Istanbul Post

Die

Die Woche vom 17. bis zum 24. Juli 2020

Die Wiedereröffnung der Hagia Sofia als Moschee löste weltweit unterschiedliche Reaktionen aus. Während Zehntausende Muslime zum Sultan Ahmet Platz in Istanbul strömten, führte die griechisch-orthodoxe Kirche Gedenkgebete durch.

Das erste Freitagsgebet in der Hagia Sofia

Nicht nur für Islamisten, sondern auch für konservative Kreise war die Aufhebung des Museums-Status der Hagia Sofia ein grundlegender Schritt. Doch betrachtet man das erste Freitagsgebet, so wirkt es eher wie ein Staatsakt, denn wie ein Gottesdienst. Denn welcher Gottesdienst würde für geladene Gäste, die sich in Rangfolge einzufinden haben, durchgeführt werden? Dass der Präsident des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten mit dem Schwert zur Freitagspredigt erschien, soll eine Wiederaufnahme osmanischer Tradition bedeuten. Doch welche religiöse Entsprechung hat dies? Und für welches Islam-Verständnis spricht die Verbindung der Predigt mit dem Schwert? Eine ganz andere Frage ist zudem, warum die Predigt vom Präsidenten des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten gehalten werden musste. Denn eigentlich ist dieses Präsidium eine Religionsverwaltung und nicht das islamische Gegenstück zum Vatikan.

Staatspräsident Erdoğan erklärte, dass 350.000 Menschen zur Wiedereröffnung der Hagia Sofia als Moschee gekommen sind. Ohne Zweifel war der Andrang groß. So wie ihr Bau die Größe des byzantinischen Reiches repräsentierte, ist sie auch heute ebenso wie ein religiöses Gebäude eine Repräsentation staatlicher Macht. Orhan Pamuk erklärte, dass mit der Rückverwandlung der Hagia Sofia sich die Türkei offen vom Laizismus der Republikgründer und damit von Mustafa Kemal Atatürk abgewendet habe. Die Abneigung der von Staatspräsident Erdoğan repräsentierten Kreise gegen die Gründer der Türkischen Republik ist kein Geheimnis und bedarf darum keiner Beweise. Doch ist es ihnen trotz vielfältiger Versuche nicht gelungen, ihr Vermächtnis zu verdrängen.

Kontrolle sozialer Medien

Dass die sozialen Medien kein rechtsfreier Raum sein können, hat sich in der Gesetzgebung vieler Länder niedergeschlagen. Offenkundig ist, dass die türkische Regierung hier einen besonderen Handlungsbedarf sieht, denn kurz vor der parlamentarischen Sommerpause wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der bereits am Donnerstag den Justizausschuss passierte. Bedenkt man, dass die Türkei eines der Länder ist, in denen besonders hart gegen Meinungsäußerungen in sozialen Medien vorgegangen wird, weckt das Projekt die Befürchtung einer weiteren Einschränkung.

Das Gesetz definiert ein soziales Netzwerk durch die Mitgliederzahl von mehr als einer Million. Für Personen, die durch einen Beitrag in sozialen Netzwerken ihre Rechte verletzt sehen, wird ein besonderer Beschwerdemechanismus geschaffen, ohne dass diese die Gerichte bemühen müssen. Der Betreiber des sozialen Netzwerkes muss auf eine Beschwerde binnen 48 Stunden antworten. Außerdem wird die Bedingung gestellt, dass internationale Betreiber sozialer Netzwerke in der Türkei eine Vertretung eröffnen müssen.

Kommt ein Betreiber eines sozialen Netzwerkes seiner Verpflichtung nicht nach, so wird im ersten Schritt ein Bußgeld in Höhe von 10 Mio. TL verhängt. Wird diese nicht binnen dreißig Tagen gezahlt, steigt die Geldbuße auf 30 Mio. TL. Wird auch diese nicht gezahlt, wird ein Reklameverbot verhängt. Außerdem können Friedensgerichte eine Einschränkung der Geschwindigkeit um 50 bis 90 Prozent verhängen. Wird eine solche Strafe verhängt muss sie binnen 4 Stunden von den Netzbetreibern umgesetzt werden. Auch kann gerichtlich die Entfernung einzelner Inhalte aus sozialen Netzwerken angeordnet werden.

Offen bleibt, ob die Intentionen des Gesetzes erreicht werden können. Neben technischen Fragen ist die Reaktion der Öffentlichkeit ein nicht unbedeutender Faktor. Sollten sich Netzwerkbetreiber wie Facebook oder Twitter weigern, eine Vertretung in der Türkei zu eröffnen und von einer Einschränkung der Geschwindigkeit betroffen sein, würde dies Millionen von türkischen Nutzern betreffen, die vermutlich nur ein geringes Verständnis für diese Maßnahme aufbringen. Hinzu kommt, dass es der türkischen Telekommunikationsaufsicht bisher nicht gelungen ist, die Benutzung Virtueller Netzwerke (VPN) zu verhindern. Auf diese Weise können in der Türkei gesperrte Inhalte ohne weiteres und mit geringem Aufwand erreicht werden.

Drohszenarien

Der Nationale Sicherheitsrat der Türkei hat in dieser Woche die Entschlossenheit zur Fortsetzung des Libyen-Engagements wiederholt. Zuvor hatte das ägyptische Parlament die Vollmacht zu einer Intervention gegeben. Bei einer Versammlung der libyschen Stämme in Kairo war zudem eine Aufforderung zur Intervention erfolgt. Demgegenüber wird von einer Übereinkunft zwischen der Türkei und Russland berichtet. In dieser Übereinkunft erklären beide Länder, dass sie sich für einen dauerhaften Waffenstillstand einsetzen und den im Frühjahr bei der Berlin-Konferenz verabredeten Weg zur Deeskalation fördern wollen. Sie wollen sich für den freien Zugang humanitärer Hilfe einsetzen und eine gemeinsame Libyen-Arbeitsgruppe einsetzen.

In der vergangenen Woche hatten die USA eine entmilitarisierte Zone vorgeschlagen, um den Konflikt zu entschärfen. Doch die russisch-türkischen Verhandlungen nehmen darauf keinen Bezug.

Aus den Drohungen und den diplomatischen Manövern ergibt sich das Bild, dass mit steigendem Einsatz um die Sicherung einer politischen und wirtschaftlichen Einflusszone gerungen wird. Die rivalisierenden Mächte in Libyen dagegen sind weitgehend von den sie unterstützenden internationalen Akteuren abhängig. Direkt militärisch engagieren sich dabei die Türkei und Ägypten, die das Risiko eingehen, dass ihre Streitkräfte in Libyen aufeinandertreffen. Wie sich in diesem Fall die übrigen Akteure, die es vorziehen, nicht militärisch präsent zu sein, verhalten werden, bleibt weitgehend offen. Auch wenn in einem Konfliktszenario die ägyptische Armee der türkischen unterlegen wirkt, verfügt letztere den Nachteil langer und verwundbarer Nachschubwege.

Sollte es zu einer Konfrontation kommen, besteht das Risiko, dass diejenigen Mächte, die die türkische Regierung aktuell auf ihrer Seite wähnt, erklären, dass sie so etwas nicht gewollt haben. Damit würde der Weg freigemacht, die beiden Kontrahenten beiseite zu schieben und eine Einigung zu den gewünschten Bedingungen zu erzielen. Und so oder so läuft die Entwicklung darauf hinaus, die Kontrolle über die libyschen Bodenschätze den Libyern zu entziehen…

Die Wiederholung der Wiederholung

Nach dem Rücktritt von fünf hochrangigen Beamten des Gesundheitsministeriums war der Verdacht geäußert worden, dass der Antikörpertest für Covid 19 nur eine Trefferquote von 40 Prozent habe. Daraufhin sah sich das Ministerium genötigt zu erklären, dass die Trefferquote des Tests bei 90 Prozent liege.

Nun bemängelt selbst die Union der türkischen Ärztekammern, dass das Ministerium bisher jede Detailauskunft zum Test verweigert. Eine Publikation der Ergebnisse, auf die das Ministerium seine Aussage stützt, würde die Frage aus der Welt schaffen. Solange sie nicht erfolgt, wirkt die Aussage nur wie eine Schutzbehauptung. Was kostet es, die betreffenden Ergebnisse und das Labor, das die Validierung durchgeführt hat zu veröffentlichen?

Neue Modelle für Schulen

Die LGS-Prüfung zum Übergang zu den Oberschulen hatte gezeigt, dass der Fernunterricht zwar eine Notlösung ist, sich aber insgesamt das Leistungsniveau der Schüler verringert hat. Nun ist für den 31. August die Wiedereröffnung der Schulen geplant. Minister Selçuk gibt jedoch an, dass die letztliche Entscheidung über den Schulbetrieb auf der Grundlage einer Empfehlung des Wissenschaftsrates getroffen werde.

Derzeit ist an eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht gedacht. Um die die Schülerzahlen in Schulen und Klassenräumen zu verringern, ist an ein System gedacht, bei dem die Schüler nur an drei Tagen die Schule besuchen. Im Präsenzunterricht sollen vor allem die Grundfächer wie Türkisch oder Mathematik gelehrt werden, Sport oder Geschichte dagegen sollen in den Fernunterricht verlegt werden. Insgesamt soll die Zahl der Unterrichtsstunden pro Woche verringert und auch die Dauer der Schulstunden verkürzt werden. Ohne auf Einzelheiten einzugehen erklärte Bildungsminister Selçuk außerdem, dass Unterstützungsprogramme für benachteiligte Schülergruppen vorbereitet werden sollen.

Keine neue Zinssenkung der türkischen Zentralbank

Bei der Sitzung des Geldrates der türkischen Zentralbank am 23. Juli 2020 wurde erneut eine Beibehaltung des geltenden Zinssatzes von 8,25 Prozent beschlossen. In ihrer Erklärung stellt die Zentralbank auf die Ungewissheiten der internationalen Wirtschaftsentwicklungen ab und zeigt sich optimistisch, dass es im Tourismus in der zweiten Jahreshälfte zu einer Erholung kommen könnte. Die Zentralbank sieht weiterhin ein Risiko eines Inflationsanstieges, geht jedoch davon aus, dass aufgrund der eingeschränkten Nachfrage der Trend einer sinkenden Inflation anhalten wird.

Aktuell liegt der Leitzins um mehr als vier Prozentpunkte unter der Inflation. Die durch die staatlichen Banken angeführten Kampagnen mit Niedrigzinsen zeigen bereits jetzt auf dem Wohnungsmarkt Auswirkungen auf die Inflation. Als die türkische Zentralbank vor einem Jahr ihre Zinssenkungspolitik einleitete, gab es nur wenig direkte Einwände von Wirtschaftswissenschaftlern. Nur merkten sie an, dass es leichter sein könnte, Zinsen zu senken als sie – wenn erforderlich – wieder zu erhöhen.