Istanbul Post

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Die Woche vom 11. bis zum 18. November 2022

Ein Bombenanschlag auf der Istiklal Caddesi in Istanbul wirft zahlreiche Fragen auf. Umweltverbände reagierten enttäuscht auf die Präsentation bescheidener Emissionsziele bei der Weltklimakonferenz. Manches deutet darauf hin, dass sich das Wirtschaftswachstum im zweiten Halbjahr 2022 verlangsamt. Deutlich wird dies auch an den Arbeitsmarktdaten.

Bombenanschlag auf der Istiklal Caddesi

Am 13. November wurde auf der Istiklal Caddesi in Istanbul eine Bombe gezündet. Dabei starben sechs Menschen, 81 wurden verletzt. Die mutmaßliche Bombenlegerin konnte nur Stunden nach dem Anschlag festgenommen werden. Sie soll die Tat bereits gestanden haben. Die Sicherheitskräfte gehen davon aus, dass sie der PKK angehört. Innenminister Soylu hatte erklärt, dass sie aus Afrin eingereist sei und der Befehl aus Kobani (beide Syrien) ergangen sei.

Unmittelbar nach dem Anschlag wurde ein Berichterstattungsverbot verhängt und verschiedene soziale Medien verlangsamt.

Die PKK hat der französischen Nachrichtenagentur AFP gegenüber ihre Verantwortung für den Anschlag zurückgewiesen und erklärt, sie gehe nicht gegen Zivilisten vor. Da sich sonst niemand zu dem Anschlag bekannt hat, kann man über das Ziel nur mutmaßen. Tolga Şardan von der Nachrichtenplattform T24 weist darauf hin, dass der Anschlag nur zwei Tage nach einer Rede des Innenministers erfolgte, in der dieser erklärt hatte, dass die PKK in der Türkei nur noch über 120 Mitglieder verfüge.

Bereits Ende September hatte die PKK nach langer Pause in Adana ein Gästehaus der Polizei angegriffen. Nachdem der inhaftierte frühere HDP Co-Vorsitzende Selahattin Demirtaş diesen Anschlag klar verurteilte, war es zu einem Dissens mit der PKK gekommen, die diesen zur Selbstkritik aufrief. In der vergangenen Woche hatte sich der frühere AKP-Abgeordnete Mehmet Metiner für einen neuen Anlauf auf einen Prozess zur friedlichen Lösung des Kurden-Konflikts ausgesprochen. Die AKP soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt haben, um Vorschläge zu erarbeiten. Der Anschlag könnte auch dazu gedient haben, solche politischen Prozesse zu behindern.

Reuters gegenüber haben Mitarbeiter der Polizei erklärt, dass auch eine mögliche Verbindung zum Islamischen Staat geprüft wird. Bisher gibt es in dieser Richtung jedoch keine Hinweise.

Gleichwohl gibt es zahlreiche Fragezeichen im Hinblick auf die Verantwortung für den Anschlag. Es wäre der erste Anschlag der PKK, bei dem sie syrisch-arabische Mitglieder einsetzte. Auffällig ist, dass alle bisher bekannten Namen auf einen arabischen Hintergrund hindeuten. Eine der Schlüsselpersonen hat möglicherweise Kontakte zur Freien Syrischen Armee, die von der türkischen Regierung unterstützt wird. Auch wenn die Polizei zahlreiche Ermittlungsergebnisse wie Überwachungsvideos und Aussagen veröffentlicht hat, gibt es bisher keine Angaben zur verwendeten Bombe.

Ein Ende und ein Neuanfang

Die Wirtschaftszeitung Dünya hatte stets eine Sonderstellung in der türkischen Presselandschaft. Sie war die erste und einzige Wirtschaftszeitung des Landes. Sie gehörte keiner der großen Holdings an. Vor drei Jahren wurde sie von der Belegschaft übernommen. Doch am 18. November 2022 teilt sie ihren Lesern mit, dass sie ihre Namensrechte verloren hat. Die Belegschaft hatte das Markenrecht vor drei Jahren mit der Zusicherung gemietet, den Namen später erwerben zu wollen. Doch die Verhandlungen nach Ablauf der drei Jahre führten in die Sackgasse. Ab dem 21. November 2022 wird sie unter dem Titel „Nasıl bir Ekonomi“ (Was für eine Wirtschaft) mit derselben Belegschaft und den selben Grundsätzen ihren Weg fortsetzen. Der Verlust des Namens und der Webadresse werden vermutlich ein Rückschlag. Bleibt zu hoffen, dass die Belegschaft es schafft, diese unabhängige Wirtschaftszeitung am Leben zu erhalten.

Die sechs verbündeten Oppositionsparteien beraten weiter

Aufbruchstimmung fühlt sich anders an. Am 14. November trafen sich die Führer der sechs verbündeten Oppositionsparteien zu einem weiteren Gespräch. Beschlossen wurde, am 28. November 2022 die Vorschläge der sechs Parteien für eine Verfassungsreform der Öffentlichkeit vorzustellen. Wenn man bedenkt, dass die Umrisse des angestrebten „gestärkten parlamentarischen Systems“ bereits im Frühjahr vereinbart wurden, wirkt der bisherige Stand der Gespräche ernüchternd. Im Dezember wollen die Parteien zudem die Beratung über ihren Kandidaten für das Präsidentenamt aufnehmen. Bisher ist nicht bekannt, ob sie auch zu diesem Thema eine Arbeitsgruppe einsetzen wollen, doch zeigen sie sich entschlossen, ihren Kandidaten erst mit der Einleitung der Wahl zu präsentieren.

Während die sechs Parteien den Eindruck einer Koalition vermitteln, treten sie nicht mit gemeinsamen politischen Positionen hervor. Dabei ist es nicht so, dass es an Themen mangelte, mit denen die Bevölkerung unzufrieden ist.

Bei der Nachrichtenplattform T24 setzte sich Osman Ulagay mit der Frage auseinander, warum es trotz vorhandenem Problembewusstsein so wenig Widerstand aus der Wirtschaft und ihren Verbänden gegen die aktuelle Regierungspolitik gibt. Sein Ausgangspunkt sind dabei die Ergebnisse einer Umfrage, die die Wirtschaftszeitung Dünya in Klein- und Mittelbetrieben in Anatolien durchgeführt hat. 82,9 Prozent der Befragten bewerteten dabei die Inflation als derzeit wichtigstes wirtschaftspolitische Problem. Man könnte nun meinen, dass angesichts einer solchen Einschätzung die Wirtschaft auf eine wirksame Inflationsbekämpfung drängte. Doch mit Ausnahme vom Verein türkischer Geschäftsleute und Unternehmer TÜSIAD ist beispielsweise aus den Industrie- und Handelskammern nichts dergleichen zu hören. Zu Erklärung zieht Ulagay ein anderes Ergebnis der Umfrage heran. 47 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen gegenüber dem Vorjahresquartal gewachsen sei. 28 Prozent gaben an, dass es gleich geblieben sei und 25 Prozent, dass es geschrumpft sei. Wenn knapp die Hälfte der Unternehmen in diesem Wirtschaftsumfeld Wachstum verzeichnen konnten, wird das Problem mit der Inflation vielleicht doch nicht als so drängend empfunden.

Doch es gibt auch eine andere Einschätzung, die sich mit den von Ulagay angeführten Befunden vereinbaren lässt und von Tahrik Çelenk in der Tageszeitung Karar vorgestellt wurde. Er beschreibt am Beispiel von Unternehmern in seiner Familie und seinem Bekanntenkreis, dass eigentlich alle während der Amtszeit der AkP ihre Geschäfte ausbauen und an Prestige gewinnen konnten. Er geht davon aus, dass in Wirtschaftskreise der beständige Verfall von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nicht so sehr als ein Problem betrachtet wird, dass sie selbst und ihre Geschäfte betrifft. Zudem glaubt er, dass die Sorge der bisher unentschlossenen AKP-Wähler nicht so sehr einer Gefährdung ihres Lebensstils im Falle eines Wahlsieges der Opposition gilt, sondern, dass ihnen schlicht das Vertrauen in die Führungsfähigkeiten der Oppositionsparteien fehle.

Eine ähnliche Überlegung, obgleich in einem anderen Zusammenhang, stellte Ismet Berkan in seiner Kolumne in der Tageszeitung Karar an. Er widersprach der weit verbreiteten These, dass die AKP die zweite Parlamentswahl in 2015 aufgrund der seit Sommer 2015 ausgebrochenen Gewalt gewonnen habe. Im Juni 2015 war der Friedensprozess auf Eis gelegt und zu einer erneuten militärischen Bekämpfung der PKK übergegangen worden. Zwar hatte die AKP bei der Parlamentswahl im Juni 2015 beträchtlich verloren, doch konnte sie diese Verluste bei der Wahl im November mehr als Wett machen. Als Grund sieht er an, dass das Scheitern der Regierungsbildung im Sommer 2015 in der Bevölkerung die Furcht geweckt hat, ohne Regierung in instabilen Verhältnissen zu leben.

Verknüpft man diese drei Beiträge, ergibt sich daraus ein Bild, in dem einschließlich der Unternehmer breite Bevölkerungskreise verunsichert sind, bisher jedoch nicht davon überzeugt sind, dass die Opposition die Probleme lösen kann. Vor diesem Hintergrund den Akzent der Gemeinsamkeit der kooperierenden Oppositionsparteien auf die Verfassung zu legen, erscheint nicht sehr klug. Denn es fällt schwer, bei diesem Thema Regierungskompetenz zur Schau zu stellen.

Bescheidenes Klima-Ziel

Während der 27. Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich hat Umweltminister Kurum das aktualisierte Klima-Ziel der Türkei vorgestellt. Demnach soll bis 2030 der Anstieg der CO2-Emissionen um 41 Prozent gesenkt werden. Der Anstieg der Emissionen soll bis 2038 anhalten. Umweltverbände hatten darauf gedrängt, dass die Regierung nicht den Anstieg, sondern den Emissionsausstoß insgesamt verringert. Eine Studie der Sabancı Universität, die ebenfalls bei der Klima-Konferenz vorgestellt wurde, berechnet die Kosten, um 2050 das Ziel von „Netto Null Emissionen“ zu erreichen bis 2030 jährlich 10 Mrd. Dollar betragen würden. Dies entspräche nicht einmal ein Prozent des Bruttosozialproduktes.

Der Studie zufolge beträgt das Investitionsvolumen bei der Stromerzeugung, der eine Schlüsselbedeutung zukommt, 36,5 Mrd. Dollar. Durch die Einsparung des Imports fossiler Brennstoffe sinken die Netto-Kosten auf 29 Mrd. Dollar. Beim Verkehr würde der Übergang zu schienengestützten Systemen und Elektrofahrzeugen 12,5 Mrd. Dollar kosten, durch die Einsparung von fossilen Treibstoffen jedoch wiederum 2 Mrd. Dollar erzielt.

Zur Enttäuschung von Umweltschutzorganisationen trug zudem bei, dass Umweltminister Kurum mit keinem Wort auf die Kohle-Politik seiner Regierung einging.

Das bescheidene Klimaziel der Regierung lässt außer acht, dass mit den erforderlichen Investitionen nicht nur Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden könnten, sondern zugleich auch die türkische Wirtschaft eine Modernisierung durchlaufen würde, die sie international wettbewerbsfähiger machen würde. Und die Umstellung auf erneuerbare Energien würde tatsächlich einen Beitrag zur Lösung des chronischen Zahlungsbilanzdefizits leisten.

Deutlich wird die Zwiespältigkeit auch in der Haltung der türkischen Wirtschaft zur Politik zum Klimawandel. Die Tageszeitung Dünya berichtete über den 17. Wettbewerbskongress, der unter Beteiligung von Geschäftsleute, Akademikern und Beamten durchgeführt wurde. Sein Motto war der „doppelte Wandel“, d.h. sich zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit gleichzeitig auf den digitalen Wandel und Maßnahmen gegen den Klimawandel zu konzentrieren. Die Vorsitzenden führender türkischer Wirtschaftsverbände wie TÜSIAD und Türkonfed betonten, dass der doppelte Wandel für alle – vom kleinsten bis zum größten Unternehmen – eine Notwendigkeit ist. Schaut man in die ebenfalls von der Dünya veröffentlichte Umfrage unter anatolischen Unternehmen, geben nur 23,7 Prozent der Unternehmen an, über eine Strategie zum Klimawandel zu verfügen. 47 Prozent schätzten ihre Vorbereitung als „teilweise“ ein, 29,3 Prozent gaben an, über keine Strategie zu verfügen.

Expansion des Arbeitsmarktes verlangsamt sich

In dieser Woche veröffentlichte das Türkische Statistikinstitut die Arbeitsmarktdaten für das dritte Quartal 2022, außerdem legte der Think Tank der Union der türkischen Kammern und Börsen TEPAV seine Analyse der Statistik der Sozialversicherung SGK vor.

Während das Türkische Statistikinstitut einen Rückgang der Arbeitslosenquote von 10,7 Prozent auf 10,0 Prozent meldet, ging zugleich auch die Zahl der Erwerbstätigen zurück. Dies bedeutet, dass ein Teil des Rückgangs der Arbeitslosigkeit darauf beruht, dass Menschen ihre aktive Suche nach Arbeit aufgegeben haben und damit nicht mehr als arbeitslos bzw. erwerbstätig zählen. Der Anstieg der Beschäftigung wird im dritten Quartal mit 0,4 Prozent angegeben, im zweiten Quartal waren es noch 2,3 Prozent. Bei der Industriebeschäftigung wird ein Rückgang von 103.000 Arbeitsplätzen verzeichnet, demgegenüber zeigte der Dienstleistungssektor einen deutlichen Anstieg.

Aus den TEPAV-Daten erfahren wir, dass im August die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 1,205 Mio. gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen ist. Im Monatszeitraum lag der Anstieg bei 379.503 Neubeschäftigungen. Doch auch TEPAV vermerkt, dass das Anstiegstempo sich gegenüber dem vergangenen Jahr verlangsamt hat.

Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, dass dieser Trend anhält. Zwar hat die Regierung mit ihrer Niedrigzinspolitik beständig versucht, das Wirtschaftswachstum und damit auch die Beschäftigung zu steigern, doch führt die weltweite Konjunktur zu deutlichen Grenzen dieses Ansatzes. Im Inland wiederum hemmt die hohe Inflation die Wirtschaftsaktivitäten.

Der linke Gewerkschaftsbund DISK wiederum weist darauf hin, dass bei einer Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter von 64,7 Millionen Menschen die Zahl der sozialversicherten Vollzeitbeschäftigten bei 21,8 Mio. liegt. Bei Frauen liegt dieser Anteil bei 18 Prozent.