Istanbul Post

Das Innen und Außen der AKP

Die Selbstdarstellung der regierenden AKP und die Kommentare, die von Außenstehenden über sie gemacht werden, könnten nicht unterschiedlicher sein. Damit verbunden kommen immer mehr Beobachter zu dem Schluss, dass die Parteiführung zurzeit nicht an eine politische Änderung denkt, sondern vor allem Zeit gewinnen möchte. Dies schafft Führungsprobleme, die den Eindruck von Stabilität und Kontinuität immer wieder in Frage stellen.

Ein Beitrag von Elif Çakır

Elif Çakır ist eine bekannte, konservative Journalistin, die lange für ihre AKP-nahen Beiträge bekannt war. Seit 2015 schreibt sie für die Tageszeitung Karar, die sich zu einer konservativ-kritischen Stimme in der türkischen Medienlandschaft entwickelt hat. Am 10. Juli beschrieb sie in einer Kolumne, wie sich ihre Haltung gegenüber dem Präsidialsystem wandelte. Sie habe es zunächst befürwortet, doch als mit dem von AKP und MHP ausgehandelten "neuen System" die Gewaltenteilung weitgehend aufgehoben wurde, habe sie beim Referendum dagegen gestimmt.

In ihrem Beitrag vom 11. Juli geht sie auf die Vorwürfe ein, dass der Verein Kadem eine "Soros-Linie" verfolge. Kadem ist ein Verein, der sich die Förderung von Frauen zur Aufgabe gemacht hat. Zu den Gründungsmitgliedern gehört die Tochter Erdoğans Sümeyye. Nicht zuletzt aus diesem Grund galt Çakır zufolge der Verein als unantastbar. Doch als Erdoğan im Juni den "Istanbul Vertrag" kritisierte, der staatlichen Schutz gegen sexuelle Gewalt vorsieht, begann eine gegen Kadem gerichtete Kampagne in den sozialen Medien.

Die von AKP-nahen Kreisen in den sozialen Medien geführten Kampagnen sind berüchtigt. Auch AKP-Politiker haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sie dem Ansehen der Partei schaden. In diesem Fall scheint die Kampagne entgleist zu sein, denn sie richtet sich indirekt auch gegen die Familie Erdoğan…

Schwindende Hoffnungen von Abdülkadir Selvi

Abdülkadir Selvi habe ich über Jahre hinweg als "inoffiziellen Pressesprecher der AKP" wahrgenommen. Stets Kolumnist und zurzeit für die Tageszeitung Hürriyet tätig, verfügt er über beträchtliches Insiderwissen sowie die Fähigkeit, auch einem gebildeteren Publikum die politischen Ziele der AKP zu erläutern. Doch seit einiger Zeit habe ich bei der Lektüre seiner Kolumnen den Eindruck, dass er zunehmend unglücklich über die Entwicklungen ist. Immer wieder mahnt er einen Politikwechsel, mehr innerparteilichen Dialog und die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Partei und Bevölkerung an.  Zeichen hierfür sieht er jedoch nicht.

Die Spalter

Nach seinem Austritt aus der AKP am 8. Juni 2019 ist das Projekt einer neuen Partei offiziell geworden. Zunächst wurde das Projekt als eine Rückkehr zu den Gründungszielen der AKP beschrieben, in dieser Woche treten Meldungen in den Vordergrund, die die ANAP als Vorbild aufgreifen. Die Mutterlandpartei (ANAP) war von Turgut Özal nach dem Militärputsch von 1980 gegründet worden und umfasste ein breites Spektrum politischer Strömungen – von Sozialdemokraten und Liberalen bis hin zu Nationalisten. Um nicht als Spalterpartei in die Öffentlichkeit zu treten, soll Babacan versuchen, vor allem neue Politiker zu gewinnen und die alten Größen der AKP, die ihn unterstützen, im Hintergrund zu halten. Dies gilt auch für den früheren Staatspräsidenten Abdullah Gül, der die Parteigründung unterstützt, selbst jedoch nicht Mitglied werden möchte.

Wie groß der Einfluss der neuen Partei auf die Basis der AKP sein wird, muss sich erst herausstellen. Doch sollte die Parteigründung erfolgen erscheint sicher, dass sie zu einer weiteren Schwächung der AKP führen wird.