Istanbul Post

Ein Wachstum, das nicht glücklich macht

Mit einem Wachstum von 7,4 Prozent hat die türkische Volkswirtschaft im ersten Quartal 2018 ihre Vorjahresperformanz fortgesetzt. Doch steht diese Erfolgsbilanz in einem krassen Kontrast zur wirtschaftlichen Krisenstimmung. Und auch ein Blick zurück auf die Konjunkturerwartungen im ersten Quartal deutet an, dass eine beträchtliche Diskrepanz zwischen den Wachstumsdaten und den Erwartungen der Wirtschaftsakteure besteht.

Wirtschaftswachstum und Zahlungsbilanz

Die Freude über die hohe Wachstumsrate wurde nicht zuletzt von der am gleichen Tag veröffentlichten Zahlungsbilanz für April 2018 gedämpft. Zwar lag der Wert von 5,4 Mrd. Dollar nur geringfügig über dem Erwartungswert, doch bereitet der steile Anstieg seit dem vergangenen Jahr zunehmende Sorge. Dies gilt zum einen für die absolute Höhe des Finanzierungsbedarfs als auch bezogen auf die Relation zur Wirtschaftsgröße. Denn aufgrund des Wertverfalls der Türkischen Lira sinkt trotz hohen Wachstums nicht nur die Gesamtgröße der türkischen Wirtschaft auf Dollar-Basis, sondern es verschlechtert sich zugleich auch die Relation von Zahlungsbilanzdefizit zum Bruttosozialprodukt.

Mit dem Druck durch Zahlungsbilanz, Staatsbilanz und Inflation wird insbesondere für das zweite Halbjahr mit einer deutlichen Verschlechterung der Konjunktur gerechnet. Dabei war diese bereits im ersten Halbjahr nicht unbedingt ausgezeichnet. Betrachtet man die Vertrauensindexe von Handel, Bau und Dienstleistungen, so zeigen sie von Januar bis März 2018 einen kontinuierlichen Rückgang. Während der Bausektor ohnehin durch negative Erwartungen gekennzeichnet ist, gingen auch bei den Dienstleistungen die Erwartungen in den negativen Bereich. Feststellen lässt sich also zumindest ein Missverhältnis zwischen dem Vertrauensindex und der Berechnung des Bruttosozialprodukts.

Entwicklung der Konjunkturerwartungen (Verbrauchervertrauen, Industrie, Handel, Dienstleistungen und Bau; Türkisches Statistikinstitut)

Erforderliche Korrekturen

Als ein Hintergrund der aktuellen Probleme wird insbesondere betrachtet, dass der Bausektor in den vergangenen Jahren eine der Hauptquellen des Wachstums war. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Außenhandelsbilanz der Türkei ein chronisches Defizit ausweist. Zwar steigen die Exporte, doch die Importe steigen schneller. Dies wird nicht zuletzt durch den hohen Anteil importierter Vorprodukte und damit der geringeren inländischen Wertschöpfung erklärt.

Die jüngsten Entwicklungen um die Türkische Lira verändern nun zwei Rahmenbedingungen. Durch den Wertverlust der Türkischen Lira werden Importe verteuert. Soweit vorhanden wären türkische Vorprodukte nun also deutlich günstiger. Aber dies gilt natürlich nur für die industriellen Bereiche, in denen solche inländischen Alternativen vorhanden sind. Denn sonst steigen nur die Herstellungskosten. Der zweite Aspekt sind die gestiegenen Zinsen. Bei einer Inflationserwartung um 12 Prozent zum Jahreswechsel liegt das Zinsniveau inzwischen bei über 20 Prozent. Dies schwächt nicht nur die Investitionskraft der Unternehmen, sondern dürfte insbesondere auch den Schuldendienst beeinträchtigen.

Möglicherweise lässt sich das Zinsniveau gegen Ende des dritten Quartals 2018 wieder senken, wenn sich der angenommene Inflationsrückgang einstellen sollte. Doch auch in diesem Fall ist der Spielraum vermutlich nicht unbedingt hoch.

Wie gerecht der Vorwurf ist, die Regierung habe überwiegend den Bausektor gefördert, sei dahingestellt. Denn die Regierung hat auch umfangreiche Förderprogramme für Industrieinvestitionen aufgelegt. Dass diese – insbesondere im Hinblick auf internationale Direktinvestitionen – nicht unbedingt die gewünschte Performanz gezeigt haben, dürfte nicht zuletzt mit der Krisenwahrnehmung des Landes zusammenhängen. Die preisgünstigste und nachhaltigste Verbesserung der Investitionsbedingungen wäre demnach insbesondere eine Senkung der gesellschaftlichen Spannungen, die Sicherung der Rechtsstaatlichkeit und die Aufhebung des Ausnahmezustandes. Zumindest letzteres steht nun auch auf der Tagesordnung der amtierenden Regierung.