Istanbul Post

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Die Woche vom 8. bis zum 15. November 2019

Das meistdiskutierte politische Ereignis der Woche war der USA-Besuch von Staatspräsident Erdoğan, der jedoch ohne greifbare Ergebnisse blieb. Die erneute Verhaftung des Journalisten Ahmet Altan, der in der Vorwoche freigelassen wurde, wirft einen neuen Schatten auf den Standard der türkischen Rechtsprechung. Die Zahlungsbilanz der Türkei hat sich weiter verbessert und auch die Industrieproduktion zugelegt, doch bleibt dies ohne Wirkung auf den Arbeitsmarkt.

Nach dem Washington-Gipfel

Am 13. November 2019 trafen Staatspräsident Erdoğan und US-Präsident Trump in Washington zusammen. Außerdem fand ein Gespräch mit einer Gruppe republikanischer Senatoren im Weißen Haus statt, an dem auch Lindsey Graham teilnahm. Dieser hatte die türkische "Friedensquelle" Operation in Nord-Syrien scharf kritisiert und einen Gesetzentwurf für Sanktionen in den Senat eingebracht.

Folgt man den Aussagen der beiden Präsidenten bei der abschließenden Pressekonferenz, so hat sich wenig Bewegung ergeben. Erdoğan wiederholte die türkischen Forderungen nach einer Sicherheitszone in Nord-Syrien, die Bewertung der syrischen YPG als Ausläufer der PKK und damit als terroristische Organisation sowie die Auslieferung von Fettullah Gülen. Trump betonte die persönliche Freundschaft mit Erdoğan und seine Hoffnung, dass sich der Streit um die Beschaffung russischer S400 Raketen durch die Türkei im Dialog lösen ließe. Aus dieser Position lässt sich schließen, dass sich an seiner ablehnenden Haltung gegen Sanktionen gegen die Türkei, wie sie vom Kongress seit dem Sommer gefordert wird, nichts geändert hat.

Am gleichen Tag wurde im Senat ein Gesetzentwurf zur Anerkennung der Deportation der Armenier im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als Völkermord auf die Tagesordnung genommen. Senator Graham verhinderte durch seinen Einspruch die Abstimmung. Kurz zuvor war ein ähnlicher Gesetzentwurf vom Repräsentantenhaus verabschiedet worden. Andererseits äußerte sich Graham nicht zu seinem eingebrachten Sanktionspaket.

Nach seinem Besuch erklärte Staatspräsident Erdoğan nochmals, dass er an der Aktivierung der S400 Raketen festhalte. Als Zwischenstand kann man festhalten, dass der USA-Besuch die Spannungen ein wenig reduziert hat und Zeit gewonnen wurde. Wie eine Lösung des Konflikts aussehen könnte, ist jedoch nach wie vor vollkommen unklar.

Neue Grenzen für die Kommunalpolitik

Die Kommunalwahlen im März 2019 sind nicht so ausgegangen, wie es die AKP erhofft hatte. Darum war gleich nach den Wahlen die Befürchtung aufgekommen, die AKP könne nun beginnen, die ohnehin beschränkten Befugnisse der Kommunen weiter einschränken. Einige Gesetzesinitiativen, die dem Parlament vorliegen, deuten nun in diese Richtung.

Der erste Schritt war eine geplante Gesetzesänderung, in der die Zuständigkeit für das Umland des Bosporus von der Großstadtverwaltung Istanbul auf das Ministerium für Stadt und Umwelt verlagert wird. Die bisherige Sonderbehörde der Stadt wird aufgelöst und eine  neue Behörde beim Ministerium eingerichtet. Außerdem werden neue Räte für Denkmal- und Naturschutz eingerichtet, deren Mitglieder durch den Staatspräsidenten ernannt werden. Der zuständige Minister wiederum erklärte, eigentlich ändere sich nichts an der bisherigen Rechtslage. Schließlich lag die letzte Planungskompetenz ohnehin beim Ministerium. Dies ist zwar richtig, gleichwohl lag die Planerstellung bei der Kommune. Und wollte man bürgernahe Stadtplanung einleiten, wäre wohl die wichtigste Voraussetzung, die Kompetenz vor Ort anzusiedeln.

In einem Sackgesetz liegt dem Parlament außerdem eine Reihe von Maßnahmen vor, die die staatlichen Einnahmen erhöhen sollen. Vorgesehen ist beispielsweise ein Verfahren, mit dem die Grunderwerbssteuer dem tatsächlichen Immobilienwert angenähert werden soll. Doch  nur ein kleiner Teil der Mehreinnahmen fließt in die Kassen der Kommune, während die Einnahmen überwiegend an das Ministerium für Stadt und Umwelt und die Staatskasse geht. Ebenso die Abgabe, wenn durch stadtplanerische Maßnahmen oder eine Verbesserung der Infrastruktur eine Wertsteigerung eintritt. Und schließlich wurde eine Änderung im Gecekondu-Gesetz zurückgenommen und die Zuständigkeit für Stadtsanierungsarbeiten in Gecekondu-Gebieten von den Kommunen an das staatliche Wohnungsbauunternehmen TOKI überführt.

11 Millionen Setzlinge und der Umweltschutz

Obgleich Klimawandel und Umweltschutz in der Türkei nicht den gleichen hohen Stellenwert auf der politischen Tagesordnung einnehmen wie beispielsweise in Nord- und Westeuropa, sind sie gleichwohl wichtig. Und insbesondere der Widerstand gegen den Goldabbau in den Kaz Dağları im vergangenen Sommer hatte dem Image der Regierung geschadet. Am 11. November 2019 wurde darum eine nationale Baumpflanz-Aktion durchgeführt, die in das Guinness Buch der Rekorde eingehen soll. Doch zeigt die Pflanzaktion die Sorge um Nachhaltigkeit und Klimaverbesserung? Skeptiker wenden ein, dass ein bedeutender Teil der Setzlinge mangels Pflege eingehen werde.

Doch auch ein anderer Aspekt macht skeptisch. Während der Kommissionsberatung zum neuen Steuergesetz wurde durch einen Änderungsantrag eine Bestimmung angehängt, die mit dem übrigen Gesetzesinhalt nichts zu tun hat. Die Änderung sieht vor, dass Kohlekraftwerke noch einmal für 2,5 Jahre von den Auflagen des Umweltgesetzes befreit werden. Eine solche Befreiung hatte dem Parlament bereits im März diesen Jahres vorgelegen und war aufgrund einer Übereinkunft aller im Parlament vertretenen Parteien zurückgewiesen worden. Zudem wurde erklärt, dass eine solche Bestimmung dem Parlament nicht erneut vorgelegt werden sollte.

Elf Millionen Setzlinge und eine unbeschränkte Vollmacht zur Luftverschmutzung wirken nicht unbedingt stimmig.

Beharrungskraft des Vorsitzenden

Die Union der Anwaltskammern der Türkei hat einen Antrag auf Einberufung einer außerordentlichen Vollversammlung zurückgewiesen. Im Mittelpunkt steht die Person des Vorsitzenden Metin Feyzioğlu. Dieser hatte für die Union der Anwaltskammern an der Eröffnung des Justizjahres 2019/20 im Präsidentenpalais teilgenommen, obgleich 51 der 80 Anwaltskammern zu einem Boykott aufgerufen hatten. Daraufhin hatte 12 Anwaltskammern eine außerordentliche Mitgliederversammlung gefordert. Laut Gesetz genügt der Antrag von 10 Anwaltskammern, um die Einberufung zu erzwingen. Zurückgewiesen wurde der Antrag, weil einige Anwaltskammern eine Vollversammlung mit Vorstandswahl und einige nur eine Vollversammlung beantragt hatten.

Ob die Zurückweisung klug ist, mag bezweifelt werden. Denn welche Kompetenz kann eine Union der Anwaltskammern für sich beanspruchen, wenn sie vor einer offensichtlich erforderlichen Diskussion mit ihren Mitgliedern flüchtet?

Ahmet Altan ist wieder in Haft

Nach dreijähriger Untersuchungshaft erging am 4. November 2019 das Urteil im "Medienprozess zum Putschversuch", in dem der Journalist Ahmet Altan zwar zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, jedoch die Untersuchungshaft bis zur Rechtskraft des Urteils aufgehoben wurde. Doch seine Freiheit dauerte nur eine Woche, denn am 12. November hob ein anderes Großes Strafgericht die Freilassungsanordnung auf. Zur Begründung wurde auf Fluchtgefahr verwiesen. Nun hätte Ahmet Altan bereits eine Woche Zeit gehabt zu flüchten und eine Fluchtgefahr muss begründet werden. Aber interessanter ist vielleicht noch, dass die Gerichtsentscheidung an regierungsnahe Medien weitergegeben wurde, noch bevor der Anwalt Altans Kenntnis davon erhielt. Dieser wiederum wendet ein, dass die Untersuchungshaft mit einem Urteil aufgehoben wurde. Die Zuständigkeit für das weitere Verfahren liegt nun bei der nächsten Instanz. Ein erstinstanzliches Großes Strafgericht kann darum dieses Urteil nicht aufheben. Gleichwohl wurde der Einspruch des Verteidigers von einem weiteren Großen Strafgericht zurückgewiesen.

Eine positive Zahlungsbilanz

Mit einem Überschuss von 2,477 Mrd. Dollar im September stieg der Zahlungsbilanzüberschuss im Jahreszeitraum auf 5,895 Mrd. Dollar. Für ein Land, das über ein chronisches Zahlungsbilanzproblem verfügt, ist dies eine außerordentliche Entwicklung. Hintergrund ist vor allem, dass aufgrund der Schwäche der Türkischen Lira seit August 2018 die Importe stark zurückgegangen sind. Lag die Deckung der Importe durch Exporte vor der Abwertung bei 67.4 Prozent, so lag diese Relation von August bis Dezember 2018 bei 89,5 Prozent. Im September 2019 wird dieses Verhältnis mit 87,5 Prozent angegeben. Doch die Schwäche der TL hat nur wenig zur Belebung des Exports beigetragen. Seit Jahresbeginn lagen die monatlichen Zuwachsraten bei starken Schwankungen bei 2,2 Prozent.

Diese Entwicklung hat sich auch auf die Industrieproduktion niedergeschlagen. Im September 2019 wurde erstmals wieder das Niveau des Vorjahresmonats übertroffen und ein Zuwachs von 3,4 Prozent erreicht.

Doch die positive Zahlungsbilanz ist nicht nur Ausdruck der Wirtschaftskrise. Ein wichtiger Faktor ist die erneute Belebung des Tourismus sowie eine Senkung der Weltmarktpreise für Energie. Die Stabilisierung der Industrieproduktion und die Belebung des Tourismus scheinen jedoch keine Lösung für den Arbeitsmarkt zu bieten. Im Zeitraum Juli-September blieb die Arbeitslosenquote bei 14 Prozent, die Beschäftigung ging im Jahreszeitraum um 789.000 Personen zurück. Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte ein Niveau von 27,4 Prozent.