Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 16. Bis zum 23. Februar 2024

Die recht zermürbende erste Phase des Kommunalwahlkampfes ist abgeschlossen. Mit der Einreichung der Kandidatenlisten ist auch die Frage beantwortet, welche Partei an welchem Ort kooperieren wird. Zugleich richtet sich der Blick auf den Tag nach der Wahl. Es wird davon ausgegangen, dass unabhängig vom Wahlausgang erneut zahlreiche wirtschaftliche Erschütterungen folgen werden. Zwar wird dieses Mal nicht mit einem starken Wertverlust der Türkischen Lira gerechnet. Erwartet werden jedoch Steuererhöhungen sowie die Freigabe kontrollierter Preise wie beispielsweise beim Strom. Diskutiert wird auch über Eingriffe bei der Kreditkartennutzung. Was dabei aus der Inflation wird? Umfragen zum Erwartungswert des Verbraucherpreisanstiegs zur Jahreswende klettern langsam über die Obergrenze von 40 Prozent, die sich die Zentralbank informell zum Ziel gesetzt hat. Dies könnte neue Zinserhöhungen erforderlich machen.

Verprellte Kandidaten

Es gibt viele Anwärter auf die Bürgermeisterämter, doch jede Partei kann nur einen (bzw. einen Mann und eine Frau bei der DEM) nominieren. Bei dieser Kommunalwahl wurde bis zum letzten Moment gefeilscht und verhandelt. Es gab Streit und Parteiaustritte. Und dann gibt es noch das Phänomen der Parteiwechsel. Politisch stehen sich CHP und MHP frontal gegenüber. In Ankara-Polat entschied sich die MHP jedoch dafür nicht den früheren Bürgermeister Mürsel Yılıdızkaya, sondern Levent Çağlancı aufzustellen. Yıldızkaya trat daraufhin zur CHP über und wird nun von dieser als Kandidat aufgestellt. Nun fragt sich die MHP bange, ob dieser sicher geglaubte Stadtbezirk vielleicht doch an die CHP fallen könnte. Umgekehrt kann man aber auch fragen, ob es das Bürgermeisteramt war, das Yılızkaya sein Herz für die Sozialdemokratie entdecken ließ. Dasselbe passierte auch in Ankara-Gölbaşı.

Es gibt aber auch Pechvögel. Der amtierende Bürgermeister von Muratpaşa in der Provinz Antalya verfehlte den Abgabeschluss seiner Kandidatur um acht Minuten. Er schob dies auf einen Stromausfall, der die Eingabe seiner Kandidatur verzögert habe. Nun muss der Wahlrat entscheiden, ob er zugelassen wird oder nicht.

Nationalismus

Der Staatspräsident hatte letztens davon gesprochen, dass im Osmanischen Reich die Muslime „Türken“ genannt worden seien. Es sollte wohl ein Kunstgriff sein, die beiden aktuellen ideologischen Wurzeln seiner Partei – Nationalismus und Islam – in einen historischen Kontext zu stellen. Doch wie so oft in solchen Verallgemeinerungen liegt die Tücke im Detail. Zum einen gibt es einige Turkvölker, die sich nicht überwiegend zum Islam bekennen. Und dann gibt es noch die türkischen Staatsbürger, die einer anderen Religion angehören.

Praktisch umgesetzt hat die These von der Gleichbedeutung von „türkisch“ und „Muslim“ das Bildungsministerium. Es wies die Schulen an, keine „untürkischen Feiern“, die gegen nationale Werte verstoßen, durchzuführen. Dazu zähle insbesondere Weihnachten und Ostern. Nun fragte ein Abgeordneter syrisch-christlicher Konfession das Bildungsministerium was denn an beiden christlichen Festen „untürkisch“ sei.

Dumm gelaufen

Die Universität Van wollte 31 Arbeiter einstellen. Der Andrang war groß, zur Auswahl wurde ein notariell überwachtes Losverfahren eingesetzt. Ungewöhnlich ist dies nicht. Ungewöhnlich war jedoch, dass bei zwei Ziehungen hintereinander derselbe Name gezogen wurde. Die Universität erklärte, dass sich dieser Arbeiter zwei Mal beworben habe und es dadurch zu dieser Panne gekommen sei. Oder sollte die Auslosung manipuliert gewesen sein? Und warum hat der Notar nichts gemerkt?

Besinnungslose Profitgier

Die in der vergangenen Woche in der Provinz Erzincan verschütteten neun Bergleute sind nach wie vor nicht gefunden worden. Abraum des Tagebaus war ins Rutschen gekommen und hatte eine Lawine ausgelöst, die auch sicher geglaubte Teile des Bergwerks überrollte.

Ein erster Sachverständigenbericht stellt fest, dass die Abraumhalden um das Bergwerk um ein mehrfaches höher sind, als zulässig. Dies muss den Ingenieuren ebenso bekannt gewesen sein wie der Geschäftsführung. Vielleicht hat es an Verzögerungen bei der Genehmigung der Grubenerweiterung gegeben. Vielleicht war es auch zu teuer, den Abraum abzutransportieren. Dies hat nun den Tod von 9 Menschen und eine Umweltkatastrophe ausgelöst.

Ein weiteres Detail gibt zu denken. Auf älteren seismologischen Karten ist eine aktive Erdspalte eingezeichnet, die das Bergbaugelände durchläuft. Später wurde diese Markierung gelöscht. Ob die Spalte nicht mehr aktiv ist, bleibt offen. Doch dass sie sich nicht mit Abraumhalden verträgt, ist sicher.

Erdbebensicherheit

In Istanbul-Bahçelievler sorgten sich die Bewohner eines Appartements um dessen bauliche Sicherheit. Sie ließen eine Untersuchung durchführen, die zu dem Schluss kam, dass das Gebäude tatsächlich gefährdet war. Also nahmen sie an einem Stadtsanierungsprogramm teil. Sieeinigten sich mit einer Baufirma, die versprach, das Gebäude neu zu errichten und ihnen Wohnungen darin zu überlassen. Doch bei einem Besuch der Baustelle stellte einer der Bewohner, ein Ingenieur Unregelmäßigkeiten fest. Aufgrund der Zweifel wurde ein neues Baugutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kam, dass der vorgesehene Baustahl nicht verwendet wurde und darum statische Bedenken gegen die Sicherheit des Hauses bestehen. Nun ist die Sache vor Gericht, zudem wurde eine Abrissverfügung erlassen. Die Bewohner jedoch stehen einstweilen ohne die versprochenen Wohnungen dar. Und wie es trotz vorgeschriebener externer Bauüberwachung dazu kommen konnte, dass vom Bauprojekt abgewichen wurde, bleibt wohl ebenfalls erklärungsbedürftig.

Derweil ist ein erstes Urteil in den Strafverfahren gegen Bauunternehmer ergangen, deren Gebäude beim Erdbeben vom 6. Februar 2023 einstürzten. In Şanlıurfa wurde ein Bauunternehmer für den Tod von 34 Menschen verantwortlich gemacht und wegen „fahrlässiger Tötung in mehreren Fällen“ zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 18 Jahren verurteilt.

Medienschelte

Der Kandidat der Iyi Partei für das Oberbürgermeisteramt in Istanbul Buğra Kavuncu zeigte sich verärgert. Er wirft den Oppositionsmedien vor, ebenso zu verfahren wie der AKP-treue Nachrichtensender AHaber. Als Beispiel führt er an, dass Journalisten zwei Tage die Wahlkampfaktivitäten seiner Partei begleitet haben. Doch das einzige, was sie zu berichten hatten, war die Frage einer Frau, warum die Iyi Partei das Bündnis mit der CHP aufgegeben habe.

Russland-Sanktionen greifen

Die türkische Regierung musste viel Schelte dafür einstecken, dass sie sich nur an die von der UN verhängten Sanktionen hält und damit einen Großteil der US- und EU-Sanktionen gegen Russland nicht beachtet. Doch im Dezember hatte die US-Regierung ihren Druck verstärkt und drohte ausländischen Banken, die sich nicht an ihre Sanktionen halten, mit Strafen. Seitdem gibt es bedeutende Schwierigkeiten im türkisch-russischen Zahlungsverkehr. Türkische Banken haben Kommissionen eingesetzt, die die Konformität jeder einzelnen Transaktion auf die Konformität mit den Sanktionen prüfen. Dies führt zu Zeitverzögerungen und zur Zurückweisung von Zahlungsanweisungen.

Natürlich gibt es Möglichkeiten, die Banken zu umgehen. Manche türkische Firmen sollen in Russland Tochtergesellschaften gegründet haben, über die sie ihre Transaktionen abwickeln. Selbst das informelle Hawala System wird angewendet, bei dem ein Netz von Geschäften Geld nicht physisch, sondern nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit tauscht.

Auf der anderen Seite fordern nun türkische Exporteure, von der Bestimmung befreit zu werden, ihre Exporteinnahmen in die Türkei einführen zu müssen.

Das Ganze hat im Januar 2024 zu einem Rückgang der Russlandexporte um 39 Prozent geführt. Die Ölimporte laufen anscheinend trotz der Zahlungsschwierigkeiten weiter. Offen bleibt wie lange.

Freie Marktwirtschaft

Das Regulierungsinstitut für den Energiemarkt EPDK hat die Raffinerien aufgerufen, ihre Abgabepreise zu senken. Nach Ansicht des EPDK ergeben sich beträchtliche Gewinnmargen, weil aus einigen Ländern Öl unter den Weltmarktpreisen importiert wird. Dies müsse nun auch an die Verbraucher weitergegeben werden.

Es kling auf den ersten Blick so, wie man es von einer Aufsichtsinstitution erwarten würde. Auch mit Blick auf die Inflationsentwicklung, denn es hat in diesem Jahr bereits mehrere hohe Preissteigerungen bei Treibstoffen gegeben. Auf der anderen Seite wird jedoch angegeben, dass die Steuereinnahmen von Kraftstoffen im Januar um 294 Prozent gestiegen sind. Sollte Inflation bekämpft und Verbraucher entlastet werden, so könnte man wohl auch Hand an die Steuersätze legen.

Inflationsbekämpfung bleibt zentrales Thema

Die türkische Zentralbank hat am 23. Februar 2024 die Zinsen erwartungsgemäß nicht erhöht. Diskutiert wird dabei, ob dies aus ökonomischen oder politischen Erwägungen erfolgte. Eine Annäherung der Inflationserwartung an das Ziel der Zentralbank ist nicht zu erkennen. Ohnehin wartet die Marktakteure auf das Ende der Kommunalwahlen, weil sie davon ausgehen, dass dann andere Spielregeln gelten. Gleichwohl zeigt die Konjunkturumfrage der türkischen Zentralbank, dass zumindest in der Industrie ein Aufwärtstrend zu spüren ist. Der Gesamtindex liegt mit 102 Punkten über dem Schwellenwert für optimistische Erwartungen und der Gesamtauftragseingang liegt ebenfalls im positiven Bereich.