Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Bis zum Wochenende ringen die Parteien noch um die Kandidatenlisten für die Parlamentswahl, dann kann in der kommenden Woche der eigentliche Wahlkampf beginnen. Schüsse auf Parteigebäude und fiktive Wähler in rechtskräftigen Wählerlisten schüren dabei die Sorge, was in der sich weiter aufheizenden Stimmung noch alles passieren kann. Derweil hat das Türkische Statistikinstitut ein weiteres Mal Inflationsdaten vorgelegt, die nicht schlüssig, sondern erklärungsbedürftig sind.
Am 9. April 2023 werden die Kandidatenlisten für die Parlamentswahl eingereicht. Die Parteienbündnisse stehen fest, antreten werden das Regierungsbündnis, das Bündnis aus sechs Parteien, das Links-Bündnis und ein Rechts-Bündnis. Da bei dieser Wahl jedoch die Bündnisse nur im Hinblick auf die 7prozentige Sperrklausel für den Einzug in das Parlament angewendet werden, kommt den Kandidatenlisten eine besondere Bedeutung zu. Das Wahlsystem begünstigt die größeren Parteien. Kleinere Parteien haben meist nur dann eine Chance ein Parlamentsmandat zu erringen, wenn sie auf der Liste einer größeren Partnerpartei antreten. Auf der anderen Seite wirkt dies für ihre Anhänger nicht unbedingt motivierend, weil sie ihre Partei nicht auf dem Stimmzettel finden.
In den letzten zwei Wochen gab es ein zähes Ringen innerhalb der Bündnisse. Im Regierungslager sorgte die Ankündigung der MHP, landesweit mit eigenen Listen antreten zu wollen, für Auseinandersetzungen. Im 6er Bündnis erwogen Saadet, Gelecek Partei und Deva gemeinsame Listen zu erstellen, doch scheint dies wieder verworfen. Beim Links-Bündnis scheint es eine Einigung zwischen HDP und TIP zu geben, dass letztere in einigen kritischen Provinzen auf eine eigene Liste verzichtet.
Zugleich werden Überraschungskandidaten gesucht, die mit ihrer Prominenz zum Erfolg beitragen sollen. Die HDP beispielsweise hat den Journalisten Hasan Cemal und Cengiz Çandar die Kandidatur angeboten. Die AKP hält sich noch bedeckt, doch hat ihr Vorsitzender Erdoğan ebenfalls Überraschungen angekündigt.
Als erste Partei gab die MHP am 7. April ihre Kandidatenliste bekannt. Sie tritt tatsächlich in allen Provinzen mit eigenen Kandidaten an. Große Überraschungen gab es nicht. Von ihren derzeit 48 Abgeordneten werden fünf nicht wieder kandidieren. Ein Abgeordneter, der im Zusammenhang mit den Ermittlungen um die Ermordung des früheren Vorsitzenden der Grauen Wölfe Sinan Ateş auf die Tagesordnung gekommen war, erhielt einen Listenplatz, auf dem er kaum Chancen auf eine Wiederwahl hat.
Am 31. März 2023 wurde auf das Gebäude der Istanbuler Zentrale der Iyi Partei geschossen. Der Täter konnte binnen weniger Stunden ermittelt werden. Es soll sich um einen Wachmann handeln, der auf Diebe geschossen habe. Das Geschoss habe die Parteizentrale also nur zufällig getroffen.
Am 6. April wurde auf die Istanbuler Parteizentrale der CHP geschossen. Der Vorfall ereignete sich am frühen Morgen, so dass keine Personen gefährdet wurden. Die Geschosse konnten bisher nicht gefunden werden, jedoch wurden Patronenhülsen gefunden.
Das beide Vorfälle zu Beginn des Wahlkampfes erfolgten, zeigt wohl deutlich, wie stark die Stimmung in den politischen Lagern aufgeheizt ist.
Die Frist für die Prüfung der Wählerverzeichnisse ist abgelaufen. Doch nach ihrem Ablauf stellte jemand in Istanbul-Beylikdüzü fest, dass in dem Appartement, in dem er wohnt, nicht existierende Personen in das Wählerverzeichnis eingetragen waren. Seine Nachforschung ergab, dass in dem 15stöckigen Gebäude mit 64 Wohnungen 16 fiktive mit 25 fiktiven Wählern hinzugefügt wurden. Er wandte sich an die Meldebehörde, erhielt jedoch den Bescheid, dass man nichts tun könne, da die Einspruchsfrist abgelaufen sei.
Die Furcht vor Wahlmanipulationen ist in der Türkei traditionell hoch. Gerade nach dem Erdbeben, das eine große Bevölkerungsbewegung hervorgerufen hat, war der Antrag auf die Verwendung nicht löschbarer Tinte bei der Wahl gestellt worden, um zu verhindern, dass Personen doppelt abstimmen. Dies war jedoch vom Hohen Wahlrat mit Hinweis auf eine fehlende Rechtsgrundlage zurückgewiesen worden.
Im konkreten Fall könnte man davon ausgehen, dass mindestens der Verdacht auf Urkundenfälschung und Verstoß gegen das Wahlgesetz bestehen kann. Dies würde erfordern, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen müsste.
Das Verfassungsgericht hat für den 11. April eine Sitzung im Verbotsverfahren gegen die HDP angesetzt, bei der diese ihre mündliche Verteidigung vortragen sollte. Zuvor waren mehrere Anträge der Partei, diese Anhörung auf einen Termin nach den Wahlen zu verlegen, zurückgewiesen worden. Die Anhörung ist der letzte Schritt vor dem Urteil des Verfassungsgerichts. Um das Risiko eines Verbotsurteils im Vorfeld der Wahlen, das eine Kandidatur unmöglich gemacht hätte, zu vermeiden, hatte die HDP darum beschlossen, ihre Kandidaten über die linken Grünen zu nominieren. Den Verzicht auf die Anhörung begründet die HDP damit, dass dies während des Wahlkampfes zeitlich nicht möglich sei.
Am 5. April teilte das türkische Außenministerium mit, dass der türkische Luftraum für den zivilen Flugverkehr zum in der kurdischen Autonomiezone im Nord-Irak gelegenen Süleymaniye gesperrt wurde. Begründet wurde dies mit steigenden Aktivitäten der PKK in dem Gebiet, die sich selbst im Flughafen eingenistet haben soll.
Vordergründig geht es also um Sicherheitsbedenken. Doch es ist ebenso möglich, dass es bei dieser Entscheidung um eine Art Sanktion gegen das kurdische Autonomiegebiet geht oder um die Vorbereitung umfangreicher Luftangriffe im Nord-Irak.
Nach monatelanger Ruhe ist in der vergangenen Woche etwas Bewegung in die Wechselkurse gekommen. Der Euro stieg von 20 TL auf 21 TL. Der Dollar liegt bei 19,25 TL. Vor den Wahlen am 24. Mai wird keine rasante Veränderung erwartet, doch beschäftigen sich internationale Banken mit Prognosen, was danach folgen wird.
Dies hängt zu einem großen Anteil vom Ausgang dieser Wahlen ab. Bei einem Sieg des Regierungsbündnisses wird davon ausgegangen, dass sich die Zinspolitik der türkischen Zentralbank nur geringfügig ändern wird, sondern vor allem durch Vorgaben an die Banken gesteuert wird. Gleichwohl wird auch in diesem Fall von einem Wertverfall der Türkischen Lira ausgegangen. Angesichts der hohen Inflation hat bei etwa gleichbleibenden Devisenkursen in den vergangenen sechs Monaten eine reale Aufwertung der TL stattgefunden, die in einigen Exportzweigen zu beträchtlichen Wettbewerbsnachteilen geführt hat.
Im Falle eines Sieges des Oppositionsbündnisses aus sechs Parteien wird davon ausgegangen, dass die Zinsen der Zentralbank von jetzt 8,5 Prozent auf ein Niveau um 40 Prozent steigen werden. Dies würde auf der einen Seite zu einer schwächeren Wirtschaftsaktivität führen, auf der anderen Seite jedoch auch die Inflation bremsen. Die Investmentbank Morgan Stanley geht in einem Bericht vom 5. April 2023 davon aus, dass beginnend vom vierten Quartal 2023 bis zum Sommer 2024 mit einer Rezession zu rechnen ist, der ab dem zweiten Halbjahr 2024 eine starke Erholung folgen könnte. Doch auch im Falle einer Zinserhöhung rechnet die Bank mit einem Kursverlust der TL, der einen Jahresendstand von 24 TL pro Dollar erreichen könnte.
Ercan Uygur hat sich in einem Beitrag für die Nachrichtenplattform T24 mit der Inflationsmessung des Türkischen Statistikinstituts (TUIK) auseinandergesetzt. Nach einer methodologischen Einführung, in der er Kollegen zitiert, die erklären, dass die vom TUIK angegebene Inflation in nur einem sehr losen Zusammenhang zur Wirklichkeit steht, weist er auf das Plausibilitätsproblem bei der Entwicklung in einer Untergruppe hin. Bei Bekleidung und Schuhen liegen die Werte von TUIK deutlich unter der Anstiegsrate, die von der Handelskammer Istanbul ermittelt wurden. Dies ist an und für sich nichts Neues. Auch beim Inflationsniveau insgesamt zeichnet sich seit mehr als einem Jahr eine deutliche Differenz zwischen beiden Werten ab. Doch bei Bekleidung und Schuhen geht es nicht nur um einen Niveauunterschied. Während TUIK in den vergangenen drei Monaten einen Rückgang der Inflation in dieser Gruppe feststellt, misst die Handelskammer Istanbul einen Anstieg. Als Referenz hat Uygur außerdem noch die Kreditkartenausgaben in diesem Segment für diesen Zeitraum herangezogen. Diese liegen deutlich über dem Anstieg, wie er von der Handelskammer Istanbul ermittelt wurde. Dies sei jedoch nicht verwunderlich, da auch in anderen Ländern festgestellt wurde, dass bei hoher Inflation Konsumenten dazu übergehen, stärker auf Kreditkarten zurückzugreifen. Doch von der von TUIK festgestellten Verlangsamung des Preisanstiegs ist bei den Kreditkartenausgaben keine Spur zu finden.