Jahrgang 2 Nr. 0 vom 9.06.2001
 

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Istanbul in Zitaten

Die Stadt ist gelegen in Thracia am Hellesponto, und ist dem Reich sehr bequem gewesen, denn Europa und Asia ist daselbst nicht weit voneinander gelegen, auch ist Afrika nicht unbequem zu schiffen. Und man schreibt auch, daß die alte Stadt Byzantium von denen zu Karthago gebauet sei. Von diesem zeugen viel Historien, daß sie mit Schiffen sehr wohlgerüstet gewesen seien und ihre Ware sehr weit weg geführt haben. Und meines Bedünkens nach achte ich, daß des Namens Ursprung aus der Sprache der Völker in Phönicia herkomme, welcher Name sich reimt auf eine neue Niederlage, da der Ort zur Wollust bequem ist. Betzonia, das ist ein Wein-haus, und daß dieser Name sich darauf füge, haben die alten Sitten ausgewiesen.

Aus: ,Warhafftige Historia von der Zerstörung der zwo löblichen Stedte Athen und Constantinopel" (1557), von Philipp Melanchthon (1497-1560), deutscher Humanist

 

Melanchthon, Philipp, eigentlich Philipp Schwartzerdt, (1497-1560), Humanist, Pädagoge, Philologe, Reformator und führender Theologe des Protestantismus

 

...steht Konstantinopel auf sieben Hügeln, deren ungleiche Höhen die Stadt noch einmal so groß erscheinen lassen, als sie ist - eine der größten Städte der Welt. Eine schöne Mischung von Gärten, Pinien- und Zypressenhainen, Palästen, Moscheen und öffentlichen Gebäuden erheben sich reizvoll und scheinbar symmetrisch eins über das andere, so wie Euer Gnaden es in einem Schrank gesehen haben, der von der Hand des größten Künstlers geziert ist, wo Vasen über Vasen getürmt und mit Blumenkörben, Büchsen, Puppen und Leuchtern vereinigt sind. Dies ist ein seltsamer Vergleich, allein er gibt einen genauen Begriff von der Sache.

Aus: ,,Briefe aus dem Orient" (1718) von Mary Wortley Lady Montagu (1698-1762), englische Schriftstellerin.

Montagu, Lady Mary Wortley, geborene Pierrepont, (1689-1762), englische Schriftstellerin. Sie wurde in London als Tochter des Earl of Kingston geboren. 1712 heiratete sie gegen den Willen ihrer Familie Edward Montagu, der von 1716 bis 1718 britischer Botschafter in der Türkei war. Während ihrer Zeit in der Türkei schrieb Montagu eine Reihe von geistreichen und anschaulichen Briefen über ihr Leben im Nahen Osten, die nach ihrem Tode als Letters from the East 1763 veröffentlicht wurden. In deutscher Sprache erschien ihre Korrespondenz 1982 unter dem Titel Briefe aus dem Orient. Nachdem sie sich 1739 von ihrem Mann getrennt hatte, lebte sie bis zu ihrem Tod in Italien und Frankreich. Zu Montagus früheren Werken gehören die Gedichte des Bandes Town Eclogues (1747), die sie nach dem Vorbild der Eclogae des römischen Dichters Vergil verfasste.

 

...fuhr ich zu Boot nach Pera ab. Erst hier entwickelte sich der ganze Zauber des Bosporus durch die Nähe der Landhäuser, an denen das Boot mit Pfeilschnelle, besonders in der ,Teufeisströmung', am asiatischen Hafen vorbeischoß. Die Häfen der Dörfer von Lastschiffen des Marktes und von Kajaks Privater umwimmelt, die Landungsplätze der Privatgebäude zu verschlossenen Toren führend, vor diesen hier und da ein schwarzer Verschnittener, die Sommerpaläste der Sultane und Sultaninnen, die mit farbigen und vergoldeten Gittern ins Meer hinausragenden Erker, die goldenen Inschriften auf azurnem Grund, die hohen Zypressen, die Rauchfänge und Minarette gingen wie in einer Zauberlaterne vorbei. Die Aussicht auf die Spitze des Sees und auf die hinter demselben sich entfaltende Kaiserstadt der sieben Hügel eröffnete sich, ein regelloses Bild architektonischer Phantasie, ein hingeträumtes Gemälde aus Tausendundeiner Nacht. Ich stürzte mich ins Meer dieser neuen Eindrücke östlicher Welt. Ein großartiger, lebensfroher oder schwermütiger Eindruck jagte den anderen durch meine Seele. In der Nacht weckte mich zwei Stunden, ehe es tagte, der durch die tiefe Stille von den Minaretten tönende Gebetsausruf des Muesim, der mit den Worten endet: ,Gebet ist besser als Schlaf'.

Aus: ,,Erinnerungen aus meinem Leben" (1799)
Von Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1774-1856), Österreichischer Diplomat


 

Ich habe alle bedeutenden Moscheen kraft eines Firmans besichtigt: Diese Gunst wird Ungläubigen selten gewährt, aber die Abreise des Botschafters hatte sie für uns erwirkt. Ich bin den Bosporus bis zum Schwarzen Meer hinaufgefahren, rund um die Mauern der Stadt, und tatsächlich kenne ich sie vom Sehen besser als London...
Ich habe die Ruinen von Athen, Ephesus und Delphi gesehen. Ich habe einen großen Teil der Türkei, viele Teile Europas und auch einige Asiens durchwandert, aber mir ist kein Werk der Natur oder der Kunst vor Augen gekommen, das auf mich den gleichen Eindruck machte wie die Aussicht von beiden Seiten der Sieben Türme bis zum Ende des Goldenen Horns.

Aus: ,,Briefe und Tagebücher" (1810) von George Gordon Noel Lord Byron (1769-1859), englischer Dichter

 

 

Was man von der Schönheit des Bosporus gesagt hat, ist, mit Einschluß der Ubertreibung, buchstäblich wahr, denn die Übertreibung ist der Erhebung natürlich. Anfangs trat mein Übelbefinden störend entgegen, bald aber wurde der Eindruck so mächtig, und ich gab mich völlig hin. Man hat die Lage von Konstantinopel der von Neapel vorgezogen, vielleicht mit Unrecht, was die Schönheit betrifft; sie ist aber ausgedehnter, kolossaler und dadurch mächtiger. Beinahe durch vier Stunden Weges folgen sich, anfangs bloß auf der europäischen, dann aber auch an der asiatischen Küste, Befestigungen, Schlösser, Dörfer, Paläste in ununterbrochener reizender Fortsetzung. Die Welt hat vielleicht nichts, was sich damit als Ganzes vergleichen läßt. Einzeln betrachtet dürften bloß die Festungen die Probe aushalten. Die Paläste der Türken sind nur aneinandergeschobene Lusthäuser. Ihre Lebensart zeigt auch im Luxus, daß sie aus der Genügsamkeit hervorgegangen ist. Dazu noch alle diese Gebäude - von Holz. Ich gestehe, daß die Aufklärung über diesen letzten Punkt mir die Hälfte des Genusses genommen hat. In der Ferne jedoch, und ehe man derlei weiß, nimmt sich alles herrlich aus. So geht es denn fort. Ununterbrochene Festungen und Batterien zu beiden Seiten. Das reizende Büjükdere, Therapia, das europäische und asiatische Schloß. Leanders Turm, jetzt, denk ich, ein Spital. Darüber hinaus die Spitze des Seralis mit seinen Mauern, die spanischen Wänden gleichen. Von hinten hervorblickend die Kuppel der Sankta Sophia...

Aus: ,,Sämtliche Werke. Tagebücher und literarische Skizzenhefte" von Franz Grillparzer (1791-1872), Österreichischer Dichter

 

Aber, wie soll ich Dir den Zauber schildern, welcher uns umfing Aus dem rauhen Winter waren wir in den mildesten Sommer, aus einer Einöde in das regste Leben versetzt. Die Sonne funkelte hell und warm am Himmel, undnur ein dünner Nebel umhüllte durchsichtig den feenhaften Anblick. Zur Rechten hatten wir Konstantinopel mit seiner bunten Häusermasse, über welche zahllose Kuppeln, die kühnen Bogen einer Wasserleitung, große steinerne Häuser mit Bleidächern, vor allem aber die himmelhohen Minarette emporsteigen, welche die sieben riesengroßen Moscheen Selims, Mehmets, Suleimans, Bajasids, Valideh, Achmets und Sophia umstehen. Das alte Seraj streckt sich weit hinaus ins Meer mit seinen phantastischen Kiosken und Kuppeln mit schwarzen Zypressen und mächtigen Platanen. Der Bosporus wälzt gerade auf diese Spitze zu seine Fluten, welche sich schäumend am Fuß der alten Mauer brechen. Dahinter breitet sich die Propontis mit ihren Inselgruppen und felsigen Küsten aus. Der Blick kehrt aus dieser duftigen Ferne zurück und heftet sich auf die schönen Moscheen von Skutari, ,Üsküdar, früher Ohrysopolis, der asiatischen Vorstadt; auf den Mädchenturm Kiskalessi, welcher zwischen Europa und Asien aus der tiefen Flut auftaucht; auf die Höhen, welche noch mit frischem Grün prangen, und auf die weiten Begräbnisplätze im Dunkel der Zypressenwälder.

Aus: ,,Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839"von Helmuth von Moltke (1800-1891), deutscher Offizier


Eine besondere Ausrüstung ist für die Reise nicht nötig. Für Konstantinopel empfiehlt sich unter gewöhnlichen Umständen ein leichterer guter Anzug, den bei windigen Schiff- und Wagenfahrten und in der kühleren Zeit nach Sonnenuntergang ein Mantel ergänzt. Ein weicher Filzhut ist am bequemsten. Der Fes (...) bezeichnet den Untertan des Sultans, steht also dem Fremden nicht zu. Gummischuhe sind zur Regenzeit in den türkischen Städten, die Kanalisation nicht kennen, unentbehrlich. Ein schwarzer Rock kommt nur für Besuche bei hohen türkischen Behörden in Betracht. Die Wäsche wird ganz ordentlich gewaschen, der Preis dafür oft rund nach der Stückzahl berechnet, das Dutzend ohne Unterschied der Gegenstände ca. 4 fr. Der Anzug, in dem man die Touren in Kleinasien macht, muß etwas aushalten können, das Schuhwerk stark sein. Mit Feldstecher, Feldflasche, Kompaß, Flanellhemden, Lodenmantel wird sich jeder von selbst versehen. Für weitere Ritte und Nachtquartiere in Bauernhäusern usw. braucht man Reisedecke, Eßbesteck, Aluminium-Teller und -Becher, Gamaschen, Nackenschleier und eine Büchse Insektenpulver, sowie eine starke, gut verschließbare Reisetasche aus dickem, unversteiftem Leder, die am Sattel angebunden werden kann. Die Verpflegung ergänzt man durch mitgeführten Tee, Schokolade, Kakes. Mit Zigaretten (sigara) erweist man sich für kleine Gefälligkeiten, angebotenen Kaffee usw. erkenntlich. Die Mitnahme von Waffen macht nur Schwierigkeiten....

Aus: Baedekers ,,Konstantinopel, Kleinasien, Archipel, Cypern.
Handbuch für Reisende" (2. Auflage, Leipzig 1914).


Istanbul ist nach Lage und Bauten wohl der märchenhafteste Platz der Welt. Eine kleine türkische Geschichte beschreibt, wie Napoleon III. die Gesandten aller Länder um sich versammelt hatte und die Frage stellte, welches der beste oder stärkste Staat sei. Er wollte Komplimente für Frankreich hören, die ihm bereitwillig von allen Seiten gespendet wurden, nur nicht von All Pascha, der sagte: ,Die Türkei.' - ,Wieso? Warum?' - ,Sehen Sie', sagte er, ,ihr von außen und wir von innen geben uns seit hundert Jahren alle Mühe, den Staat zu zerstören - es ist nicht gelungen.' Auf das Stadtbild von Istanbul angewendet, müßte diese Geschichte lauten: Seit hundert Jahren geben sich Industrien, Spekulanten, Behörden und Private alle Mühe, die Schönheit zu zerstören, es ist ihnen bis jetzt nicht gelungen. Kraft seiner Lage sieht sogar das abscheuliche Häusergewirre von Pera im Morgensonnenschein vom Wasser her schön aus. Die von Gott gegebene Lage mit so viel Wasserfronten und Hügeln und Buchten mit Schiffen ist immer noch über die bösen Absichten der Menschen Meister geblieben -bis jetzt. Aber man sollte Gottes Geduld nicht zu sehr ausnützen.

Aus: ,,Leben und Bauen" (1950), von Paul Bonatz (1877-1956), deutscher Architekt


Man muß viel laufen in Stambul. Da man, was man nicht mit dem Kleingeld von Schritten bezahlt hat, nicht gesehen hat, ist diese Stadt schwierig. Auch bedrückend; viel Armut, Unvermögen, viel Schmutz, Krankheit, die bitteren Beigaben der Südreisen. Und, wie überall auf der Welt, die Nachfolge- und Spiegel-Krankheit der Pest, die einst Erdteile menschenleer machte: die zuvielen Menschen. So lange der Zustrom aus Inner-Anatolien anhält, von Familien, die dort in einer Erdmulde hausen, einer HasenSasse, die mit Gezweig überdeckt ist, wird sich die Armut der Stadt nicht vermindern. Sie kommen, weil sie vermuten, daß sie am Rande der Großstadt immer noch besser daran sind, könnten irgend etwas von Blech finden, das sie zurechtklopfen, Kistendeckel, rostige Nägel; so entstehen die bekannten Ubernacht-Hütten; was über Nacht unter Dach kommt, darf, altes Gesetz, die Polizei nicht einreißen.

Aus: Aufstand der Dinge. Byzantinische Aufzeichnungen (1973), von Erich Kaestner, deutscher Schriftsteller


 

 

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