Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Das wichtigste politische Thema der Woche war die Diskussion darüber, ob die sechs kooperierenden Oppositionsparteien es schaffen, einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten zu finden oder nicht. Mit dieser Frage verbunden ist zugleich auch eine Vorentscheidung über den Grad der angestrebten Zusammenarbeit. Wirtschaftspolitisch gehört zu den interessanten Entwicklungen, dass Staatspräsident Erdoğan in dieser Woche den Schwerpunkt auf Wirtschaftserklärungen legte und dabei auf „weiter so“ setzte.
Die Verabredung der sechs kooperierenden Oppositionsparteien ist, dass sie ihren Präsidentschaftskandidaten gemeinsam bestimmen. Ein Vorstoß des CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu in der vergangenen Woche wurde als verdeckte Bewerbung um diese Kandidatur aufgefasst. Er hatte seine Partei gefragt, ob sie hinter ihm stehe und eine breite Zustimmung erhalten. Doch die Vorsitzende der Iyi Partei Meral Akşener erklärte in einem Fernsehinterview am 27. September 2022, dass die Zusammenkunft der sechs Parteivorsitzenden keine Notariatsfunktion sei und für sie das alleinige Kriterium sei, ob der gemeinsame Kandidat gewinnen wird oder nicht. Es ist kein Geheimnis, dass die Iyi Partei hier im Hinblick auf Kemal Kılıçdaroğlu ihre Zweifel hat.
Ob die Kooperation der sechs Parteien an dieser Frage scheitern wird? Es bleibt zu hoffen, dass sie nicht scheitert, denn es wäre für alle Beteiligten ein schwerer Rückschlag. Zudem lässt sich die Frage des Präsidentschaftskandidaten nicht mehr lange herausschieben. Es entsteht der Eindruck von Zögerlichkeit und bei aller Wichtigkeit gemeinsamer Grundsätze für den Übergang zu einem gestärkten parlamentarischen System wäre es auch gut, wenn die Parteien über konkrete politische Projekte sprächen. Es wird davon ausgegangen, dass Staatspräsident Erdoğan am 28. Oktober die Leitlinien seines Wahlprogrammes vorstellt. Es wäre Luxus, wenn sich die Oppositionsparteien wesentlich mehr Zeit ließen, ihr Programm oder ihre Programme zu präsentieren.
Die jüngste Änderung am Wahlgesetz sieht vor, dass der Staatspräsident vom Verbot staatlicher Quellen zu Wahlkampfzwecken ausgenommen ist. Nicht dass dies in der Praxis eine Rolle spielte. Auch in der Vergangenheit wurden staatliche Quellen für den Wahlkampf in Anspruch genommen. Aber nun wurde dies auch offiziell vollzogen. Die CHP klagte dagegen vor dem Verfassungsgericht. Die Klage wurde mit Stimmmehrheit zurückgewiesen.
Die Parteien erhalten für den Wahlkampf eine zusätzliche Staatshilfe. Unabhängige Kandidaten gehen dabei leer aus und auch solche Parteien, die bisher nicht im Parlament vertreten waren. Wer es genau nimmt, sieht bereits hier das Prinzip der Chancengleichheit verletzt. Doch wenn der Staatspräsident berechtigt wird, jedwelche staatliche Quellen für seinen Wahlkampf einzusetzen, wirkt dies doch wie ein offensichtlicher Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip. Warten wir auf die Urteilsbegründung, damit sie unser Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit wieder herstellt.
In Mersin griffen zwei Terroristinnen ein Gästehaus der Polizei an. Zunächst beschossen sie das Wachhäuschen, nach einem anschließenden Schusswechsel sprengten sie sich selbst in die Luft. Ein Polizist wurde getötet, ein weiterer verletzt. Angaben zu den Hintergründen der Tat werden nicht gemacht.
Aus dem Gefängnis heraus verurteilte der frühere HDP Co-Vorsitzende Selahattin Demirtaş den Anschlag und sprach sich uneingeschränkt dafür aus, auf politische Mittel zu setzen. Auch die HDP verurteilte den Anschlag.
Es folgte eine Schimpfkanonade von Innenminister Soylu, der Demirtaş als „Mörder“ bezeichnete. Interessant: Ihm scheint es lieber gewesen zu sein, wenn sich die HDP hinter den Anschlag gestellt hätte? Oder Demirtaş? Und dann rührt er noch die CHP mit in den großen Topf der Helfershelfer des Terrorismus… Kann man in Sachen Terrorismusbekämpfung größere Fehler begehen?
Bei der HDP, aber auch unter früheren Staatsfunktionären und Intellektuellen hat der Anschlag die Sorge ausgelöst, dass dieser Anschlag Auftakt einer Strategie sein könnte, mit der bereits 2015 ein Klima der Verunsicherung geschaffen wurde, das zu einem Wahlsieg der AKP bei den Novemberwahlen führte. Dass der Anschlag politisch instrumentalisiert wird, lässt sich nicht nur an den Äußerungen Soylus ablesen. Die PKK hat einige Tage nach dem Anschlag die Verantwortung übernommen, jedoch erklärt, dass eine Militante, über die die CHP von Soylu angegriffen wurde, gar nicht beteiligt gewesen sei. Die CHP wiederum erklärt, dass dies dem Innenministerium bereits seit Tagen durch DNA-Test bekannt sei. Weitere Zweifel weckte, dass sich unter den im Zusammenhang mit dem Terroranschlag Festgenommenen der Pressesprecher das Stadt Mersin sowie weitere kommunale Beschäftigte befanden.
Auf der anderen Seite kritisierte die PKK außerdem die HDP und Selahttin Demirtaş, die für einen unbedingten Vorrang der Politik eintreten. Vielleicht setzt die Führung der PKK auf Verhandlungen mit den USA und Russland und nicht auf eine Basis in der Bevölkerung. So wie dies dazu führen wird, ihre Basis zu verringern, dürfte sie im gleichen Maße an Bedeutung auf der politischen Tagesordnung der Türkei verlieren.
Aufgrund der hohen Energiepreise geht die Gemüseproduktion im Treibhaus in Europa zurück. Dies hat zur Folge, dass das Interesse, Frischgemüse zu importieren, stark gestiegen ist. Eine Adresse ist dabei die Türkei. Doch dies muss auch Sorge bei der Regierung ausgelöst haben, denn sie stellte den Export von Tomaten unter Beobachtung. Eine solche Maßnahme wird von Marktexperten als ein erster Schritt zu Exportbeschränkungen betrachtet. Eine solche Absicht wird jedoch bisher vom Handelsministerium dementiert.
Es ist offensichtlich, dass nicht nur in Europa, sondern auch in der Türkei die Preise für Frischgemüse aus Treibhausproduktion stark steigen werden. Die Betriebe mit Treibhausproduktion wiederum benötigen eine Planungsgrundlage. Die Aussicht einer möglichen Exportbeschränkung erhöht das Risiko. Wobei dies natürlich nicht nur für Tomaten, sondern beispielsweise auch für Gurken oder Paprika gilt. Doch hier ist bisher von keinen Maßnahmen die Rede.
Man könnte erwarten, dass das Landwirtschaftsministerium eine erhöhte Nachfrage mit einem Förderprogramm für die Treibhausproduktion beantwortete. Doch aus dieser Richtung ist bisher nichts zu hören.
Die Ministerin für Familie und soziale Dienste Derya Yanık hat erklärt, dass das Budget für soziale Hilfen von 15 Mrd. TL auf 25 Mrd. TL erhöht wurde. Damit soll die Grundbeihilfe für Familien erhöht und der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert werden. Außerdem werden die Beihilfen für Strom und Erdgas erhöht – was den erhöhten Kosten folgt.
Weitere Entlastungspakete sind geplant. Die Streichung von geringfügigen Schulden, eine Lösung für den vorzeitigen Ruhestand, eine Erhöhung des Mindestlohns. Doch stellt sich natürlich dabei die Frage, was aus der Inflation wird. Unter dem Eindruck des hohen Wertverlustes der Türkischen Lira war der Verbraucherpreisindex im Dezember 2021 um 13,58 Prozent und im Januar 2022 um 11 Prozent gestiegen. Sollte in diesem Jahr nicht eine ähnliche Preislawine losbrechen, sollte zum Jahreswechsel die Inflation zurückgehen. Ob und wie weit dies erfolgt hängt nicht zuletzt von den Devisenkursen ab.
In einem Fernsehinterview erklärte Staatspräsident Erdoğan, dass bis zum Jahreswechsel das Zinsniveau auf weniger als 10 Prozent gesenkt werden soll. Er begründet dies mit Investitionen – das Nötigste, was ein Investor brauche, seien niedrige Kreditzinsen.
Weitere Zinssenkungen werden den Druck auf die Türkische Lira verstärken. Zudem halten die Beschwerden der Unternehmen an, dass Banken sehr zögerlich bei der Kreditvergabe seien. In einem Beitrag für die Wirtschaftszeitung Dünya führt der Kolumnist Fatih Özatay dazu aus, dass es nicht so sehr die Kosten sind, die die Banken von einer Kreditvergabe abhalten. Vielmehr sind es die Risiken angesichts einer Finanzpolitik, die jederzeit eine neue Turbulenz auslösen kann. Ebenfalls in der Dünya setzt sich der Kolumnist Alaattin Aktaş mit der Inflationsentwicklung auseinander. Kommt es nicht zu einer Devisenturbulenz, werden die hohen Anstiegsraten im Dezember 2021 und Januar 2021 zu einem Inflationsrückgang führen. Doch abhängig von den Devisenkursen und den Ölpreisen könnte dieser Effekt geringer ausfallen, als erwartet.