Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 17. bis zum 24. November 2023

Nach einigen Rücktritten von Spitzenpolitiker_innen der Iyi Partei wird nun auch schmutzige Wäsche ausgebreitet. Von irregulären Parteispenden ist die Rede, was in den nächsten Wochen noch zu einer politischen Bombe werden könnte. Die Zentralbank hat ein weiteres Mal die Zinsen erhöht. Dies wird vermutlich zur Stabilisierung der Türkischen Lira und zur Senkung der Inflation beitragen, doch auch die Wirtschaftsaktivitäten senken.

Das Dilemma der Iyi Partei

In den letzten zwei Wochen mehren sich die Austritte von Abgeordneten und Spitzenpolitikern aus der Iyi Partei. Deren Vorsitzende Meral Akşener wiederum sieht kein Problem, für diejenigen, die gehen, werden neue kommen. Erste Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass dies schwierig werden könnte. Das Meinungsforschungsinstitut PIAR geht davon aus, dass die Iyi Partei zurzeit bei fünf Prozent liegt.

Ausgangspunkt für den innerparteilichen Streit ist vordergründig die Vorbereitung auf die Kommunalwahl. Die Partei hat beschlossen, in allen Städten mit eigenen Bürgermeisterkandidaten anzutreten und sich damit vom Bündnis mit der CHP abzuwenden. Während ein Teil der Austretenden diese Entscheidung kritisieren, weil sie vor allem der AKP zu Gute komme, zeigen Übertritte von Iyi Partei Abgeordneten zur AKP, dass es auch deutliche Sympathie für das Regierungslager gibt.

Doch könnte das Problem auch tiefer liegen. Die Iyi Partei ist aus einer Abspaltung von der MHP hervorgegangen, nachdem diese nach dem missglückten Militärputsch 2016 ein Bündnis mit der AKP eingegangen ist, das bis heute anhält. Sie hat dann versucht, sich als konservative-nationalistische Partei zu positionieren und hoffte, auf diese Weise nach einer Schwächung oder dem Zerfall der AKP die politische Mitte zu besetzen. Doch die Parlamentswahlen von 2018 und 2023 zeigen, dass dies nicht erfolgt. Weder gibt es Auflösungserscheinungen bei der AKP noch einen Anstieg der Iyi Partei über 10 Prozent.

Im Zuge des Projekts die politische Mitte zu besetzen, wurden rechtsextreme Politiker wie Ümit Özdağ ausgeschlossen, der bei der Parlamentswahl ein deutlich höheres Ergebnis erzielen konnte als erwartet.

Nach der Enttäuschung über den Ausgang von Parlaments- und Präsidentenwahl wurde kurzfristig ein Parteitag durchgeführt, auf dem Meral Akşener nicht nur mit großer Mehrheit wieder gewählt wurde, sondern sie auch einen härteren Führungsstil ankündigte. Die Kehrseite scheint nun zu sein, dass wichtige Politikerinnen und Politiker keine Wirkungsmöglichkeit mehr in der Partei sehen und sie verlassen.

Die bisherigen Ergebnisse einer Kooperation mit der CHP haben nun gezeigt, dass sie einem Wachstum der Anhängerschaft Grenzen setzen. Die Gräben in der politischen Landschaft der Türkei sind nicht überwunden und die Kooperation mit einem „linken“ Partner stößt manche Wählergruppen ab. Eine Kooperation mit der AKP wiederum stellte die Gründungsidee der Partei in Frage. Die Kernwählerschaft der Iyi Partei scheint jedoch bei fünf Prozent zu liegen und dürfte nur langsam wachsen, so lange nicht andere Parteien einen deutlichen Positionswechsel vollziehen.

Bewegungsraum schaffen

Auf dem Rückflug nach seinem Deutschland-Besuch erklärte Staatspräsident Erdoğan, dass die Wahl des Staatspräsidenten mit absoluter Mehrheit dem politischen System Schaden zufüge, weil es Parteien in Bündnisse zwinge. Er will sich für eine Wahl mit einfacher Mehrheit einsetzen.

Dass dieser Vorstoß bei der Opposition auf Häme stieß, ist leicht nachzuvollziehen. Sie bewerteten den Vorschlag als Zeichen der Schwäche und warfen dem Amtsinhaber vor, nur seinen Posten sichern zu wollen.

Doch der Vorschlag wurde auch als Versuch verstanden, sich von der Abhängigkeit von der MHP zu befreien. Diese verfügt über die komfortable Position, bei wesentlichen Entscheidungen einbezogen zu werden, ohne jedoch in der Regierungsverantwortung zu stehen. Dementsprechend löste die Erklärung des MHP-Vorsitzenden Bahçeli keine Überraschung aus, der für die Beibehaltung der geltenden Wahlregel eintrat.

Ein erster Schritt bei der Justiz

Der Rat der Richter und Staatsanwälte hat einen Richter, dessen Name im Zuge von Korruptionsvorwürfen in der Justiz auf die Tagesordnung gekommen ist, vom Dienst suspendiert. Ob weitere folgen, bleibt offen. Ebenso bleibt offen, ob Anklage gegen ihn erhoben wird.

Rechnungshofberichte vor der Kommunalwahl

Die jährlichen Berichte des Rechnungshofes über die Ergebnisse verschiedener Prüfungen dienen nicht nur zur Verbesserung der Verwaltung oder der Verhinderung von Missbrauch öffentlicher Mittel. Sie sind auch ein Munitionsdepot für die politische Auseinandersetzung. Den Rechnungshof sollte dies nicht interessieren. Seine Existenz basiert auf seiner Objektivität. Zumindest sollte sie es.

Für den Oberbürgermeister von Antalya enthielt der Prüfbericht ein peinliches Detail. Er hatte sich von der Akdeniz Universität, die sich in seiner Stadt befindet, einen Berater engagiert. Dieser wiederum wurde in den Vorstand zweier kommunaler Eigenbetriebe berufen. Und dann hatte er noch einen weiteren Vorstandsposten inne. Er kam also zusammen auf fünf Beschäftigungsverhältnisse. Zwar hat er zuletzt für seine Beratertätigkeit kein Honorar mehr erhalten, diese jedoch nach Erkenntnissen des Rechnungshofes fortgesetzt. Dieser beanstandet nun, dass die Erlaubnis für eine Nebentätigkeit des Beraters beim Hohen Hochschulrat nicht eingeholt wurde. Damit wird aus der ethischen Frage von Mehrfachgehältern von Beamten eine rechtliche. Doch ist die Angelegenheit umso problematischer weil die CHP, die in Antalya regiert, stets die Nebengehälter von Beamten angeprangert hatte.

Auch mit der Metropolverwaltung Istanbul hat sich der Rechnungshof beschäftigt und mehrere Beanstandungen. Am interessantesten sind die Einwände gegen die kommunale Sozialpolitik. An Feiertagen können öffentliche Verkehrsmittel kostenlos genutzt werden. Außerdem können auch bestimmte Personengruppen – wie Rentner über 65 Jahren – die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos nutzen. Der Rechnungshof erklärt nun, dass dies nur auf der Grundlage eines Präsidialerlasses möglich ist. Man sollte meinen, dass der Staatspräsident hier Oberbürgermeister und Metropolrat in Personalunion wird.

Zunahme von Krätze

Seit einigen Wochen wird über die deutliche Zunahme von Krätze berichtet. Sie ist zur häufigsten Diagnose bei Hautärzten geworden, einem Bericht in Gazete Duvar zufolge liegt die Zunahme der Fälle bei 50 Prozent. In dem Beitrag wird Dr. Saffet Erkan zitiert, der erklärt, dass ein Hintergrund die lange Wartezeit auf einen Arzttermin ist, eine andere der Preis für die Medikamente.

Dem Bericht in Gazete Duvar zufolge liegt die Wartezeit auf einen Krankenhaustermin zurzeit bei mindestens einer Woche. In der Zwischenzeit versuchen die Kranken einen Ausweg beim Apothekenbesuch. Doch das wirksamste Medikament wird von der Krankenversicherung SGK nicht übernommen und ist sehr teuer. Ist schließlich die ärztliche Behandlung eingeleitet, so ergibt sich bei den ärztlichen Kontrollterminen wieder das Problem mit der Wartezeit. Dies wirkt sich umso problematischer aus, wenn das zunächst verschriebene Medikament nicht wirksam war.

Ein anderer Hintergrund der Zunahme der Fälle sind die Lebensbedingungen im Erdbebengebiet. Nach wie vor sind die Hygienestandards dort niedrig und viele Menschen leben auf engem Raum zusammen, was Infektionen begünstigt.

Zentralbankzins bei 40 Prozent

Bei der Sitzung am23. November 2023 beschloss der Geldrat der Zentralbank den Leitzins von 35 Prozent auf 40 Prozent anzuheben. Gleichzeitig wurde bekannt gegeben, dass die Zinsen für Kreditkartenzahlungen sowie die für Exportkredite im Dezember nicht angehoben werden. Im Vorfeld der Entscheidung war zwar davon ausgegangen worden, dass die Zinserhöhungen fortgesetzt werden, doch war nur ein Schritt um 2,5 Prozentpunkte erwartet worden.

In ihrer Presseerklärung betont die Zentralbank, dass sich das Zinsniveau mit der neuen Erhöhung langsam dem Gipfelpunkt angenähert habe, die Zinserhöhungen jedoch fortgesetzt würden.

Es wird davon ausgegangen, dass das hohe Zinsniveau zu einer Abschwächung der Wirtschaftsaktivitäten führen wird. Gemildert wird die Wirkung auf die Binnennachfrage jedoch durch die Beibehaltung der Obergrenze für Kreditkartenzinsen sowie die bevorstehende Festsetzung des Mindestlohns. Dieser ist in den letzten Jahren zu einer Art Leitlohn geworden und hat Auswirkungen auf alle Wirtschaftsbereiche. Im Vorfeld der Kommunalwahlen im März 2024 wird von einem starken Anstieg ausgegangen. Doch wie bei den hohen Steigerungen des Mindestlohns in den vergangenen zwei Jahren wird sich zeigen, dass dieser bereits ab dem zweiten Quartal 2024 von der Inflation aufgefressen wird. Selbst die Zentralbank rechnet damit, dass im Mai/Juni die Inflation bei 70 Prozent ihren Gipfelpunkt erreicht. Zugleich wird angekündigt, dass im kommenden Jahr keine weitere Erhöhung des Mindestlohns im Sommer vorgesehen ist. Nach der guten Stimmung vor der Kommunalwahl ist also mit beträchtlichen Kaufkraftverlusten für die Mehrheit der Bevölkerung zu rechnen.