Istanbul Post

Nach den Wahlen

Ohne den Wahlausgang zu kennen, wird bereits in den Kolumnen der Tageszeitungen intensiv über die Themen diskutiert, die die Öffentlichkeit nach den Wahlen von Parlament und Staatspräsident beschäftigen werden. Dabei zeichnet sich ab, das manche Themen an Gewicht gewinnen werden.

Eine Kartoffel ist nicht nur eine Kartoffel

In der Woche vor den Wahlen gelangten plötzlich Kartoffeln und Zwiebeln in die Schlagzeilen. Hintergrund ist der drastische Preisanstieg. Bei Kartoffeln lag der Preis Ende Mai bei 2-3 TL, nun liegt er bei 5 TL. Die Erklärungen für die Entwicklung sind vielfältig. Von unzureichendem Anbau aufgrund der Überkapazität im Vorjahr ist die Rede. Von gestiegenen Aufwendungen beim Anbau. Andere verweisen auf die hohe Spanne zwischen dem Verkauf beim Bauern bis zum Verbraucherpreis. Die Regierung vermutet, dass Großhändler Waren zurückhalten, um die Preise heraufzusetzen und reagiert mit der Ankündigung, dass Engpässe mit Importen überwunden und die Preise gesenkt werden sollen.

Man kann aber die aktuelle Preisentwicklung bei einigen Lebensmitteln auch getrost als Vorboten für die Inflationsentwicklung betrachten. Analysten gehen davon aus, dass die Inflation auf einem Niveau von 14-15 Prozent im August ihren Scheitelpunkt erreichen werde, um dann wieder langsam auf einen Wert über 10 Prozent zur Jahreswende zurückzugehen. Gestützt werden solche Analysen nicht zuletzt auf die Annahme, dass der eigentliche Wertverfall der Türkischen Lira hinter uns liegt.

Verkompliziert wird die Analyse der Preisentwicklung durch politische Eingriffe. Vor den Wahlen wurden einige Entscheidungen aufgeschoben. Durch den Wertverfall der TL hat sich beispielsweise Energie stark verteuert. Doch diese Kosten wurden bisher noch nicht an die Verbraucher weitergegeben. Es ist anzunehmen, dass im Juli oder August eine beträchtliche Strom- und Gaspreiserhöhung bevorsteht. Höhere Raffineriepreise wurden durch eine proportionale Senkung der besonderen Mehrwertsteuer aufgefangen. Auch hier wird erwartet, dass dies nach den Wahlen beendet wird. Höhere Treibstoffpreise führen zu höheren Kosten für den öffentlichen Nahverkehr sowie das Transportwesen…

Gesellschaftliche Spaltung überwinden

Egal, wer die Wahlen gewinnt: der Ausgang wird knapp. Und dies bedeutet, dass einer siegreichen Hälfte der Bevölkerung eine unterlegene andere Hälfte gegenübersteht. Dies ist angesichts eines hart geführten Wahlkampfes keine gute Ausgangsvoraussetzung für eine neue Regierung. Sowohl Staatspräsident Erdoğan als auch seine Herausforderer Ince und Akşener haben die Aufhebung des Ausnahmezustandes angekündigt. Doch bis dies in die Praxis von Gerichten und Sicherheitskräften eingeht, wird vermutlich einige Zeit vergehen.

Erleichtert wird dies nicht durch eine weitere Einzelheit des neuen Systems: die unterlegenen Präsidentschaftskandidaten werden nicht im Parlament vertreten sein. Für die meisten Parteien bedeutet dies, dass ihre populären Spitzenkandidaten nicht den Fraktionsvorsitz übernehmen können. Es wird also Doppelspitzen geben – eine im Parlament und eine in der Partei. Die HDP ist dabei wohl die einzige Partei, die seit Jahren über eine Doppelspitze verfügt…

Ein anderer Punkt ist die fehlende Migrationspolitik. Nicht nur aufgrund der aufgenommenen syrischen Flüchtlinge ist die Türkei zu einem Einwanderungsland geworden. Einwanderung bringt immer Konflikte mit sich – von der Fremdheit bis zu Konkurrenz und Rivalität. Im Wahlkampf wurde immer wieder erklärt, dass man sich um die Rückführung der 3,5 Mio. Syrer in ihr Heimatland kümmern werde. Realistisch ist dies nicht. Vielmehr warnte die UN-Flüchtlingsorganisation vor den Auswirkungen einer Zunahme der Kämpfe in Idlib. Dies wäre für die Türkei in doppelter Hinsicht eine schlechte Nachricht: Zum einen sind dort türkische Truppen stationiert, die neue Konfrontationen zwischen den Milizen der Opposition und den Regierungstruppen verhindern sollen. Zum anderen verfügt die Provinz über eine lange Grenze zur Türkei. Sollte die von der (überwiegend islamistischen) Opposition kontrollierte Provinz unter Druck geraten, könnten nach Einschätzung des UNHCR 2,5 Mio. weitere Syrer in die Türkei flüchten.

Teurer Imageverlust

Die gesellschaftlichen Spannungen der letzten Jahre, Terroranschläge, Sicherheitspolitik und eine an kurzfristigen innenpolitischen Interessen ausgerichtete Außenpolitik haben dem Image der Türkei sehr geschadet. Für dieses Jahr zeichnet sich zwar eine Wiederbelebung des Tourismus ab, doch es ist offensichtlich, dass ohne eine Verbesserung des Ansehens und der Sicherheitslage kaufkräftigere Tourismussegmente dem Land fernbleiben werden. Ähnliches gilt für internationale Direktinvestitionen. Nicht nur ist das Volumen dieser Investitionen stark gesunken, zahlenmäßig ist das Engagement aus den EU-Ländern zurückgegangen. Diese jedoch sind nach wie vor am stärksten mit der türkischen Wirtschaft verbunden.