Jahrgang 4 Nr. 8 vom 21.02.2008
 

Jetzt kostenlos!



 

Assimilation und Universitäten

Gedanken zu einigen Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten bei seinem Besuch in Deutschland

Hans-Peter Laqueur

Die Türkei ist in Deutschland in aller Munde. Die Äusserungen von Erdoğan haben Diskussionen ausgelöst, die hohe Wellen schlagen, und zwar nicht nur an Stammtischen, sondern auch bei Parteipolitikern. Im Einzelnen geht es vor allem um zwei  Aussagen:  Zum Einen um die am 10. Februar in Köln gemachte, daß Türken in Deutschland sich nicht „assimilieren“ lassen sollten und daß „Assimilation ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sei, zum Anderen um seine kurz davor erhobene Forderung nach türkischen Schulen und Universitäten in Deutschland.

Zur  „Assimilation“: Niemand hierzulande spricht heute von Assimilation (was immer das bedeuten mag). Nach vertanen Jahrzehnten mit dem Slogan „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ geht es endlich um den Versuch einer Integration.
Spricht Ministerpräsident Erdoğan schneller als er denkt? Oder hat er – bzw. sein Redenschreiber sich kundig gemacht darüber, wann und in welchem Zusammenhang dieser Begriff „Assimilation“ in Deutschland bereits einmal eine Rolle gespielt hat? Er bezeichnete eine Tendenz in einem Zeitraum von eineinviertel Jahrhunderten bis 1933, die dazu führte, daß deutsche Juden zunächst ihre Muttersprache aufgaben, dann ihre Namen und schließlich ihre Religion. Jetzt waren sie – so meinten sie - endlich angekommen, waren gleichwertige, anerkannte Mitglieder der deutschen Gesellschaft geworden. Ein verhängnisvoller, ein mörderischer Irrtum, wie die Jahre der NS-Zeit und die Schoa zeigten. – Eine solche Assimilation zu verlangen ist tatsächlich und zweifelsfrei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber es gibt heutzutage keine ernstzunehmende Forderung an Menschen aus der Türkei in Deutschland, ihre Namen „einzudeutschen“, sich taufen zu lassen, etc.. Die einzige – sehr berechtigte – Forderung an sie ist die nach dem Erwerb der deutschen Sprache.

Das führt zum zweiten „Stein des Anstosses“, zu Erdoğans Forderung nach türkischen Gymnasien und Hochschulen in Deutschland:
Eine fundamentale Voraussetzung für eine Integration, für ein gleichberechtigtes Leben in einer anderen Gesellschaft,  ist die Beherrschung der Sprache des Gastlandes. In den 1970er-Jahren ging man davon aus, daß sich dieses Problem mit der zweiten, spätestens der dritten Generation lösen würde. Man konnte damals das Satellitenfernsehen noch nicht erahnen. Es gab jeden Abend ab sechs das „Gastarbeiterradio“, 45 Minuten italienisch, dann griechisch, spanisch, türkisch. Abgesehen von dieser Dreiviertelstunde lief in türkischen Wohnzimmern das deutschsprachige Fernsehprogramm.  Man verstand zwar nicht alles, aber man wurde ständig mit der Sprache der Umwelt beschallt, nahm – nolens volens – etwas davon auf.
Dann kamen die Parabolschüsseln auf die Dächer der Häuser, man konnte sich TRT und die neuen Privatsender aus der Türkei in das heimische Wohnzimmer holen. Ein Ergebnis davon ist, daß die Sprachkompetenz der dritten Generation, die eigentlich annähernd der von Muttersprachlern hätte entsprechen sollen, noch hinter die ihrer Eltern zurückfiel.
In seinen Ausführungen empfahl der türkische Ministerpräsident auch das Erlernen der deutschen Sprache, ein ebenso naheliegender wie weiser Rat, der aber den Sinn seiner Forderung nach türkischen Gymnasien und Hochschulen in Frage stellt:
Ein Bildungsangebot in türkischer Sprache für die Kinder oder Enkel türkischer Migranten  in Deutschland kann keine Lösung sein. Hierzu müßte der konkrete, zeitlich überschaubare Rückkehrwunsch gegeben sein, der in der Mehrzahl der Fälle nicht besteht.  Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Stand Ende 2006) sind von den ca. 1,739 Millionen türkischen Staatsangehörigen in Deutschland nur knapp ein Fünftel (19,9 %) seit weniger als 10 Jahren hier ansässig, über ein Viertel (26,9 %) hingegen bereits seit 30 und mehr Jahren. Mit anderen Worten: vier Fünftel der türkischen Staatsangehörigen leben seit mehr als 10 Jahren in diesem Land. Nimmt man noch die nicht unerhebliche Zahl derjenigen hinzu, die die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, so dürfte der Anteil der langfristig hier Ansässigen noch erheblich höher sein.  - Aber selbst unter den hier eingebürgerten Menschen aus der Türkei gibt es (viel zu) viele, die für den Umgang mit Behörden weiterhin auf die Hilfe eines Dolmetschers angewiesen sind.
Wem würden türkische Gymnasien oder eine türkische Universität in Deutschland nützen?
Befürworter von Erdoğans Forderung hierzulande verweisen auf deutsche Auslandsschulen, insbesondere auf das Alman Lisesi in Istanbul, auf das (seit Jahrzehnten vor sich hindümpelnde) Projekt einer deutschsprachigen Universität in der Türkei sowie auf die existierenden englisch- oder französischsprachigen Schulen und Studiengänge in Deutschland. Der fundamentale Unterschied dieser Bildungsangebote zu den von dem türkischen Ministerpräsidenten vorgeschlagenen (oder geforderten?) Institutionen wird dabei ignoriert:
80 % der Schüler des Alman Lisesi in Istanbul sind türkische Staatsangehörige, für die die deutsche Unterrichtssprache eine Fremdsprache ist. Hier ist die Unterrichts-Fremdsprache nicht nur ein Medium zur Vermittlung von Fachinhalten, sondern auch ein Angebot an die Schüler, eine Sprachkompetenz zu erwerben, die weit über den normalen Fremdsprachenunterricht hinausgeht. – So ist es auch an Universitäten wie z.B. der englisch-sprachigen Boğazici Üniversitesi, so wird es an der deutschen Universität in der Türkei sein (falls sie je realisiert wird), und so ist es an den englischen, französischen oder internationalen Schulen in Deutschland.
Damit nicht vergleichbar sind Herr Erdoğans türkische Gymnasien und Universitäten in Deutschland:
Hier sollen Schüler und Studenten in der Sprache ihrer Eltern und Großeltern unterrichtet werden, und nicht in der Sprache der Gesellschaft, in der sie leben.
Türkische Gymnasien und Universitäten in Deutschland – oder jedem anderen Zuwanderungsland - bedeuten einen weiteren Wegfall von Motivation, die Sprache des Gastlandes zu erlernen. An derartigen Institutionen erworbene Abschlußzeugnisse und Diplome sind im Land, in dem die Absolventen leben, ohne Wert, und ob man in der Türkei auf einen „deutschländischen“ Absolventen mit einem solchen Zertifikat wartet, sei dahingestellt.
Für die türkischen Schulen in Deutschland, wie sie Herr Erdoğan sehen möchte, will er türkische Lehrer in großer Zahl nach Deutschland entsenden. Diese Möglichkeit wird von türkischen Kreisen in Deutschland kritisiert im Hinblick darauf, daß alle türkischen Lehrer im Lande selbst dringend benötigt werden um endlich flächendeckend auch in den dörfliche Regionen Ost- und Südostanatoliens ein ausreichendes schulisches Angebot zu gewährleisten. – Ein anderer Ansatzpunkt zur Kritik an Erdoğans Vorschlag kommt von Kenan Kolat, dem Chef des Dachverbandes Türkische Gemeinde in Deutschland, der sagt: “Die Lehrer sollten aber nicht aus der Türkei kommen, sie kennen die Situation hier nicht.“ Diese Ansicht vertritt auch die Bundeskanzlerin mit einem leider nicht sehr realistischen Optimismus: „Was wir brauchen, sind Türken, die in Deutschland geboren sind und Lehrer werden.“ Wo aber gibt es die?
Es scheint mir so, als hätte der Ministerpräsident „das Thema verfehlt“. Was gebraucht wird, sind nicht türkischsprachige Bildungseinrichtungen für Migrantenkinder im Einwanderungsland, es sind viel mehr herkunftssprachliche Bildungsangebote im Rahmen des Schulsystems. Warum gibt es bis heute nicht allgemein die Möglichkeit, Türkisch als erste, zweite oder dritte Fremdsprache zu wählen? Dies wäre ein Angebot nicht nur für Schüler mit Migrationshintergrund, sondern auch für ihre deutschen Mitschüler. Recep Keskin, der Vorsitzende des Türkisch-europäischen Unternehmerverbandes ATIAD, weist darauf hin, daß ein solches Angebot nicht nur den Türken in Deutschland die Angst vor einer Assimilierung nehmen könnte. Auch „braucht die deutsche Wirtschaft diese Menschen[denen an der Schule solide Kenntnisse des Türkischen im Rahmen eines Fremdsprachenunterrichts vermittelt wurden] dringend, weil wir Milliardenumsätze mit der Türkei haben und viele [deutsche] Unternehmen dort investieren.“
All dies wären Wege zur Integration ebenso wie zum gegenseitigen Verständnis, die „patriotische Shows“, wie die am 12. Februar in Köln erlebte, überflüssig machen könnten – zum Wohle aller Beteiligten! 

 

 

Archiv

Zurück