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Die Gespräche zwischen den im Parlament vertretenen Parteien gehen weiter und werden von einer Diskussion begleitet, ob es sich um eine „Aufweichung“ der Fronten oder Rückkehr zur Normalität handele. Wirtschaftspolitisch fand die Anhebung der Inflationsschätzung der Zentralbank Beachtung, für kommenden Montag hat Finanzminister Şimşek zudem ein Sparpaket angekündigt, das er mit „strukturellen Reformen“ kombinieren werde.
Es begann mit einem Gespräch zwischen den Vorsitzenden von AKP und CHP. Tags darauf besuchten die Vorsitzenden der DEM die CHP. Diese wiederum besuchte am Dienstag die MHP. Alle Beteiligten erklären, sie wollen den Dialog fortsetzen. Es hat ein wenig Tauwetter eingesetzt.
Was in anderen Ländern normal erscheint, hat für die Türkei der vergangenen Jahre den Charakter einer schnellen Folge von Premieren. Ein Gespräch auf Vorsitzenderebene zwischen AKP und CHP hatte seit acht Jahren nicht mehr stattgefunden. Eines zwischen CHP und MHP seit 2017 nicht mehr. Und so wenig diese Entwicklung ohne Widerspruch bleibt, so intensiv wird auch über die Beweggründe der Parteien diskutiert.
Angesichts des absehbar steigenden Unmuts in der Bevölkerung über die Folgen des Wirtschaftsprogramms wird Staatspräsident Erdoğan daran gelegen sein, die Opposition einzubinden und diesen Unmut in parlamentarische Kanäle zu leiten. Die Position des CHP-Vorsitzenden Özel hat sich seit dem Sieg in der Kommunalwahl zwar gefestigt, gleichwohl verfügt auch der frühere Vorsitzende Kılıçdaroğlu noch über einflussreiche Anhänger. Und dann gibt es als mögliche Rivalen außerdem noch die Oberbürgermeister von Istanbul und Ankara. Die Spitzengespräche dagegen geben Özel die Möglichkeit, sich zu profilieren. Ohne Risiko ist diese Politik jedoch nicht, denn sie muss auch greifbare Ergebnisse zeigen.
Das Vorgehen gegen die Maikundgebung in Istanbul mit den anschießenden Hausdurchsuchungen und Verhaftungen hat deutlich gemacht, dass die Regierung weiterhin entschlossen ist, mit massiver Gewalt gegen alle vorzugehen, die sich jenseits der von ihr gezogenen Linien bewegen. Auch bei seiner Fraktionsrede am Dienstag machte der MHP-Vorsitzende Bahçeli deutlich, dass er sich gegen eine Politikänderung im Hinblick auf die politischen Gefangenen stellt. Ohne ein Entgegenkommen jedoch wird sich schnell Widerstand gegen die Entspannungspolitik einstellen.
Psychologisch hat die Kommunalwahl viel verändert. Die CHP und ihre Anhänger sehen sich im Aufwind und versuchen, ihn zu nutzen, um regierungsfähig zu werden. Dazu erforderlich ist jedoch auch, dass sie in den Kommunen, die sie hinzugewonnen hat, erfolgreich ist. Entsprechend aufgewertet wurde das Ressort Kommunalpolitik in der Parteizentrale. Ganz so wie die AKP vor zwanzig Jahren übernimmt die Parteizentrale die Funktion einer parallelen Kommunalaufsicht. Nach Feststellung der Schulden der neu hinzugekommenen Kommunen sollen Leistungen ausgebaut sowie Vetternwirtschaft und Verschwendung verhindert werden.
Eine zweite Ebene ist die Reform der Partei selbst. Unter dem Slogan „Veränderung“ hatte Özgür Özel im November 2023 den Vorsitz gewonnen. Versprochen wurde dabei ein Satzungsparteitag, der der Partei mehr innerparteiliche Demokratie bringen sollte. Jetzt wird angekündigt, dass dieser Parteitag vom 6.-9. September in Sivas stattfinden soll. Einem Bericht von Ceren Bayar für die Nachrichtenplattform Gazete Duvar zufolge, wurden dafür vom 1.-20. April Vorschläge gesammelt. Mehr als 10.000 sind dabei zusammengekommen. Bis zum 12. Mai werden außerdem auf Kreisebene von den verschiedenen Parteigliederungen Satzungsveranstaltungen durchgeführt. Dem folgt ein Diskussionsprozess auf Provinzebene sowie die Sammlung von Stellungsnahmen zivilgesellschaftlicher Organisationen und Berufskammern. Die Ergebnisse sollen ab dem 1. Juli der Parteizentrale zugeleitet werden.
Nach einem ersten Eindruck kamen viele Vorschläge zur Mitgliedschaft. Diese soll vereinfacht, jedoch auch an bestimmte Kriterien geknüpft werden. Als Beispiele werden die Teilnahme an parteiinternen Schulungen und aktive Mitarbeit in der Partei genannt. Auch an den verstärkten Einsatz digitaler Kommunikationsmittel für die parteiinterne Meinungsbildung ist gedacht.
Das Bildungsministerium wollte mal wieder einen großen Wurf machen und stellte der Öffentlichkeit die Bildungspolitik für das zweite Jahrhundert der Türkei vor. Dass im Zentrum des Entwurfs die Werteerziehung steht, hat zu der spöttischen Replik geführt, dass die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen bereits gelöst sei, so dass nur noch die Werteerziehung bleibe…
Eine Erfolgsgeschichte ist die Bildungspolitik der AKP nicht. Im internationalen Vergleich schneidet das türkische Bildungswesen nicht gut ab. Stattdessen wurde das private Bildungswesen gefördert. Neben finanziellen Anreizen war es zugleich die Fluchtmöglichkeit für Eltern, die ihren Kindern mehr bieten wollten als die „Heranziehung einer frommen Jugend“, wie Recep Tayyip Erdoğan einmal das Bildungsziel der öffentlichen Schulen beschrieben hatte. Doch angesichts der enorm gestiegenen Kosten befindet sich heute auch der Privatschulsektor in der Krise.
Ein anderes Problem ist die Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst. Um politische Einflussnahme zu verringern, ist das Bestehen einer schriftlichen Eignungsprüfung Einstellungsvoraussetzung. Doch zunehmend zeigt sich, dass letztlich das Einstellungsgespräch entscheidend für die Personalentscheidung ist. Dies zu beenden gehörte zu den Wahlversprechen von Staatspräsident Erdoğan im vergangenen Jahr. Nun steht die Einstellung von 20.000 Lehrern auf der Tagesordnung, nicht jedoch die Abschaffung der Einstellungsgespräche. In sich ist die Haltung eigentlich schlüssig: Wer in erster Linie Werte vermitteln möchte, wird dies am besten mit Personal tun, das diese Werte teilt. Dass dies zur Effizienz des Bildungssystems beiträgt, wird jedoch niemand behaupten.
Vor eineinhalb Jahren wurde in Ankara der frühere Vorsitzende der Ülkü Ocakları Sinan Ateş erschossen. Die Ermittlungen zum Mord erregten einiges Aufsehen. Denn die Ülkü Ocakları gehören zum Umfeld der MHP und einige Spuren führten ins Umfeld der MHP-Zentrale sowie zu den Ülkü Ocakları. Der ermittelnde Staatsanwalt wurde ausgewechselt, beschuldigte Personen wieder freigelassen. Und interessanter Weise waren es weniger die früheren Kameraden von Ateş, die sich für die Aufklärung des Verbrechens einsetzten, sondern seine früheren politischen Gegner.
Nun ist Anklage erhoben worden. In einem Kommentar für die Tageszeitung Karar fasst Yıldıray Oğur den Tenor der Anklageschrift zusammen: „Zwei Personen, die einander nicht kannten, gaben bei derselben Person den Mord in Auftrag, um grundlos einen Akademiker zu töten“. Alle politischen Aspekte werden in der Anklageschrift ausgeklammert, so dass die paradoxe Situation entsteht, dass 22 Personen angeklagt werden, ohne dass eine Beziehung zwischen ihnen hergestellt werden kann. Und auch ein Motiv ließ sich nicht finden. Bleibt anzumerken, dass diese Ungereimtheiten nicht allein der Staatsanwaltschaft angelastet werden können, denn die Anklageschrift muss vom Gericht zugelassen werden.
Çimsa, Zementhersteller in der Sabancı Gruppe, hat nach einer Investition von 1,5 Mrd. TL in Mersin eine neue Zementfabrik in Betrieb genommen. Hergestellt wird dort ein CAC-Zement. Verwendet wird er aufgrund seiner Langlebigkeit insbesondere in Kanalisationsrohren. Da für die Herstellung eine besonders hohe Temperatur benötigt wird, ist der Prozess sehr energieintensiv. Bei der neuen Fabrik wurde bis hin zur Nutzung der Abwärme zur Stromerzeugung darauf geachtet, dass das Produkt internationalen Emissionsregeln entspricht und damit in Zukunft nicht Emissions-Zöllen unterliegen wird. Bedenkt man, dass Çimsa in den USA einen Marktanteil von 20 Prozent und in Spanien einen von 50 Prozent hat, ist die Einhaltung von Emissionsregeln nicht nur klimafreundlich, sondern auch eine Voraussetzung für das Geschäft.
Am 6. Mai setzten sich zwei Kolumnisten mit recht unterschiedlicher Einschätzung mit der Entwicklung der Importe auseinander. In der Tageszeitung Karar führte İbrahim Kahveci aus, dass zwar die Außenhandelsbilanz eine Verbesserung um 29,2 Mrd. Dollar im Jahreszeitraum aufweist. Doch diese Verbesserung geht seiner Einschätzung zufolge ausschließlich auf den Rückgang der Importe von Gold und Energie zurück. Bei der Energie wiederum ist der Hauptfaktor der rückläufige Weltmarktpreis. Demgegenüber steige der Import von Konsumgütern weiter an.
Für die Wirtschaftsplattform ekonomim führte Bader Arslan aus, dass er davon ausgeht, dass der Trend rückläufiger Importe – jenseits der Faktoren Gold und Energie – anhält. Im April habe der Import von Fahrzeugen und Zubehör den Import vergrößert. Er geht davon aus, dass die Binnennachfrage sich zwar im ersten Quartal nicht verringert habe, jedoch ab dem Sommer ein spürbarer Rückgang einsetzen wird.
Wie sich die Energiepreise weiter entwickeln, lässt sich nicht vorhersehen. Das Preisniveau hängt weitgehend von den weiteren politischen Entwicklungen im Nahen Osten ab. Dass die Nachfrage der abhängig Beschäftigten aufgrund des Kaufkraftverlustes zurückgehen wird, ist wahrscheinlich. Hinzu kommt der reduzierte Zugang zu Krediten. Doch wenn man auf die Einschätzung von Arslan zurückkommt, dass es insbesondere die Kraftfahrzeugbranche war, die im April die Importe nach oben drückten, so deutet dies auf die höheren Einkommensgruppen als Verursacher hin. Auf der anderen Seite kommt hinzu, dass die Wirtschaftspolitik der Regierung darauf hinausläuft, die Türkische Lira aufzuwerten. Dies könnte die Importnachfrage steigern und neuen Druck auf die Außenhandelsbilanz ausüben.
In ihrem zweiten Inflationsbericht in diesem Jahr hat die Zentralbank die Schätzung der Inflation von 36 Prozent auf 38 Prozent angehoben. Expertenschätzungen liegen dagegen deutlich über 40 Prozent, die der Bevölkerung einer Umfrage zufolge weit über 90 Prozent. Die Bedeutung der Zentralbankschätzung wiederum besteht nicht zuletzt darin, dass sie deutlich gemacht hat, dass sie ihre Schätzung als Ziel auffasst. Um es zu erreichen, muss es einerseits realistisch wirken und andererseits herausfordernd sein. Bedenkt man, dass in den ersten vier Monaten die Verbraucherpreise bereits um 18,72 Prozent gestiegen sind, war eine Korrektur also erforderlich. Ob sie Wirkung auf die Erwartungen in den Finanzkreisen hat, bleibt abzuwarten.