Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 9. bis zum 16. September 2022

Mit einiger Hoffnung bemüht sich das Regierungslager die Diskussionen um den Umgang der sechs verbündeten Oppositionsparteien über den Umgang mit der HDP aufzubauschen. Dass ihre Hoffnung vor der Wahl in Erfüllung geht, wirkt jedoch nicht wirklich wahrscheinlich. Ein Bruch des Bündnisses käme einem politischen Selbstmord für die Partei gleich, die sich für den Bruch des Bündnisses entscheidet. Wirtschaftlich deutet manches auf eine Abschwächung der Konjunktur hin. Offen bleibt, ob die Regierung dies zulässt oder erneut versucht, die Märkte mit Geld zu fluten.

Staatspräsident Erdoğan beim Shanghai-Gipfel in Usbekistan

Am 15./16. September fand in Samarkand in Usbekistan das Gipfeltreffen der Shanhai Kooperation statt. Die Türkei verfügt über den Status eines Dialogpartners und wurde beim Gipfel durch Staatspräsident Erdoğan vertreten. Der Kolumnist der Tageszeitung Karar Yıldıray Oğur merkt dabei an, dass bis zum Treffen der Staatspräsidenten Putin und Erdoğan am 5. August 2022 der Shanghai Gipfel für den türkischen Präsidenten nicht auf dem Plan stand. Auf dem Rückflug von Sotchi erklärte er, dass er auf Bitte von Putin teilnehmen werde.

In türkischen Medien wurden die größten Erwartungen an den Gipfel ohnehin auf das Gespräch Putin-Erdoğan gesetzt. Gehofft wurde auf einen Preisnachlass beim russischen Erdgas oder eine Bezahlung in Türkischer Lira, doch scheint sich dies nicht erfüllt zu haben. Stattdessen wurde anscheinend die Zahlung in Rubel, die bereits in Sotchi vereinbart wurde, konkretisiert worden zu sein. Ein Viertel der Gasimporte aus Russland wird nun in Rubel bezahlt. Außerdem scheint darüber gesprochen worden zu sein, für den Export russischen Getreides türkische Häfen zu benutzen. Zudem erklärte Putin nachdem Gespräch, dass er hoffe, dass das Atomkraftwerk Akkuyu im kommenden Jahr in Betrieb genommen werden könne.

Er führte eine Reihe weiterer Gespräche: mit dem Staatspräsidenten von Aserbaidschan, dem pakistanischen Ministerpräsidenten, dem chinesischen Staatspräsidenten, dem mongolischen Staatspräsidenten, dem indischen Ministerpräsidenten, dem usbekischen Staatspräsidenten und dem iranischen Staatspräsidenten.

Staatspräsident Erdoğan muss eine solche Dichte an Spitzengesprächen genossen haben – westliche Staatschefs zeigen eine deutliche Tendenz, gemeinsame Fotos mit ihm zu vermeiden. Bereits vor dem Gipfel berichtete die Financial Times, dass die USA und die EU besorgt seien, dass Russland türkische Banken benutzen könnte, um die Sanktionen zu unterlaufen. In diesem Zusammenhang werde eine klare Botschaft an Drittländer gesandt, sich nicht am russischen Mir-System für Geldtransfers zu beteiligen. Demgegenüber ist eine solche Beteiligung bei einigen türkischen Banken bereits verwirklicht. Ein Besuch des für den Finanzsektor zuständigen EU-Kommissionsmitglieds Mairead in der Türkei sei vorgesehen.

Ein neues Schuljahr

Am 12. September hat das neue Schuljahr begonnen. In den Supermärkten sind bereits seit zwei Wochen die Kampagnen-Regale mit Schreibwaren gefüllt. Doch Eltern wie Handel stöhnen über den hohen Preisanstieg. In einem Beitrag für die Tageszeitung Birgün weist Mustafa Kömüş darauf hin, dass auch die Lehrer betroffen sind. Ihre Schreibwaren-Pauschale wurde von 1.200 TL im vergangenen Jahr auf 1325 TL in diesem erhöht.

Gestiegen sind auch die Preise für den Schultransfer – sehr zum Nachteil für Kinder aus Dörfern, die in die Stadt fahren. Denn die Preise richten sich nach Entfernung. Da Verkehr zusammen mit Ernährung zu den Warengruppen mit der höchsten Inflation zählen, ist der Schultransfer für viele Familien kaum erschwinglich. Man versucht sich mit Fahrgemeinschaften einzurichten. Oder aber mit Fernunterricht. Denn das Bildungsministerium berichtet, dass die Zahl der Teilnehmer am Fernunterricht deutlich gestiegen ist. Hinzu kommen die niedrigen Gehälter der Fahrer, die immer wieder zu Arbeitsniederlegungen führen. Diese wiederum führen zum Unterrichtsausfall der betroffenen Kinder.

Und dann sind da noch die Schulen, die aufgrund von Risiken erneuert werden sollen. Nach dem Izmir Erdbeben von Oktober 2020 wurden 122 Schulen abgerissen, doch nur 17 konnten bisher wieder errichtet werden.

Die Zukunft des Privatschulsektors ist ein eigenes Kapitel. Auch hier sind die Preise enorm gestiegen und die Gehälter der Lehrkräfte gering. Gleichwohl sind in den letzten Jahren mehrere große Schulträger in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Das Bildungsministerium hat eine Obergrenze für Gebührenerhöhungen festgelegt. Doch da sind die Nebenkosten, wie beispielsweise das Schulessen, die von der Deckelung nicht erfasst werden.

Umstritten sind zudem die Verträge, die das Bildungswesen mit religiösen Vereinen und Stiftungen abgeschlossen hat, mit denen diese quasi Schulpartner werden und ihre Veranstaltungen in den Schulen durchführen können.

Arbeitsmarkt und Zahlungsbilanz

Eigentlich ist es angemessen, bei beiden Statistiken von einer Bilanz zu sprechen. Wikipedia definiert Bilanz als summarische Gegenüberstellung von Werten, die sich ausgleichen. Bei der Zahlungsbilanz sind es die ein- und ausströmenden Devisen. Bei der Arbeitsmarktbilanz entspricht die Erwerbsbevölkerung der Summe, von der Erwerbsbeteiligung (Beschäftigte und Arbeitssuchende) und Unbeschäftigte abgeleitet werden.

Betrachtet man eine Bilanz nur unter Berücksichtigung eines Kennwertes, kann dies leicht in die Irre führen bzw. dazu genutzt werden, in die Irre geführt zu werden. Die Arbeitsmarktstatistik wird meist unter Verwendung der Arbeitslosenquote kommuniziert. Doch diese ist nicht nur bei der Definition anfällig für Manipulation, sondern auch unvollständig, wenn man nicht zugleich die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung insgesamt berücksichtigt.

Die letzten veröffentlichten Statistiken haben – wie so oft – zu Diskussionen geführt. Wirklich erklärbar sind die Schwankungen zwischen den monatlichen Arbeitsmarktstatistiken des Türkischen Statistikinstituts nicht. Mal gibt es rätselhafte Anstiege bei Industrie- und Frauenbeschäftigung, die im nächsten Monat von genauso rätselhaften Rückgängen gefolgt wird. Dann wieder gibt es einen starken Rückgang der Arbeitslosigkeit, obgleich die Erfahrung eines Großteils der Bevölkerung dies nicht bestätigt.

Bei der Arbeitsmarktstatistik für Juli 2022 wird ein weiterer Rückgang der Arbeitslosigkeit festgestellt. Angesichts des hohen Anstiegs der Lebenserhaltungskosten ist nicht erklärbar, warum sich Tausende von Menschen aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Die einzige Erklärung wäre, dass die aktive Arbeitssuche aufgegeben wurde, weil die Aussicht, eine angemessene Stelle zu finden, als gering betrachtet wird. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass es keine freien Stellen gäbe, sondern dass beispielsweise das Lohnniveau oder der Status der Arbeit zu gering sind.

Bei der Zahlungsbilanz wird von kritischen Ökonomen der starke Anstieg in diesem Jahr hervorgehoben. Von Januar bis Juli 2022 stieg das Defizit um den Faktor 2,7 auf 36,67 Mrd. Dollar. Doch die größte Aufmerksamkeit rief der sog. Rechenfehler hervor. Wenn sich bei Deviseneingängen und –abflüssen eine Differenz ergibt, wird sie durch den „Rechenfehler“ ausgeglichen. Bei einem Zahlungsbilanzdefizit von 4,1 Mrd. Dollar ließen sich Deviseneingänge in Höhe von 5,4 Mrd. Dollar nicht zuordnen. Die Ursachen hierfür können manigfaltig sein und dieser Rechenfehler tritt in jeder Volkswirtschaft auf. Je größer er jedoch ist, desto weniger Aussagekraft hat die Statistik.

In einem Beitrag für die Wirtschaftszeitung Dünya kommentierte Erhan Aslanoğlu die Industrieproduktion im Juli. Diese ist im Juli um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Doch lag diese Anstiegsrate im Juni noch bei 8,8 Prozent. Er wie auch andere Kommentatoren weisen darauf hin, dass diese Entwicklung nicht überraschend ist. Sowohl auf den Auslandsmärkten als auch im Binnenmarkt geht die Nachfrage zurück. Umfragen wie PMI oder die Geschäftsklimaumfrage der Zentralbank zeigen seit Monaten einen Rückgang des Auftragseingangs bei gewachsenem Lagerbestand. Aslanoğlu fragt sich jedoch, wie weit die Regierung bereit ist, eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zuzulassen. Er rechnet darum mit weiteren Zinssenkungen oder Kreditpaketen, die wiederum Inflation und Zahlungsbilanzdefizit anheizen dürften.

Teure Geldpolitik

Die Bloomberg Ökonomin Selva Baziki kommt zu dem Schluss, dass die türkische Zentralbank von Januar bis August verdeckte Stützkäufe zur Stabilisierung der Türkischen Lira mit einem Volumen von 75 Mrd. Dollar getätigt hat. In den Sommermonaten habe das Volumen etwas abgenommen, weil durch den Tourismus mehr Devisen ins Land kamen. Murat Batı von der Nachrichtenplattform T24 wiederum gibt mit Hinweis auf die Budget-Daten für August an, dass die Zahlungen des Schatzamtes für die devisenindexierten Sparkonten eine Höhe von 15 Mrd. TL erreichten. Von Januar bis August ergeben sich damit Kosten in Höhe von 75,6 Mrd. TL. Die devisenindexierten Sparkonten waren im Dezember 2021 eingeführt worden, um ohne eine Zinserhöhung den freien Fall der Türkischen Lira aufzufangen. Ein Teil der Garantie, die fällig wird, wenn nach Ablauf der Laufzeit der Anlage der Devisenkurs höher liegt als der Zinsertrag, wird durch das Schatzamt, der andere Teil durch die Zentralbank gezahlt.

Es liegt auf der Hand, dass diese Ausgaben nicht nötig gewesen wären, wenn nicht im vergangenen Jahr mit undurchsichtigen Zinssenkungen begonnen worden wäre.

Eine andere interessante Entwicklung zeigt sich bei der Inflationsschätzung des Türkischen Statistikinstituts. Es handelt sich um eine Umfrage, an der 40 Experten des Finanzsektors teilnehmen. Die Liste der Teilnehmenden wird einmal pro Jahr aktualisiert. Nach der Aktualisierung in diesem Jahr wurden einige Personen ausgetauscht. Nach diesem Wechsel sank die Abwertungserwartung für die Türkische Lira deutlich. Man könnte an einen Zufall glauben oder hoffen, dass die aktuelle Schätzung richtiger ist als die vorherigen. Doch häufen sich die Anzeichen, dass Statistiken manipuliert werden in einem Maße, dass die Glaubwürdigkeit des Türkischen Statistikinstituts am Boden liegt.