Jahrgang 4 Nr. 45 vom 14.11.2006
 

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Eklat in Dortmund: Richter entpflichtet türkischstämmige Schöffin wegen Kopftuchtragens

Von Claus Stille

Hat der Aufruf der grünen Bundestagsabgeordneten Ekin Deligöz, "Kommt im Heute an und legt das Kopftuch ab" (siehe dazu auch Istanbul Post vom 31.10.2006) etwa doch noch verspätet gezündet und beginnt nun erste - allerdings unerwartete -  Früchte zu tragen?
Womöglich. Der Haken dabei ist nur - wenn es sich denn tatsächlich so verhielte: Der Aufruf tat das ganz offenbar nicht - vermaledeit! - bei den angesprochenen kopftuchtragenden Frauen moslemischen Glaubens. Sondern, Sie werden sich wundern, liebe Leserin, lieber Leser, er fruchtete - vermutlich - ausgerechnet bei einem Dortmunder Richter!

Vermutungen sind das eine. Fakt ist jedenfalls das: Wie die Westfälische Rundschau vom 8.11.2006 berichtete, betrat die 29-Jährige Schöffin Güler Tirlak am 7. November
um 9.15 Uhr das  Dortmunder Landgericht.
"9.30 Uhr", schreibt die Zeitung, "stand sie ratlos wieder vor den Pforten der Justiz."
"Der Richter habe sie 'zack-zack' vor die Wahl gestellt: Kopftuch ab oder 'raus aus dem Gerichsgebäude."

Wie bekannt wurde, hat der Vorsitzende Richter der VIII. Strafkammer, Ulf Pennig, seine türkischstämmige Schöffin "entpflichtet".
Seine Entscheidung begründete der Richter mit der Weigerung der Schöffin, ihr Kopftuch abzulegen.
Dies verstoße seiner Meinung nach gegen das Neutralitätsgebot, welches auch für ehrenamtliche Richter gelte.
Güler Tirlak trüge mit ihrem Kopftuch ihre "Weltanschauung" (?! - welche das auch immer sein soll; gemeint ist da wohl schon eher: Religion) offen zur Schau.

Der Zeitung gegenüber sagte die Betroffene: "Das Kopftuch ist wie ein Körperteil von mir, wie ein Schutz, ohne es würde ich mich nackt fühlen."
Eignen Angaben zufolge trägt die in Deutschland geborene gelernte Kinderpflegerin das Kopftuch bereits seit ihrem achten Lebensjahr. Es gehöre für sie "als überzeugte Muslima" einfach zu ihr.
Frau Tirlak versteht nun die Welt nicht mehr. Schließlich ist sie bereits seit 2005 ehrenamtliche Richterin. Und bei einem anderen Prozeß vor dem gleichen Gericht habe damals die Vorsitzende Richterin nichts gegen ihr Kopftuch eingewendet.

Offenbar ist es für Güler Tirlak nicht das erste Mal, dass sie in Deutschland mit Klischees und Vorurteilen konfrontiert wird.
Deshalb ist sie sicher auch der Meinung das, "Das Verhalten des Richters eine Diskriminierung meiner Religion" ist.

Eine Sprecherin des Dortmunder Landesgerichts wollte die Entscheidung des Richters der WR gegenüber nicht kommentieren, weil sie im Rahmen der gesetzlichen richterlichen Unabhängigkeit gefallen sei.
Allerdings gibt es in Deutschland bisher keine höchstrichterlichen Entscheidungen für bzw. gegen das Tragen von Kopftüchern bei Gericht.
Andererseits scheint es so zu sein, dass es Juristen gibt, welche sich bei Entscheidungen gegen Kopftücher durchaus mit dem Recht in Einklang wähnen.

Untermauern tun sie das, scheint's, mit Verweisen darauf, dass etwa auch "Mönchskutten und eventuell aus modischen Gründen getragene Kappen bei Schöffen nicht zulässig".
seien.
Es macht, der in diesem Zusammenhang hier freilich besonderes interessante, weil im vorliegendem Fall scheinbar wie die Faust aufs Auge passende Hinweis die Runde, dass ohnedies  in türkischen Gerichtssälen Prozessbeteiligten das Tragen von Kopftüchern untersagt sei.

Letzteres hört sich da fast, pardon, schon wie ein Totschlagsargument an, auf das es schwer fällt, noch etwas zu erwidern.
Dennoch: Obwohl in Dortmund zahlreiche Menschen mit türkischen Wurzeln leben, gehört die Stadt immer noch zu Deutschland und nicht zur Türkei.
Die dort üblichen Kopftuchverbote mögen im historischen Kontext gesehen, durchaus ihre Berechtigung haben, oder eben auch nicht.
Wir wollen das an dieser Stelle nicht diskutieren oder werten.
Genau, wie die unumstößliche Tatsache, dass ein Vorsitzender Richter in Deutschland kraft seiner Sitzungsgewalt selbsverständlich alles verbieten darf, was seiner Überzeugung nach mit der Neutralität und der Würde des Gerichts nicht vereinbar ist. 

Doch könnte einem mit Verlaub die Frage in den Sinn kommen, ob der Eklat am Dortmunder Landgericht nun wirklich unbedingt und unausweichlich notwendig gewesen ist?
Hätte nicht gerade eine türkischstämmige Schöffin, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich bei Gericht tätig ist, einmal ein positives Beispiel dafür sein können, dass auch kopftuchtragende Frauen, moslemischen Glaubens, nicht zwingend immer nur das Klischee der unterdrückten, vielleicht überdies auch noch das von der zwangsverheirateten Frau erfüllen müssen?
Güler Tirlak aber war dieses Mal noch nicht die Frau, der  vergönnt war, einmal  als lebendiger Beweis für eine gelungene Integration der Kopftuchträgerinnen zu dienen, um auf diese Weise in die Schlagzeilen zu geraten.

Kann Frau mit Kopftuch also kein Recht sprechen? Fest steht: Für ehrenamtliche Richter gilt, sie haben - wie Berufsrichter auch - ohne Ansehen der Person zu urteilen und sich dem Gesetz zu unterwerfen.
Was also ist das Problem?

Für Frau Tirlak jedenfalls ist der Dortmunder Eklat kein Grund aufzugeben. Der WR sagte sie: "Ich bin eine Perfektionistin"
Jetzt will sie im Internet recherchieren, ob es für sie eine rechtliche Handhabe gegen die Entscheidung des Richters gibt.
Sie ist drauf und dran, dafür auch einen Rechtsanwalt zu engagieren. Denn: sie möchte nämlich anderen Frauen mit Kopftuch ähnliche Konfliktsituationen ersparen.

Nun hat es gar den Anschein, dass auch der Richterbund von Nordrhein-Westfalen Interesse an einer rechtlichen Überprüfung des vorliegenden Problems hat, und deshalb an einen Gang von Güler Tirlak vor Gericht durchaus interessiert ist. So vermeldete es zumindest der WDR am Mittwoch.
Dass verspricht interessant  zu werden, weil nämlich dann passieren kann, dass die Ablehnung des Kopftuches im Falle der Dortmunder Schöffin, für die deutsche Justiz insgesamt am Ende durchaus nach hinten losgehen könnte.
Schließlich hängt in so manchem deutschen Gerichtssaal hinter dem hohen Gericht ein christliches Kreuz an der Wand.
Wie verhält es sich eigentlich dand dabei mit dem - wie im Falle des Kopftuches - vom Dortmunder Richter bemühten Neutralitätsgebot bei Gericht?
Das ist nur eine Frage. Mehr nicht.
Sie wird vor einem Gericht zu klären sein.

Hat Ekin Deligöz nun Richter Pennig mit ihrem Kopftuch-ab-Aufruf beeinflusst?.
Wir wissen es nicht. Und wollen das auch nicht behaupten. Das wäre unter Umständen vielleicht justitiabel.
Aber einmal angenommen, es wäre so, zeigte das die ganze naive Unüberlegtheit, die dem bestimmt ursprünglich gut gemeinten Aufruf der Grünen-Politikerin von Anfang an innewohnte.
Weshalb er vielleicht ironischerweise unterdrückten kopftuchtragenden Frauen vielleicht am allerwenigsten hilft und Frauen, welche sich bewußt für eine Bedeckung des Kopfes entschieden haben, womöglich sogar schadet.

 

 

 

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