Istanbul Post

Keine

Keine faire Wahl

Man kann sagen, dass die Parlaments- und Präsidentenwahl vom 24. Juni 2018 nicht fair verlaufen ist. Die Opposition hatte nur geringen Zugang zu den Medien, die Wahl wurde unter den Bedingungen des Ausnahmezustands durchgeführt. Einer der Präsidentschaftskandidaten führte seinen Wahlkampf aus dem Gefängnis. Man kann jedoch nicht behaupten, dass dies für die Bevölkerung ein Geheimnis gewesen wäre. Das Regierungsbündnis konnte gegenüber dem Referendum im April 2017 seine Mehrheit um einen Prozentpunkt ausbauen. Dies ändert nichts daran, dass sich zwei Blöcke in einer Größenordnung von 52,5 Prozent und 47,5 Prozent gegenüber stehen. Die Wählerbewegungen haben sich weniger zwischen den Blöcken, sondern anscheinend innerhalb der Blöcke ergeben.

Was mag passiert sein?

Die wirtschaftliche Krisenstimmung und die hohe Inflation haben die Wählertendenzen anscheinend nicht verändert. Es sollte jedoch bedacht werden, dass die größten Schwierigkeiten noch bevorstehen.

Die Konzepte von Aufrichtigkeit und Empathie mit denen Saadet Partei, CHP und HDP antraten, scheinen "das andere Lager" nicht erreicht zu haben.

Für 52,5 Prozent der Wähler haben andere Dinge im Vordergrund gestanden. Vielleicht war es wirklich der Erfahrungsvorsprung, den Staatspräsident Erdoğan in den Mittelpunkt gestellt hat. Mit mehr als 30 Prozent hat Muharrem Ince ein gutes Ergebnis erreicht. Doch vielleicht war die Zeit von 52 Tagen zu kurz, um Vertrauen bei den Wählern aufzubauen.

Ein Element, das AKP und MHP stark in den Vordergrund ihrer Wahlkampagnen stellten, war die Existenzgefährdung der Türkei aufgrund der Intrigen ausländischer Mächte und innerer Feinde. Eine entlastende These, die Rechenschaft über unterlassene Vorkehrungen und Fehlentscheidungen ausspart.

Umgekehrt ist der Versuch, den Erfolg des Regierungsbündnisses auf ungleiche Wettbewerbsbedingungen und/oder Betrug zurückzuführen, nicht geeignet, die Opposition aus der Sackgasse zu führen. Dazu sind die Trends der vielen Abstimmungen der vergangenen Jahre zu stabil. Das Konzept "Versöhnen statt Spalten" wirkt überzeugend, scheint jedoch nur bedingt auf fruchtbaren Boden zu fallen. Dies war ja auch von Anfang an das Handicap der Opposition: sie besteht aus sehr unterschiedlichen und einander entgegenlaufenden Strömungen.

Kann man aus dem Ergebnis schließen, dass es 52,5 Prozent der Wählerschaft egal ist, ob das Land gespalten ist? Vermutlich nicht. Es müsste der Opposition gelingen, sich als eine überzeugende Alternative vorzustellen – was vermutlich angesichts des schwindenden Zugangs zu den traditionellen Medien zunehmend schwieriger wird.

Politische Herausforderungen

Umso wichtiger wird es sein, wenn sich die CHP nicht den Luxus leistet, in einen zermürbenden Konflikt um die Parteiführung einzutreten. Die Chance, als Regierungsalternative Gehör zu finden, wächst in Krisenzeiten. Dazu müssen jedoch neben Kandidaten vor allem auch Antworten und Auswege vorhanden sein.

Nach dem Marathon der vielen Reden und Meetings der vergangenen Wochen liegt anscheinend eine kurze Verschnaufpause vor uns. Staatspräsident Erdoğan hat angekündigt, dass er nach seinem Amtseid sein Kabinett und seine Regierungspläne vorlegen wird. Es gibt also einen Zeitraum von vermutlich zwei Wochen. Dies gibt der CHP die Möglichkeit, einen möglichen Konflikt um den Parteivorsitz zwischen dem Amtsinhaber Kılıçdaroğlu und Ince zu lösen, bevor er ausbrechen kann. Zudem wird sich die CHP dem Problem stellen müssen, dass sie weder in der Schwarzmeer Region noch in den Ost- und Südost-Provinzen über einen bedeutsamen Rückhalt verfügt. Die Projekte, dies durch Aufnahme von Kandidaten anderer politischer Strömungen lösen zu wollen, sind in den vergangenen Jahren gescheitert. Eine Organisationsreform und Programmarbeit erscheinen erforderlich.

Für die Oppositionsparteien stellt sich zudem die Frage der Kooperation. Sie sind nicht nur heterogen, sondern auch politische Konkurrenten. In den vergangenen zwei Monaten ist es ihnen gelungen, mit ihrer Zusammenarbeit ein konstruktives Bild abzugeben. Dies hat ihnen zwar wenig genützt, sie aber vor Schaden bewahrt.

Bei seiner Balkonrede hat Staatspräsident Erdoğan mit Blick auf das unbefriedigende Ergebnis bei der Parlamentswahl erklärt, er habe die Botschaft der Wähler verstanden. Dies hat er bereits bei ähnlichen Anlässen bei der Juni 2015 Wahl und nach dem Referendum erklärt. Nutzt er das auf ihn zugeschnittene Präsidialsystem für die Ausübung absoluter Macht, wird er Gegenbewegungen auslösen. Das neue System gibt ihm die Möglichkeit zu schnellen Entscheidungen – doch diese können auch falsch sein. Den politischen Interessenausgleich des parlamentarischen Systems durch Alleinentscheidungen abkürzen zu wollen, löst keine Interessenkonflikte, sondern fördert sie.