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Die türkische Zentralbank hat ein weiteres Mal die Zinsen gesenkt, während die Zentralbanken der USA und vieler weiterer Länder die Zinsen erhöhen. Die Vorsitzende der Iyi Partei Meral Akşener brachte die Reaktionen mit der Einschätzung auf den Punkt, dass zum Verständnis dieser Entscheidung nicht Wirtschaftswissenschaft, sondern Psychologie herangezogen werden müsse. Politisch naht die Entscheidung über den Gegenkandidaten gegen Staatspräsident Erdoğan bei der Wahl im kommenden Jahr. Es wird immer wahrscheinlicher, dass sich der CHP-Vorsitzende Kemal KIlıçdaroğlu bewerben wird.
Bei einer Auswertungskonferenz seiner Partei erklärte der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu: „Dies muss ich nun endlich wissen: steht ihr hinter mir? Von manchen ist nichts zu hören und andere richten wissentlich oder unwissentlich Schaden an. Entscheidet euch endlich. Werden wir diese Volksfeinde gemeinsam besiegen oder nicht? Wenn ihr hinter mir steht, so möchte ich dies endlich spüren. Ich will wissen, dass ich mich auf euch stützen kann.“
Dieser Vorstoß wurde von den meisten Kommentatoren als klare Botschaft bewertet, dass Kılıçdaroğlu sich um das Amt des Staatspräsidenten bewerben will. Die Treuebekundungen aus seiner Partei erfolgen unverzüglich. Als einer der ersten erklärte Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, der selbst als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde, seine Unterstützung. Auch Mahsur Yavaş, Oberbürgermeister von Ankara und wiederum aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat, schloss sich ebenfalls an.
Entschieden ist die Kandidatenfrage damit noch nicht. Die sechs kooperierenden Oppositionsparteien haben vereinbart, gemeinsam über die Kandidatur zu entscheiden. Ob dies beim Oktober-Treffen erfolgt, ist jedoch offen.
Unerwartet scheint die Entwicklung nicht. Bereits seit einem Jahr ist zu verfolgen, dass Kılıçdaroğlu immer häufiger davon sprach, was er als Präsident tun werde. Zudem machte er deutlich, dass er gegen die Kandidatur eines der beiden Oberbürgermeister sei. Im Frühjahr geriet İmamoğlu nach seiner Schwarzmeer-Reise in die Kritik, weil er auch Journalisten mitgenommen hatte, die eigentlich dem, gegnerischen Lager zugerechnet werden. Er reagierte ungeschickt trotzig, was ihm weitere Kritik einbrachte. Seit dem Sommer ist es still um seine weitergehenden Ambitionen geworden. Yavaş dagegen hatte sich nicht in den Vordergrund gespielt und bot so weniger Angriffsfläche. Folgt man den Umfragen, hat Kılıçdaroğlu zwar eine Chance, doch liegt seine Popularität deutlich hinter der der beiden Oberbürgermeister.
Hohes Wirtschaftswachstum bei hoher Inflation erzeugt bei großen Bevölkerungsteilen nicht das Gefühl eines Aufschwungs, sondern einer langen Krise. Kein Wunder, wenn Parteien für den bevorstehenden Wahlkampf Projekte auf dem Gebiet der Sozialpolitik entwickeln. Den Anfang machte Staatspräsident Erdoğan mit einem ambitionierten Projekt zum sozialen Wohnungsbau. Von 2023-2028 sollen verteilt über alle Provinzen der Türkei 500.000 Sozialwohnungen errichtet werden. Durch langfristige und zinsgünstige Finanzierungen soll ermöglicht werden, dass die Kreditraten eine normale Miete nicht übersteigen. Auch wenn im Hinblick auf die Verwirklichung Zweifel bestehen, so wurden binnen weniger Tage mehr als 3 Millionen Anträge auf die zu errichtenden Wohnungen gestellt.
Ob diese Wohnungen tatsächlich die Zielgruppe erreichen? Nimmt man die schwächsten Kreise der Gesellschaft und bedenkt man, dass ein Mindestlohn nicht zur Ernährung einer vierköpfigen Familie ausreicht, wird schnell deutlich, dass dieser Personenkreis nicht zur Zielgruppe gehört. Doch die hohe Zahl der Antragsteller zeigt, dass der Wunsch nach einem eigenen Haus bzw. Wohnung mächtig ist. Kritische Geister dagegen haben die von der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft TOKI, die Trägerin des Projekts ist, veröffentlichten Daten überprüft und kommen zu dem Schluss, dass die angestrebte Zahl von Wohnungen zwar nicht unerreichbar, wohl aber sehr ambitioniert ist.
Ein anderer Aspekt ist das angestrebte indirekte Ziel, die Preise auf dem Wohnungsmarkt insgesamt zu senken. Als Gründe für den rasanten Anstieg von Mieten und Wohnungspreisen werden neben dem hohen Anstieg der Baukosten vor allem die unzureichende Errichtung von Wohnungen angeführt. Die höchsten Zuwachsraten zeigen hier die Großstädte. Auf diese entfällt jedoch nur ein Teil der vorgesehenen Sozialwohnungen. Hinzu kommt, dass selbst wenn der Plan erfüllt werden kann, die 500.000 Wohnungen nicht sofort, sondern nach und nach über einen Zeitraum von fünf Jahren auf den Markt kommen werden.
Das von Kemal Kılıçdaroğlu vorgestellte Projekt einer Familienversicherung wirkt da auf den ersten Blick etwas weniger schillernd. Im Zuge des Projektes sollen überall dort, wo es Familienärzte gibt, auch Sozialarbeiterinnen angestellt werden. Sie sollen Hausbesuche machen und den Bedarf der Familien feststellen. Zahlungen aus der Versicherung können zwischen 1.000 TL und 5.500 TL – dem aktuellen Mindestlohn – liegen. Die CHP geht davon aus, dass 4,125 Haushalte eine solche Unterstützung erhalten können. Auf die Frage nach der Finanzierung antwortet sie, dass sich die Gelder leicht aufbringen ließen, wenn Verschwendungen auf anderen Gebieten eingestellt würden. Dazu verweisen sie zum einen auf die Brücken und Autobahnen, die in Private Public Partnership Basis errichtet wurden und zum anderen auf die Kosten der devisenindexierten Sparkonten, die Milliarden TL fressen.
Nachdem er in Usbekistan am Gipfel der Shanghai Kooperation teilgenommen hatte, reiste Staatspräsident Erdoğan nach New York, um an der Vollversammlung der Vereinten Nationen teilzunehmen. Seine Rede dort nutzte er, um sich über die aggressive Politik Griechenlands zu beschweren. Und zum Abschluss traf er sich mit US-Geschäftsleuten zu einem Abendessen. Dort erläuterte er das „Türkische Wirtschaftsmodell“. Es handele sich um eine bewusste Präferenz, bei der bei einem Zahlungsbilanzüberschuss Wachstum, Beschäftigung, Produktion und Export gefördert werden. Nun – man sollte es nicht so genau nehmen: seit acht Monaten erzielt die Türkei steigende Zahlungsbilanzdefizite…
Auch wies er darauf hin, dass die Türkei und die USA strategische Partner seien und er im vergangenen Jahr mit Präsident Biden vereinbart hatte, einen Strategiemechanismus zwischen beiden Regierungen zu bilden. Noch vor nicht einmal einer Woche dagegen hatte er auf dem Flug in die USA erklärt, dass es sein Ziel sei, der Shanghai Kooperation beizutreten. Wie es scheint kommt auf den „strategischen Mechanismus“ viel Arbeit zu.
Auch erzählte er, dass von 2003-2021 die Türkei internationale Direktinvestitionen in Höhe von 240 Mrd. Dollar angezogen habe. Er vergaß zu erwähnen, dass seit dem Übergang zum Präsidialsystem die „internationalen Direktinvestitionen“ fast ausschließlich auf Immobilienkäufe von Ausländern zurückgehen.
Der türkische Dienst der Deutschen Welle berichtet, dass das Ministerkomitee des Europarates beschlossen hat, im Fall des inhaftierten Osman Kavala nicht vordergründig auf Sanktionen, sondern zunächst auf den politischen Dialog zu setzen. Kavala befindet sich entgegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Haft. Zuletzt hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem weiteren Urteil festgestellt, dass die Türkei dem ersten Urteil nicht genüge getan habe. Die türkische Regierung wiederum erklärt, sie habe das Urteil umgesetzt. Kavala sei nicht wegen des Prozesses verurteilt worden, zu dem der Europäische Menschenrechtsgerichtshof geurteilt habe.
Der Ministerrat hat außerdem beschlossen, sich mit dem Präsidenten der parlamentarischen Versammlung des Europarates über mögliche Sanktionen aufgrund der Vertragsverletzung abzustimmen. Dies wird vermutlich im Zusammenhang mit der Beratung des Türkei-Berichts des Europarates am 12. Oktober erfolgen.
Vor zwei Wochen habe ich hier über die Beiträge von Yalçın Karatepe und Iris Cibre zur Börse Istanbul berichtet. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Istanbuler Börse eine bemerkenswerte Entwicklung gezeigt. Der Leitindex war innerhalb von zwei Monaten um 43 Prozent, der Bankenindex um 164 Prozent gestiegen. Cibre hatte in ihrem Beitrag gewarnt, dass ein solcher Anstieg, für den es keinen konkreten Anlass gab, zu einem heftigen Absturz führen könne. Der ist dann auch erfolgt. In der vergangenen Woche erfolgten mit Schwerpunkt auf den Bankensektor Verkäufe. Innerhalb von fünf Tagen sank der Leitindex um 16 Prozent, der Bankenindex um 38 Prozent.
Cibre geht davon aus, dass es sich um eine „Operation“ gehandelt habe, die von zwei Gruppen vor zwei Monaten eingeleitet wurde. Wenn sich dies bewahrheitet, so handelt es sich nicht um „Spekulation“, sondern „Manipulation“. Letztere ist strafbar.
Der Absturz der Bankaktien hat eine Menge Anleger viel Geld gekostet. Vorwürfe werden insbesondere gegen die Finanzmarktaufsicht SPK erhoben. Der frühere Vize-Geschäftsführer der Halkbank und spätere Präsident der Börse Istanbul Hakan Atilla beispielsweise erklärte, dass die SPK nicht nur bei plötzlichen Kursverlusten von Aktien eingreifen müsse, sondern auch bei unerwartet hohen Kursgewinnen. Auch Cibre hatte zwei Wochen zuvor die SPK kritisiert und fordert nun die Anwendung der vorgesehenen Strafen sowie mehr Transparenz.
Als Begleitinformation meldet die Tageszeitung Karar, dass der Anstieg der Bankaktien durch das Gerücht ausgelöst worden sei, aus Russland würden 128 Mrd. Dollar an türkische Banken fließen. Und schon wieder sind wir im Grunde bei den Vorwürfen, die Sedat Peker – einer Größe der türkischen organisierten Kriminalität, die sich seit ihrem Bruch mit der AKP mit Enthüllungen beschäftigt. Dieser hatte nicht nur dem früheren Präsidenten der SPK Korruption vorgeworfen, sondern auch auf zwei Inhaber von Webseiten zu Börsengeschäften hingewiesen, die in verschiedene Manipulationen einbezogen wurden und den Propaganda-Teil der Operationen durchgeführt haben sollen. Über Ermittlungen gegen diese Personen ist nichts bekannt. Ebenso wenig wie zur Quelle des Gerüchts des erwarteten Geldes aus Russland.
Eine neue Diskussion wurde zudem durch die staatliche Halkbank ausgelöst, die ankündigte, eigene Aktien zurückzukaufen. Solche Rückkaufaktionen nach einem Kursrückgang sind eigentlich nicht ungewöhnlich, denn sie schützen den Wert des Unternehmens. Doch wenn es sich um eine staatliche Bank handelt, stellt sich auch die Frage, ob nicht auch andere Interessen mit der Entscheidung verbunden sind. Durch die hohen Kursverluste sind einige Trader unter Druck geraten. Kritiker der Entscheidung vermuten, dass es darum geht, einige von ihnen zu retten.
Bei einem Inflationsniveau von 80 Prozent hat die türkische Zentralbank beschlossen, die Zinsen von 13 auf 12 Prozent zu senken. Die Inflation werde, sobald wieder Frieden herrsche, von allein zurückgehen. Doch müsse die günstige Entwicklung bei der Industrie unterstützt werden. Schreibt eine Zentralbank, deren gesetzlicher Auftrag die Geldwertstabilität ist.
Bereits im August hatte die Zentralbank die Zinsen um einen Prozentpunkt gesenkt, jedoch erklärt, dass dies ausreichend sein dürfte. Andere Zentralbanken geben im Vorfeld die Richtung ihrer Geldpolitik bekannt. Die türkische dagegen liebt die Überraschung – was nicht zur Stabilität oder Vertrauen beiträgt.