Jahrgang 4 Nr. 06 vom 20.02.2007
 

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Der Gewerkschaftsbund DISK wird 40

Am 26. Februar veranstaltet der linke Gewerkschaftsbund DISK ein "Treffen der Freunde". In seiner 40-jährigen Geschichte hat DISK große Arbeitskämpfe geführt, aber auch viele Opfer zu beklagen. Und trotz einer schrittweisen Lockerung der gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung nach dem Militärputsch von 1980 sind die Arbeitsmöglichkeiten für Gewerkschaften auch heute noch stark eingeschränkt.

Einer von vier Gewerkschaftsbünden

Aus deutscher Sicht wirkt die Situation in der Türkei befremdlich: statt eines Gewerkschaftsdachverbandes gibt es drei und eine Konföderation von Gewerkschaften im öffentlichen Dienst. Nach Angaben des Arbeitsministeriums verfügt die Türkei über 114 Einzelgewerkschaften. Nicht zuletzt durch die Profile der Dachverbände haben sich in den meisten Sektoren parallele Gewerkschaften gebildet, die in Konkurrenz zueinander stehen.

Nach eigenen Angaben organisieren die drei Gewerkschaftsbünde 2,85 Mio. Beschäftigte. Die Statistik des Ministeriums für Arbeit und Soziales erfaßt 5 Mio. Arbeiter und gibt die Zahl der organisierten Beschäftigten mit rund 3 Mio. an, was einem Organisationsgrad von 58,71 % entspricht. Dieser Statistik zufolge ist der Organisationsgrad in den vergangenen zehn Jahren um rund 9 Prozentpunkte zurückgegangen, auch wenn die Mitgliederzahl der Gewerkschaften im gleichen Zeitraum um rund 300.000 zugenommen hat.

Die Gewerkschaftsbünde Türk Is, DISK und Hak Is verstehen sich als Richtungsgewerkschaften. Zwar verfügen sie über keine unmittelbare parteipolitische Bindung, doch sind sie sowohl in ihren gesellschaftspolitsichen Stellungnahmen wie auch bei ihren gewerkschaftlichen Entscheidungen deutlich erkennbar profiliert - so beispielsweise DISK als "linker Gewerkschaftsbund".

Ohne an dieser Stelle ausführlicher auf die Geschichte der türkischen Gewerkschaften eingehen zu wollen (zur weitergehenden Lektüre sei auf die Links verwiesen), geht die Gründung von DISK auf zumindest zwei Entwicklungen zurück: Der Gründung der kommunistischen Türk Isci Parti (TIP) 1961 sowie auf die sich verändernden politischen Kräfteverhältnisse nach dem Militärputsch von 1960. Politisch unterstützt von der TIP war die Gründung von DISK eine Reaktion auf einen Streit zwischen Mitgliedsgewerkschaften von Türk Is über die richtige Strategie. Dabei wurde Türk Is vorgeworfen, Druck zur Beendigung von Streiks ausgeübt zu haben. In aktuellen Beiträgen, die angesichts des Gewerkschaftsjubiläums erschienen, wird insbesondere auf den Streik im Karadon Bergwerk 1965 sowie den Streik bei Pasabahce 1966 verwiesen. In letzterem Fall unterzeichnete Türk Is ohne Kenntnis der betroffenen Gewerkschaft Kristal Is einen Tarifvertrag, um den Streik zu beenden.

Einschränkungen gewerkschaftlicher Rechte

Legendär sind die Aktionen vom 15.-16. Juni 1970, wo unter Führung von DISK Massen von Arbeitern gegen die Einschränkung von Gewerkschaftsrechten auf die Straße gingen. Bei massiven Polizeieinsätzen wurden drei Arbeiter und ein Polizist getötet, 162 Arbeiter festgenommen. Doch die Gesetzesbestimmung, gegen die die Aktion sich richtete, wurde vom Verfassungsgericht aufgehoben - was als wichtiger Erfolg bei der Verteidigung von Gewerkschaftsrechten bewertet wurde und DISK eine beträchtliche Zahl neuer Mitglieder eintrug.

In der zweite Hälfte der 1970-er Jahre wurden DISK-Mitglieder Zielscheibe von Attentaten. Besonders blutig war der Angriff auf die 1. Mai Kundgebung auf dem Istanbuler Taksim Platz, bei dem 36 Teilnehmer getötet wurden. Am 22. Juli 1980 wurde der DISK-Vorsitzende Kemal Türkler vor seinem Haus erschossen. Es folgte der Putsch vom 12. September 1980 mit dem Verbot von DISK und einem Schauprozess. Angeklagt wurden 1.477 DISK-Mitglieder, gegen 78 von ihnen stellte die militärische Staatsanwaltschaft Antrag auf Todesstrafe. 1991 ging der Prozess mit einem Freispruch durch den militärischen Kassationsgerichtshof zu ende. Nach einem außerordentlichen Kongress im Dezember 1991 konnte DISK seine Arbeit wieder aufnehmen...

Die Beschränkungen gewerkschaftlicher Rechte, die mit dem Putsch von 1980 vorgenommen wurden, sind bisher nur teilweise aufgehoben. Internationale Organisationen und auch die EU haben die Türkei wiederholt aufgefordert, ihr Recht zu Koalitionsfreiheit und Tarifverträgen in Übereinstimmung mit internationalen (ILO-)Standards zu bringen.

Beanstandet werden in diesem Zusammenhang insbesondere die Einschränkung zur Tariffähigkeit der Gewerkschaften, sektorale Einschränkungen der Organisationsfreiheit sowie die Prozedur bei der Aufnahme und Entlassung von Mitgliedern.

Politik und Gewerkschaft - Treffen der Freunde

In den vergangenen zwei Jahren hat sich DISK sehr aktiv in die Diskussion über Sozialdemokratie in der Türkei eingebracht. Angesichts der weitverbreiteten Skepsis in Gewerkschaftskreisen gegenüber der EU fiel auf, dass DISK beginnt, sich aktiv in den Prozess einzubringen und das Augenmerk insbesondere auf die Bereiche der Rechtsanpassung bei Arbeit und Soziales zu lenken.

Mit einer offiziellen Arbeitslosenrate von ca. 9 % und einer inoffiziellen von 20 % sowie einiger Millionen Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, die dort keine Zukunft haben, ist die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften sehr ungünstig. Angesichts stark steigender ausländischer Investitionen in der Türkei besteht die Gefahr, dass die schlechteren Sozialstandards in der Türkei zu einem "Standortfaktor" werden, d.h. ein Anreiz für europäische Firmen, sich einer Reihe sozialer Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte durch Verlagerung von Produktion, zunehmend aber auch Dienstleistungseinheiten in die Türkei zu entledigen.

Wieviel Priorität in den Beitrittsverhandlungen Fragen der Koalitionsfreiheit und Sozialstandards gegeben wird, hängt voraussichtlich auch davon ab, ob es gelingt, die internationale Zusammenarbeit von Gewerkschaften auszubauen. Mit dem im vergangenen Jahr mit EU-Mitteln geförderten Projekt zur Förderung des sozialen Dialogs in der Türkei ist hierzu ein weiterer institutioneller Zusammenhang geschaffen worden.

Wenn sich am kommenden Montag Freunde treffen, um 40 Jahre DISK zu feiern, so werden sie wohl auch der Opfer gedenken, die dies gefordert hat. Sie werden wohl auch zu wichtigen politischen Fragen Stellung nehmen, so wie DISK dies in der EMEK Plattform in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der Reform des öffentlichen Dienstes, des Gesundheitswesens und der Privatisierungspolitik immer wieder getan hat. DISK ist eine wichtige Stimme, wenn es um soziale Gerechtigkeit in der Türkei geht. Ist der Gewerkschaftsbund mit der Bandbreite seiner Mitgliedsgewerkschaften allein für sich bereits ein Forum, so trägt DISK zugleich durch seine Beteiligung an Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zur demokratischen Öffentlichkeit bei.

Überblick zu Gewerkschaften in der Türkei und ihrer Geschichte: Oya Bayar - Gewerkschaften in der Türkei (Friedrich Ebert Stiftung 1999)

Überblick über Arbeitskämpfe in der Türkei bei Labour Net (deutsch)

Rede von Vladimir Spidla: Soziale Aspekte der Vorbereitung der Türkei für einen EU-Beitritt (März 2006)

Ruhr Uni Bochum: Kooperationsprojekt "Förderung des sozialen Dialog in der Türkei" sowie eine gemeinsame Veröffentlichung mit dem DGB-Bildungswerk "Länderprofil: Türkei"

 

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