Istanbul Post

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Die Woche vom 9. bis zum 16. April 2021

An mehreren Orten wurden Transparente der CHP, die nach dem Verbleib von 128 Mrd. Dollar der Zentralbankreserven fragen, polizeilich abgenommen. Eine überzeugende Antwort auf die Frage dagegen steht nach wie vor aus. Wie nicht anders erwartet, hat die türkische Zentralbank den Zinssatz von 19 Prozent beibehalten. Aus der Erklärung kann abgeleitet werden, dass keine neuen Zinserhöhungen geplant sind und vermutlich bei erster Gelegenheit zur Zinssenkung übergangen wird.

Zwei Staatsbesuche

Inmitten der steigenden Spannungen zwischen Russland und der Ukraine besuchte der ukrainische Präsident mit einer Delegation die Türkei. Und kurz darauf fand der erste Besuch des neuen lybischen Ministerpräsidenten in der Türkei statt. Zugleich zeigten die Versuche der türkischen Regierung, die Beziehungen zur Ägypten zu verbessern mit dem ersten direkten Kontakt auf Außenminister-Niveau seit 2014 erste Früchte.

Beim Besuch des ukrainischen Staatspräsidenten Zelinski betonte Staatspräsident Erdoğan, dass sich die bilaterale Zusammenarbeit nicht gegen dritte Staaten richte. Angesichts der steigenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland wegen der Lage in den ukrainischen Ostprovinzen war der Adressat dieser Botschaft vermutlich Russland. Einem Bericht des türkischen Dienstes der Deutschen Welle zufolge, scheint diese Botschaft in Moskau jedoch nur bedingt auf Zustimmung zu stoßen. Denn kurz darauf erklärte der russische Außenminister Lawrow, dass die Türkei ihre Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen solle. Gemeinsame Rüstungsprojekte jedoch bilden einen wesentlichen Bestandteil der türkisch-russischen Kooperation.

Für besondere Besorgnis auf russischer Seite sorgt wohl die Lieferung bewaffneter Drohnen an die ukrainische Armee. Nach dem Erfolg dieser Drohnen im aserbaidschanisch-armenischen Krieg um Bergkarabach im vergangenen Herbst haben sie sich als eine wesentliche Waffe herausgestellt. Kommentatoren befürchten, dass sie auf ukrainischer Seite die Bereitschaft fördern könnten, den Versuch zu wagen, ob sie auch gegen die von Russland unterstützten Aufständischen in der Ost-Ukraine erfolgreich eingesetzt werden könnten. Ob die zeitgleich erfolgende Entscheidung Russlands, die Flüge in die Türkei auf zwei pro Woche zu reduzieren, damit in Verbindung steht oder tatsächlich allein auf die Sorge vor der Pandemie beruht, bleibt offen.

Der Ankara-Besuchs des neuen libyschen Ministerpräsidenten Abdülhamid Dibeybe dagegen scheint zur Entspannung im östlichen Mittelmeer beizutragen. Die Bedeutung, die von lybischer Seite dem Besuch zugeschrieben wurde, zeigt sich wohl nicht zuletzt in der Teilnahme von 14 Ministern. Die meisten der unterzeichneten Abkommen beziehen sich auf Bauaufträge an die Türkei, jedoch ist auch eine Medienkooperation zwischen beiden Ländern geplant. Im Vorfeld des Besuchs wurde gemeldet, dass islamische Milizen, die mit der Türkei in Verbindung gebracht werden, abgezogen werden. Ihre Präsenz wiederum war einer der wesentlichen Einwände Ägyptens gegen die Präsenz der Türkei in Libyen.

Die Sache mit den 128 Mrd. Dollar

In seiner Rede vom 13. April 2021 zeigte sich Staatspräsident Erdoğan ziemlich genervt von der Frage und rief dazu auf, in diesen schweren Zeiten zusammenzustehen. Man müsse alles vermeiden, was der wirtschaftlichen Stabilität schaden könnte. Es gibt einen gewissen Widerspruch in diesen Reden – denn es war nicht die erste. Denn wenn er auf der einen Seite die Opposition dazu aufruft, den Mund zu halten, leugnet er auf der anderen Seite, dass es überhaupt irgendwelche wirtschaftlichen Schwierigkeiten geben könnte. Der Verfall der Türkischen Lira ist nichts als böswillige Spekulation und entspricht in keiner Weise dem realen Zustand der türkischen Wirtschaft…

Die Opposition dagegen bleibt hartnäckig. Nachdem ein Transparent der CHP mit der Frage nach den verlorenen 128 Mrd. Dollar Zentralbankreserve durch die Polizei abgehängt wurde, wurde zugleich auch ein Strafverfahren wegen „Präsidentenbeleidigung“ eingeleitet. In der Folge weitete die CHP die Frage zur Kampagne aus, an vielen Orten der Türkei wurden diese Transparente an den Parteibüros aufgehängt – und von der Polizei abgenommen. Der CHP-Vorsitzende Kılıçdaroğlu zeigte sich dabei befremdet, dass in Istanbul neben einem Kranwagen außerdem noch das SEK anrückte…

Die Hauptgeschichte ist eigentlich klar. Kerim Rota, früherer Banker und heute Vorstandsmitglied der Gelecek Partei (Ahmet Davutoğlu) hat sie zusammengefasst. Er beginnt mit einer Analyse von Haluk Bürümçekçi vom 21. März 2019, der nachrechnete, dass es zu einem nicht geklärten Rückgang der Zentralbankreserven gekommen sei. Am 23. März 2019 griff auch Barış Soydan die Frage auf und am 1. April 2019 folgte dann eine umfassendere Analyse wiederum von Haluk Bürümçekçi. Es wurde vermutet, dass die Zentralbank im großen Stil Devisen den staatlichen Banken übertrug, die damit Stützkäufe für die Türkische Lira tätigten. Eine zweite Welle von Devisenverkäufen mit diesem Mechanismus erfolgte von April bis Juni 2020. Hintergrund war, dass die Einkommensverluste von Unternehmen und Haushalten aufgrund der Pandemie nicht durch direkte staatliche Unterstützungen kompensiert werden sollten, sondern durch Kredite. Dazu sollte das Kreditniveau niedrig gehalten werden. Um zu verhindern, dass bei realen Negativzinsen die Devisenkurse in die Höhe schnellen, fand man den Ausweg in diesen Hintertür-Stützkäufen. Der Reservenverlust von 2019-2020 beläuft sich auf 126,3 Mrd. Dollar, wobei allein 93,3 Mrd. Dollar auf 2020 (bis November) entfallen.

Die Vorgehensweise hatte zumindest zwei negative Folgen. Die undurchsichtige Geschäftsführung der Türkischen Zentralbank hat ihrem Ruf schwer geschadet. Der Vertrauensverlust lässt sich über die hohe Risikoprämie (CDS) in barer Münze ausmachen. Zudem sind die Netto-Reserven der Zentralbank in den Negativbereich abgeglitten. Auch fehlende Reserven führen zu einer erhöhten CDS-Risiko-Bewertung.

Die hartnäckige Weigerung der Regierung und der Zentralbank, die Details der Transaktionen offenzulegen, nähren zudem den Verdacht, es könnte zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Wurden einzelne Institutionen/Unternehmen/Personen begünstigt, indem sie zu günstigen Konditionen Devisen erhielten, die sie mit Gewinn weiterverkauften? Dies wiederum schließt der neue Zentralbankpräsident in einer Erklärung vom 16. April 2021 aus und betont, dass alles seine Richtigkeit gehabt hat. Eine wirklich befriedigende Erklärung ist dies nicht.

Polizeilich lässt sich die Frage nach dem Verbleib der Zentralbankreserven kaum lösen. Transparente abzuhängen, erhöht nur die Fragezeichen.

Ermittlungen gegen pensionierte Admirale ausgeweitet

Nach achttägiger Haft wurden die in der Vorwoche festgenommenen pensionierten Admirale mit der Auflage freigelassen, die Provinz ihres Wohnortes nicht zu verlassen. Dass ihnen ohne gerichtliche Anordnung elektronische Fußfesseln angelegt wurden, sorgte für Irritation.

Am 16. April 2021 wurde gemeldet, dass bei sechs weiteren pensionierten Admiralen sowie einem pensionierten General Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden. Zudem wurden sie für die kommende Woche zur Vernehmung einbestellt. Der pensionierte General ist Vorsitzende des Vereins pensionierter Offiziere und hatte in der vergangenen Woche an einem Gespräch mit Verteidigungsminister Akar teilgenommen. Dieser hatte im Anschluss erklärt, auch dieser Verein verurteile den Aufruf der Admirale. Daraufhin meldete sich der Verein zu Wort und erklärte, dass diese Aussage nicht zutreffe. Ob außer dieser Verwicklung weitere Beziehungen zur Erklärung der Admirale bestehen, ist nicht bekannt.

Ein Detail der Produktionsstatistik

In einem Kommentar für die Wirtschaftszeitung Dünya setzt sich Alaatin Aktaş mit der Performanz der türkischen Industrie im Februar auseinander. Er schlägt in diesem Zusammenhang vor, den 11. Juni 2021 zum „Feiertag der Industrie“ auszurufen. Denn an diesem Tag wird das Türkische Statistikinstitut vermutlich vermelden, dass die April-Produktion um 50 Prozent (oder mehr?) gegenüber dem Vormonat gestiegen ist. Aktaş betätigt sich dabei nicht als Hellseher, sondern blickt auf die hohen Produktionseinbußen im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie. Das aktuell als gut bewertete Produktionsergebnis für Februar 2021 hat einen Indexwert von 117,7 Punkten. Der Ausgangspunkt der Statistik ist das Jahr 2015. Betrachtet man also die langjährige Performanz der türkischen Industrie, so hat sie seit 2015 gerade 17,7 Punkte hinzugewonnen. Angesichts des ungünstigen Investitionsklimas ist mit einer baldigen Änderung nicht zu rechnen.

Schadensbilanzen

Am 14. April 2021 meldete die Wirtschaftszeitung Dünya, dass seit dem jüngsten Wechsel an der Spitze der türkischen Zentralbank die Unternehmen an der Istanbuler Börse um 80,6 Mrd. TL (9,78 Prozent) an Wert verloren haben. Vom 19. März bis zum 12. April 2021 ist der Anteil internationaler Anleger an der Börse Istanbul von 45,08 Prozent auf 42,40 Prozent zurückgegangen. Mit 9,4 Mrd. TL Verlust musste die Garantie Bank den größten Schaden hinnehmen. Die Yapı Kredi Bankası verlor um 4,9 Mrd. TL an Wert.

Ungedeckte Schecks

Vor allem im Mittelstand ist es nach wie vor in der Türkei üblich, Zahlungen mit befristeten Schecks vorzunehmen. Der Vorteil für den Schuldner ist offensichtlich: er erhält eine Art Kredit mit der Laufzeit des Schecks, ohne sich mit einer Bank auseinandersetzen oder Zinsen zahlen zu müssen. Der Gläubiger hat den Scheck in der Hand und kann bei Zahlungsverzug vollstrecken. Zudem gilt in der Türkei, dass die Zahlung mit ungedeckten Schecks strafbar ist. Die Strafe beläuft sich auf eine Geldbuße und eine Haftstrafe von 3-5 Jahren.

In Krisenzeiten erweist sich das System jedoch als anfällig. Es gibt ganze Ketten von Gläubiger-Schuldner Beziehungen, die einbrechen können. Während ein Gläubiger eine vereinbarte Zahlung nicht erhält, kann er einem anderen Gläubiger gegenüber seiner Verpflichtung nicht nachkommen. Und auch wenn das Strafrecht zu einer erhöhten Zahlungsmoral führt, so kann es auch zur vollständigen Zahlungsunfähigkeit führen. In einem Beitrag der Tageszeitung Birgün wird berichtet, dass auf einen Scheck, der in Verzug geraten ist, in gleicher Höhe ein Bußgeld verhängt werden kann. Sind mehrere Personen zeichnungsberechtigt, so kann die Höhe des Schecks für jeden Unterzeichner in gleicher Höhe als Bußgeld verhängt werden. Belief sich beispielsweise die ursprüngliche Schuld auf 100.000 TL, so können bei zwei Unterzeichnern 200.000 TL als Bußgeld anfallen. Dies vernichtet die Zahlungsfähigkeit des Schuldners, so dass der Gläubiger leer ausgehen kann… Mit dem Anhalten der Pandemie wird damit gerechnet, dass das Problem der ungedeckten Schecks weiter zunehmen wird.

Keine Änderung bei den Zinsen

Die erste Sitzung des Geldrates der Zentralbank unter Vorsitz von Şahab Kavcıoğlu war mit Spannung erwartet worden. Es wurde entschieden, den Zinssatz von 19 Prozent beizubehalten, was auch weitgehend den Erwartungen der Finanzmärkte entsprach. In der Erklärung zur Zinsentscheidung wurde betont, dass der Zinssatz solange beibehalten werde solle, bis sich deutliche Anzeichen für eine sinkende Inflation zeigten. Zudem erklärte die Zentralbank, dass sie alle Instrumente einsetzen werde, um zur Preisstabilität beizutragen.

Auch wenn die Erwartungen auf einen gleichbleibenden Zinssatz deuteten, ist dies nicht unbedingt eine Politik, die ungeteilte Zustimmung findet. Eine symbolische Zinserhöhung um beispielsweise einen halben Prozentpunkt hätte kaum zusätzliche Kosten verursacht, jedoch deutlich gemacht, dass der neu besetzte Geldrat seine Prioritäten tatsächlich auf die Preisstabilität setzt.