Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Die Vorsitzende der Iyi Partei Meral Akşener hat sich nun fürs Erste festgelegt: Ihre Partei wird bei den Kommunalwahlen mit eigenen Kandidaten antreten und keine Bündnisse eingehen. Bleibt abzuwarten, ob sie unter dem Eindruck von Meinungsumfragen bei dieser Haltung bleibt. Denn Chancen hat die Iyi Partei in größeren Städten vermutlich nur, wenn sie mit der CHP kooperiert. Dementsprechend gelassen reagiert auch die CHP – es ist noch Zeit, bis im Dezember die Entscheidungen über die Kandidaten und ihre Strategien fallen. Zunächst konzentriert sich die CHP ohnehin auf die bevorstehenden Parteitage. Die Kreisparteitage sind fast abgeschlossen, es folgen ab der kommenden Woche die Parteitage in den Provinzen. Anfang der Woche fand das lange angestrebte Gipfeltreffen der beiden Staatspräsidenten Putin und Erdoğan auf der Krim statt. Die vage Hoffnung auf eine Erneuerung des Getreideabkommens für die Ukraine erfüllte sich jedoch nicht. Stattdessen gibt es nun Pläne, russisches Getreide über die Türkei nach Afrika zu exportieren. Wirtschaftspolitisch standen die Inflation und die Vorstellung des mittelfristigen Wirtschaftsprogramms im Mittelpunkt.
Die türkische Frauennationalmannschaft hat beim Volleyball die Europameisterschaft gewonnen. Man sollte meinen, dass zumindest bei den Anhängern dieses Sports ungeteilte Freude herrschen sollte. Doch unversehens wurde das Ereignis zu einem weiteren Austragungsort des Kulturkampfes. Die sexuelle Orientierung einer der Spielerinnen wurde zum Thema. Dass sich die Spielerin nicht versteckte, sondern sich öffentlich wehrte, machte die Sache nicht besser. Es wäre wahrscheinlich, dass der Staatspräsident, wäre es nicht zu dieser Diskussion gekommen, es nicht versäumt hätte, sich mit dem siegreichen Team zu präsentieren. Statt dessen untersagte der Provinzgouverneur von Istanbul eine öffentliche Ausstrahlung des Finalspiels auf dem Taksim Platz, die die Großstadtverwaltung organisieren wollte.
Ein weiterer Akt des Kulturkampfes wurde in dieser Woche wiederum in Istanbul fortgeführt. In Feshane findet eine von der Großstadtverwaltung organisierte Ausstellung zeitgenössischer Kunst statt. Konservative Kreise protestieren dagegen. Sie erklären, es seien nackte Menschen zu sehen, Homosexualität sei im Spiel und Satanismus. Ein Exponat wurde beschädigt. Und nun hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Ob wegen der Beschädigung der Skulptur ist nicht bekannt. Bekannt ist, dass sie gegen die Großstadtverwaltung ermittelt, weil der Verdacht besteht, die Ausstellung könnte einen Teil der Bevölkerung gegen den anderen aufhetzen.
In den beiden Wochen zwischen den zwei Wahlgängen war ein wichtiger Diskussionspunkt, wie die mehr als fünf Prozent, die der Kandidat des rechtsextremen Wahlbünbnisses Sinan Oğan erhalten hatte, für die Opposition gewonnen werden könnten. Als Kandidat dieses Bündnisses verhandelte daraufhin Kemal Kılıçdaroğlu mit Ümit Özdağ, dem Vorsitzenden der Zafer Partei. Deren Wahlbotschaft bestand in „Ruhe und Ordnung“ und „Syrer raus“. Özdağ erklärt, er habe die schriftliche Zusicherung, dass ihm im Falle eines Sieges von Kılıçdaroğlu das Amt des Innenministers übertragen worden wäre. Zudem spricht er von zwei weiteren Ministerien für seine Partei, über die er jedoch keine schriftliche Zusicherung vorweisen könne.
Am 26. Mai 2023, also zwei Tage vor der zweiten Abstimmung, unterzeichnete Kemal Kılıçdaroğlu ein Dokument, mit dem er Pernaz Mahpeyker Yaman zu seiner Beraterin ernannt. Ihr Themengebiet sollte Frauen- und Familienpolitik sein. Später stellte sich heraus, dass die frühere AKP-Politikerin mit Beiträgen gegen Atatürk und den Laizismus in sozialen Medien aufgefallen war. Kılıçdaroğlu erklärte, er hätte die Ernennung nie vorgenommen, wenn er von diesen Äußerungen gewusst hätte. Er sei so kurz vor der Wahl einfach zu sehr eingespannt gewesen.
Einen Rechtsextremen zum Innenminister und eine frühere AKP-Politikerin als Beraterin für Frauen und Familienpolitik? Beide Entscheidungen erwecken den Eindruck, dass es in der Schlussphase nur noch darum gegangen ist, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen – komme was wolle. Der Glaubwürdigkeitsverlust ist ebenso verheerend, wie der Rechtfertigungsversuch. Denn wer möchte schon gern einen Staatschef haben, der Personalfragen trifft, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen? Denn ein türkisches Staatsoberhaupt hat immer viel zu tun…
Die Istanbul Planungsagentur, die zur Großstadtverwaltung gehört, hat die Kosten einer vierköpfigen Familie in Istanbul mit 42.593 TL ermittelt. Damit sind die Ausgaben gegenüber dem Vormonat um 9,69 Prozent, gegenüber dem Vorjahresmonat um 54,34 Prozent gestiegen. Als Betrag wird die Kostensteigerung mit 3.765 TL angegeben.
Natürlich handelt es sich um Durchschnittsangaben. In einigen Vorstädten dürften die Kosten geringer sein, in der Innenstadt höher. Der Netto-Mindestlohn beträgt seit dem 1. Juli 2023 11.402 TL. Es werden also mehr als drei Mindestlöhne benötigt, um die erforderlichen Ausgaben für die Familie tätigen zu können. Betrachtet man den Betrag der Ausgabensteigerung, so liegt nahe, dass bereits im zweiten Monat seit der Erhöhung des Mindestlohns diese weitgehend von der Inflation aufgefressen wurde.
Nach der Veröffentlichung der Inflation für August durch das Türkische Statistikinstitut gerät zudem Bewegung in die Inflationsschätzung für die kommenden Monate. Das Institut hatte den Anstieg der Verbraucherpreise mit 9,09 Prozent im Monatszeitraum angegeben und lag damit erstmals höher als die Rate von ENAG, einer akademischen Arbeitsgruppe, die 8,59 Prozent angegeben hatte.
Es wurde mit großer Spannung erwartet, weil sich die Öffentlichkeit Aufschluss darüber versprach, ob die bei der Geldpolitik eingeleitete Kehrtwende sich auch im wirtschaftlichen Gesamtprogramm für die kommenden drei Jahre niederschlagen würde. Das Dokument enthält zum einen Schätzwerte für wichtige volkswirtschaftliche Indikatoren und zum anderen politische Leitsätze für die Wirtschaftspolitik. Im Hinblick auf die Indikatoren sieht das Programm vor, dass die Inflation zum Jahreswechsel auf 65 Prozent ansteigen wird. Damit liegt das Programm um drei Prozentpunkte über der bereits zwei Mal nach oben revidierten Schätzung der Zentralbank. Gleichwohl wird davon ausgegangen, dass 70-75 Prozent erreicht werden.
Ein Schwerpunkt des neuen Programms für 2024-27 ist dementsprechend die Inflationsbekämpfung. Im kommenden Jahr soll die Inflation auf 33 Prozent sinken, 2027 soll sie nur noch 8,5 Prozent betragen. Zugleich geht das Programm davon aus, dass der Dollarkurs im kommenden Jahr um 44 Prozent steigt. Bei einem solchen Wertverlust der Türkischen Lira wirkt eine Halbierung der Inflation mindestens optimistisch. Man könnte mit den Schultern zucken und sagen, dass eine Fehleinschätzung nicht so wichtig ist. Doch Finanzminister Şimşek erklärte, dass künftig Lohnerhöhungen sich am Inflationsziel zu orientieren haben.
Ein anderer Aspekt ist das Dilemma, dass Inflationsbekämpfung in der Regel auf Kosten des Wirtschaftswachstums geht. Hier sieht das Programm ein durchschnittliches Wachstum von 4,5 Prozent vor. Es soll überwiegend durch den Export getragen werden. Demgegenüber soll der Beitrag des privaten Konsums von jetzt mehr als 10 Prozent auf drei Prozent zurückgehen. Die Bevölkerung soll also den Gürtel enger schnallen. Finanzminister Şimşek bemerkt tröstend dazu, dass zwar eine schwierige Zeit bevorstehe, doch dass es allen besser gehen werde, wenn man es einmal geschafft habe.
Bei Licht betrachtet stellte sich die ganze Zeit die Frage, wer für die Kosten des fehlgeschlagenen wirtschaftlichen Experiments der vergangenen zwei Jahre aufkommen soll. Das Programm gibt eine klare Antwort: die Bevölkerung.
Das Programm enthält erstmals auch einen starken Akzent zur „Green Economy“. Die Grundlagen für eine Kohlenstoffsteuer sollen gelegt, die Transformation der Wirtschaft gefördert werden.
Doch über allem schwebt die Frage der Glaubwürdigkeit. Wird die Regierung tatsächlich die politische Entschlossenheit aufbringen, um die Programmziele zu verwirklichen? In zahlreichen Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass das Programm nicht durch Finanzminister Şimşek, sondern durch den Staatspräsidenten und seinen Vize vorgestellt wurde. Dies wird als Signal bewertet, dass die Regierung vollständig hinter dem Programm steht.
Doch allein der Aspekt der Green Economy wirft Fragezeichen auf. Zur Verringerung der Emissionen müsste beispielsweise die Kohlepolitik aufgegeben werden. Dafür gibt es keine Anzeichen. Zur Sanierung des Staatshaushaltes hatte Finanzminister Şimşek alle Ministerien aufgefordert, Sparpläne vorzulegen. Über ein Ergebnis ist nichts bekannt. Demgegenüber legen die ehrgeizigen Einnahmeziele den Gedanken nahe, dass weitere Erhöhungen von Steuern und Gebühren anstehen. Da könnte es leicht zu einem Zielkonflikt mit der Inflationsbekämpfung kommen.