier Partner, die sich nicht verständigen könnten, erkläre, 'wie auch immer - wir wollen den griechischen Teil Zyperns aufnehmen - soll die Türkei dies lösen', die Gespräche unter der Schirmherrschaft der UN behindere. Dies fördere nicht die Verständigung, sondern den Konflikt.

Damit beendete Eser die Pressekonferenz.

 

 

 

Problempanorama aus der Sicht Cohn Bendits

 

Die Zypernkontroverse bei der Abschlußpressekonferenz der gemeinsamen Parlamentarierkommission

 

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