Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 5. bis zum 12. April 2024

Eine Ferienwoche nach den Kommunalwahlen. Obgleich diese noch nicht wirklich abgeschlossen sind. Nach wie vor entscheidet der Hohe Wahlrat über Einsprüche, beschließt auch an manchen Orten eine Wahlwiederholung. Mit einiger Neugierde wird nun erwartet, ob das Regierungsbündnis mit dem Start in eine neue Woche auch Hinweise auf eine neue Politik nach der Wahlschlappe gibt. Bisher hält sich die AKP bedeckt. Kommissionen wurden eingesetzt, die das Wahlergebnis analysieren sollen. Interessant verspricht auch die türkische Außenpolitik zu werden. Für Ende April wird ein Besuch von Staatspräsident Erdoğan im Irak erwartet, Anfang Mai wird er nach Washington reisen, um sich mit Präsident Biden zu treffen. Bei beiden Besuchen wird er vermutlich um Zustimmung für eine große Militäroperation gegen die PKK im Irak und Syrien werben.

Iyi Partei sucht ihren Weg

Nach dem schlechten Ergebnis der Kommunalwahl hatte die Vorsitzende der Iyi Partei einen außerordentlichen Parteitag angekündigt. Inzwischen steht der Termin fest: Am 27. April 2024 wird ein neuer Vorstand gewählt, Meral Akşener wiederum hat erklärt, dass sie nicht erneut kandidieren werde. Während sich bereits vier Kandidaten um die Nachfolge bewerben, scheint sich das Regierungslager Sorgen zu machen. Der MHP-Vorsitzende Bahçeli rief Akşener dazu auf, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Auch der Staatspräsident soll sich eingeschaltet haben.

Meral Akşener war bei der Abspaltung ihrer Partei aus der MHP 2017 mit einiger Erwartung bedacht worden. Immerhin war sie nach Tanju Çiller die erste Parteivorsitzende (wenn man die Doppelspitze von HDP/DEM außer Acht lässt). Die Teilnahme der Iyi Partei an der Parlamentswahl 2018 wurde nur möglich, indem die CHP Abgeordnete an die Iyi Partei „auslieh“. Damit erreichte sie Fraktionsstärke und automatisch das Recht zur Teilnahme an der Wahl. Die Zusammenarbeit beider Parteien wurde um vier konservative Parteien erweitert, die als sechser Bündnis an der Parlaments- und Präsidentenwahl 2023 teilnahmen. Ein erster sichtbarer Sprung in diesem Bündnis wurde im März 2023 deutlich, als Akşener Veto gegen die Präsidentschaftskandidatur von Kemal Kılıçdaroğlu einlegte. Zwar konnte der Streit beigelegt werden, doch mehrten sich die Zweifel an der Tragfähigkeit des Bündnisses.

Nach den Wahlen 2023 beschloss die Iyi Partei eine Kurskorrektur. Sie wollte sich aus dem Schatten der CHP befreien, mit der sie sich eine bedeutende Wählerbasis teilt. Die Abkehr vom sechser Bündnis jedoch erwies sich als Zerreisprobe für die Partei. Wichtige Spitzenpolitiker traten aus. Ein Kommunalwahlkampf, bei dem der Eindruck entstand, Hauptgegner der Iyi Partei sei der frühere Verbündete CHP, ließ die Position der Iyi Partei verschwimmen. War eines der zentralen Identitätsmerkmale bisher die Auseinandersetzung mit dem Regierungsbündnis, so wurden Akşeners Versuche, eine Polemik mit Mansur Yavaş und Ekrem İmamoğlu zu beginnen, von den Anhängern der Iyi Partei nicht mit getragen.

Das Dilemma ist nun ein Doppeltes. Zwar wird jede Partei stark mit ihrem Vorsitzenden identifiziert. Bei der Iyi Partei jedoch ist Meral Akşener die Gründungsvorsitzende. Die Partei verfügt über wenige bekannte Politiker, die den Eindruck vermitteln, an ihre Stelle treten zu können. Das andere Dilemma ist die Positionierung der Partei. Sie benötigt eine klare Verortung in der Opposition, jedoch auch ausreichende Eigenständigkeit gegenüber der CHP.

Eine Demonstration am Taksim Platz

Die Bilder sind eigentlich bekannt. Seit Jahren wird (fast) jeder Versuch, am Taksim Platz im Herzen Istanbuls eine politische Erklärung abzugeben, mit einer Polizeiaktion beantwortet. Dabei klingt Polizeiaktion im Grunde überschaubar. Je nach Thema der Kundgebung kann dies von einer Absperrung des Stadtbezirks bis zur Festnahme von Aktivisten reichen. Bei solchen Festnahmen wird in der Regel nicht unbedingt zimperlich vorgegangen. Zum Standard gehört, dass den Gefangenen die Hände mit Handschellen auf den Rücken gebunden werden. Eigentlich wird als Standard auch von ein bisschen Prügel berichtet, doch so weit ist man dieses Mal wohl nicht gegangen.

Eine Gruppe protestierte am 6. April auf dem Taksim gegen die Fortsetzung des Handels der Türkei mit Israel. Das Thema stößt im konservativen Lager auf heftige Kritik und wird als ein Faktor angesehen, der bei der Kommunalwahl zur Stimmenwanderung von der AKP zur neuen Wohlfahrtspartei (YRP) beigetragen haben soll. Versuche der Regierung, die Zunahme des Handels mit Israel zu dementieren und auf die Palästina-Hilfe, die über Israel erfolge zu schieben, haben selbst in eigenen Reihen nicht überzeugt. Und während also Starbucks und andere westlichen Marken boykottiert werden, haben namhafte Unternehmen, die der AKP und dem konservativen Lager nahestehen, ihren Israel-Handel ausgebaut.

Der Protest auf dem Taksim Platz kam ungelegen, noch ungelegener jedoch die Fotos von den Demonstranten mit zurückgebundenen Armen. Schließlich handelte es sich doch um „unsere Jungs bzw. Mädchen“. Das Innenministerium leitete eine Untersuchung ein, zwei Polizeioffiziere wurden vom Dienst suspendiert.

Doch ohne die Praxis, Meinungskundgebungen auf dem Taksim zu verbieten, verteidigen zu wollen: Woher hätten die Polizisten wissen sollen, dass es dieses Mal nicht opportun war, in bewährter Weise einzugreifen?

Priorität für Osman Kavala

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat beschlossen, eine neue Klage von Osman Kavala zuzulassen und hat der Türkei bis zum 16. Juli 2024 Zeit für eine Stellungnahme gegeben. Bereits zuvor hatte der Gerichtshof das Strafverfahren gegen Kavala als politisch motiviert bewertet und eine unverzügliche Freilassung gefordert. Kavala wurde im Zusammenhang mit den Gezi Park Protesten wegen des Versuchs, die Regierung zu stürzen, zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dagegen sieht keine Beweise, die die Eröffnung eines Strafverfahrens rechtfertigen würden. Die neue Klage von Osman Kavala bezieht sich nun auf die Zeit, die seit diesem Urteil verstrichen ist und die Haftstrafe aufrecht erhalten wird.

Besorgniserregende Bilanz

Im vergangenen Jahr eröffneten die türkischen Staatsanwaltschaften 25.520 Strafverfahren wegen „Präsidentenbeleidigung“ und „Straftaten gegen das Ansehen von Staatsorganen“. Nimmt man die laufenden Ermittlungsverfahren des Vorjahres hinzu, ergibt sich eine Summe von 55.583 Ermittlungsverfahren wegen dieser Straftatbestände. In 7.491 Verfahren gegen 6.879 Personen begann die gerichtliche Strafverfolgung. In 1.602 Fällen des vergangenen Jahres endete das Verfahren mit einem Schuldspruch. Zudem wurde gegen 552 Jugendliche unter 18 Jahren ein Strafverfahren mit diesem Gegenstand eröffnet.

Die Kommunalwahl und die Medienlandschaft

Das Ergebnis der Kommunalwahl ist nicht nur für AKP und MHP eine Niederlage, sondern bedeutet auch für die regierungsnahen Medien einen Einschnitt. Kommunale Ressourcen wurden in Reklamegelder umgewandelt, die nun fehlen werden. Für die regierungsnahen Medien bedeutet dies, dass sie entweder sparen müssen oder aber eine ausgewogenere Redaktionslinie einschlagen müssen. In diesem Zusammenhang wird damit gerechnet, dass einige Tageszeitungen ihre Druckversion einstellen und als Online-Medien weitergeführt werden.

Einschränkungen im Handel mit Israel

Das Handelsministerium hat mitgeteilt, dass gegen 54 Produkte eine Ausfuhreinschränkung nach Israel verhängt wurde. Diese Einschränkung soll bis zur Ausrufung eines Waffenstillstands und der Erlaubnis einer ausreichenden Hilfe für die palästinensische Bevölkerung fortgesetzt werden. Bei den Produkten handelt es sich teils um Baustoffe, aber auch Kabel, Öle oder auch Maschinen. Worin die Einschränkung besteht – z.B. ein besonderes Genehmigungsverfahren oder eine Mengenbeschränkung – geht aus der Meldung nicht hervor. Die Entscheidung trägt jedoch der wachsenden Kritik auch aus den eigenen Reihen Rechnung, dass trotz einer Verurteilung des israelischen Vorgehens im Gaza Streifen der Handel mit dem Land zugenommen hat.

18 Mrd. Dollar Programm mit der Weltbank

Kurz nach Abschluss eines Vertrags für die Förderung der Energiesicherung und der Vorbereitung türkischer Unternehmen auf den Green Deal der EU gab Finanzminister Şimşek bekannt, dass eine weitere Vereinbarung in Höhe von 18 Mrd. Dollar für den Zeitraum 2024-28 erzielt wurde. Das Programm umfasst Bereiche wie die Katastrophenprävention, Energie, Green Deal, Bekämpfung des Klimawandels, Exportförderung, Infrastruktur und Landwirtschaft. Ein Großteil der Mittel soll für Projekte des Privatsektors eingesetzt werden.