Istanbul Post

Diskussionen über die Wirtschaftskrise

Es überrascht nicht, dass Finanzminister Albayrak als Verantwortlicher für die Wirtschaftspolitik die Anzeichen, dass die Talsohle durchschritten sein könnte, stolz als "die Krise ist überwunden" wertet. Doch es gibt zahlreiche Beiträge von Ökonomen, die nicht mit einer schnellen Erholung rechnen. Hinzu kommt, dass Wirtschaftsindikatoren etwas anderes beschreiben als den Wohlstand der Bevölkerungskreise.

Als eines der dringendsten Risikopotenziale der türkischen Wirtschaft gilt die hohe Schuldenbelastung. Diese ist – nicht zuletzt dank Privatisierung und Public Private Partnership-Projekten – beim Privatsektor deutlich höher. Um bei weltweit verschlechterten Kreditbedingungen für Schwellenländer Kredite aufnehmen zu können, um Kreditverpflichtungen zu begleichen, muss in der Regel ein höherer Zins gewährt werden. Dies ergibt sich auch aus der Risikobewertung. Nimmt man das Kreditausfallrisiko, das sich in CDS-Werten fassen lässt, hat die Risikowahrnehmung gegenüber der Türkei in den letzten drei Wochen stark zugenommen. Lag der CDS am 4. Februar 2019 noch bei 310 Punkten, so ist er am 15. April auf 455 Punkte gestiegen. Dies ist zwar noch erheblich unter dem Spitzenwert von 576 Punkten im September 2018, doch verteuert es Kredite ungemein.

Ein Beispiel mag der Syndikatioskredit der staatlichen Ziraat Bank von Ende März sein. Die Bank nimmt seit einigen Jahren im März einen Kredit von rund 1,5 Mrd. Dollar mit einer Laufzeit von einem Jahr auf. Lag der Zinssatz dieses Kredites im März 2018 bei 1,30 Prozentpunkten über dem durchschnittlichen Zinssatz für den Dollar Anteil und 1,2 Prozentpunkte für den Euro-Anteil, so wurde im März 2019 der Zuschlag auf 2,5 bzw. 2,4 Prozentpunkte für Dollar und Euro angehoben.

Die höheren Finanzierungskosten für türkische Banken lassen neben der Hochzinspolitik der Zentralbank nur geringen Spielraum für die Senkung von Kreditzinsen. Die hohe Zinsbelastung jedoch lähmt sowohl die Binnennachfrage als auch die Unternehmen, die Geld für laufende Geschäfte und Investitionen benötigen. Ein weiterer Faktor, der die Binnennachfrage lähmt, ist die steigende Arbeitslosigkeit. Absehbar ist außerdem, dass ein Umfeld von schlechten Geschäften und hoher Arbeitslosigkeit Druck auf die Löhne ausüben wird.

Der unzureichenden Nachfrage durch Exporte zu begegnen, ist angesichts der schlechteren Konjunktur in Europa – dem wichtigsten Zielmarkt der türkischen Wirtschaft – ebenfalls problematisch.

Das von Finanzminister Albayrak am 10. April vorgestellte Wirtschaftsprogramm sieht verschiedene Lösungsansätze vor. Der internationale Kreditbedarf soll durch eine Erhöhung der Kapitalbildung verringert werden. Als ein Mittel dazu werden die individuelle Altersversorgung und die Einrichtung eines Abfindungsfonds vorgesehen. In einem Interview mit der Nachrichtenplattform Diken merkt der Wirtschaftskolumnist der Tageszeitung Sözcü Muratoğlu dazu an, das dies nicht besonders realistisch wirkt. Zwar müssen Arbeitgeber theoretisch Geld zurücklegen, um ausscheidenden Beschäftigten je nach Beschäftigungsdauer eine Abfindung zu zahlen. Doch die Realität der meisten kleinen und mittleren Unternehmen sieht anders aus. Tatsächlich erhält nur ein kleiner Teil der Anspruchsberechtigten tatsächlich eine Abfindung. Nach dem neuen Modell – dessen Details noch nicht vorgestellt wurden – sollen die Unternehmen ihre Rücklagen für Abfindungen auf einen Fond übertragen. Soweit die Unternehmen überhaupt Rücklagen angelegt haben, sind diese zurzeit jedoch Teil des Betriebskapitals. Unter den Vorzeichen einer Wirtschaftskrise die Unternehmen dazu zu verpflichten, diese Geld abzutreten hält Muratoğlu für nicht realistisch.

Eine andere Idee ist, in Verzug geratene Kredite (NPL) auf Fonds zu übertragen, um die Bilanzen der Banken zu verbessern. Der Haken ist jedoch, dass solche NPL nicht zu ihrem Buchwert übertragen werden. Je nach Risikobewertung geben Käufer solcher Verpflichtungen 1-5 Prozent des Nennwertes. Dies bedeutet einen Verlust von 95-99 Prozent. Hinzu kommt, dass die Schätzungen des Anteils der NPL am Gesamtkreditvolumen weit auseinanderliegen. Vermutlich wird ein Teil der gerade neustrukturierten  Kredite in absehbarer Zeit erneut als NPL auftauchen, wenn sich die erhoffte wirtschaftliche Erholung nicht in kurzer Zeit einstellt. Dies bedeutet wiederum, dass der türkische Staat vermutlich weit größere Mittel als die für die Staatsbanken vorgesehenen 28 Mrd. Dollar bereitstellen muss, um das Finanzwesen zu schützen.