Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Während viele einen Polizeiskandal in Ankara für eine Abrechnung innerhalb des Regierungslagers halten, zeigten die Urteile im Kobane Prozess und die Ablehnung der Verfahrensaufnahme von Osman Kavala, dass die Lehre der Regierung aus der Wahlniederlage wohl ein „weiter so“ ist. Nachdem Finanzminister Şimşek sein Sparpaket vorgestellt hat, fragten sich viele Kommentatoren, das wievielte Paket es ist. Nachhaltig war bisher keines und auch die Chancen des aktuellen werden als mäßig betrachtet.
Am 14. Mai erklärte der MHP-Vorsitzende Bahçeli, dass eine Wiederholung des Komplotts vom Dezember 2013 nicht zugelassen würde. Tags darauf stellte auch Staatspräsident Erdoğan klar, dass er sich nicht von Marionetten einschüchtern lasse. Zudem war er am Dienstagabend mit dem Justizminister und dem Chef des Geheimdienstes MIT zusammengekommen. Was ist also los in Ankara?
Um welche Art Komplott es gehen könnte, bleibt offen. Doch es scheint sich rings um die Ermittlungen gegen Ayhan Bora Kaplan zu entfalten. Dieser war kurz nach dem Amtsantritt von Innenminister Yerlikaya mit dem Vorwurf verhaftet worden, Anführer einer kriminellen Vereinigung zu sein. Ihm direkt werden zwei Morde und weitere Straftaten zugeschrieben. Weiter wird der Vorwurf erhoben, dass Anzeigen gegen Kaplan bei Polizei und Justiz in Ankara niedergeschlagen wurden. Im Zuge der Operation gegen Kaplan wurden zwei Vize-Polizeichefs der Provinz Ankara sowie sieben weitere Polizisten vom Dienst suspendiert. Sie sollen der MHP nahestehen und diese kritisierte auch die Suspendierungen. Und dann gab es einen geheimen Zeugen, der sich selbst dechiffriert hat. In einem Interview erklärte er, er sei von Polizisten zu seiner Aussage gezwungen worden und seine Aussage habe auch frühere Regierungsmitglieder und den Direktor des Sekretariats des Staatspräsidenten betroffen. Im Anschluss daran wurden ein Vize-Polizeidirektor der Provinz Ankara, der Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität, sein Stellvertreter und ein Kommissar vom Dienst suspendiert. Außerdem wird behauptet, dass zwei Polizisten, die von diesen nach Izmir geschickt worden waren, 300.000 Dollar vom Anwalt Kaplans erhalten hätten. Gegen die vier leitenden Polizeibeamten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen gemeinschaftlicher Vorbereitung eines Staatsstreichs eingeleitet.
Die Aussage des geheimen Zeugen bleibt mysteriös. Es gab stets Behauptungen über eine Beziehung zwischen Kaplan und dem früheren Innenminister Soylu. Der amtierende Innenminister hat zahlreiche führende Beamte im Innenministerium und Polizei, die Soylu nahestanden, versetzt oder entlassen. Nun wird Yerlikaya vorgeworfen, dass in seinem Ressort ein Komplott gegen die Regierung geschmiedet wurde. Yerlikaya wurde nicht zur Besprechung beim Staatspräsidenten gerufen, wohl aber der Justizminister und der MIT-Chef. Yerlikaya beteuerte in einer öffentlichen Erklärung seine Loyalität und dass er gegen jede Art Komplott vorgehen werde. Dies lässt offen, ob er glaubt, dass er das eigentliche Ziel der mysteriösen Ereignisse ist.
Ob unter diesen Vorzeichen ein rechtsstaatliches Strafverfahren gegen Kaplan und seine Leute durchgeführt werden kann, erscheint fraglich. Es ist zu einem Politikum geworden, bei dem offensichtliche Beziehungen zwischen organisierter Kriminalität der Öffentlichkeit präsentiert werden. Es steht der Öffentlichkeit nur noch frei zu entscheiden, ob sie die Anhänger Soylus oder Yerlikayas als Intriganten betrachtet. Schaden nimmt dabei auf jeden Fall die Polizei.
Es gab eine vage Hoffnung aufgrund der Normalisierungssondierungen zwischen Regierung und CHP. Spürbare Klimaveränderungen gibt es jedoch nicht. Am 16. Mai 2024 wurde das Urteil im Verfahren um die Unruhen beim Opferfest 2014 gesprochen. Prominenteste Verurteilte sind die beiden seinerzeitigen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş. Beide wurden wegen des Versuchs der Beihilfe zur Störung der staatlichen Einheit zunächst zu erschwerter lebenslänglicher Haft verurteilt, die Strafe dann in 42 bzw. 30 Jahre Haft umgewandelt. Beide bleiben in Haft. Brisant könnte auch die Verurteilung von Ahmet Türk wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ sowie Beihilfe zur Störung der staatlichen Einheit werden. Ahmet Türk war bei der Kommunalwahl zum Bürgermeister von Mardin gewählt worden. Es ist wahrscheinlich, dass er nach dem Urteil abgesetzt und erneut ein Zwangsverwalter eingesetzt wird.
Es war ein Verfahren voller Paradoxien. Zunächst sollte der Tod von sechs Menschen während der Unruhen im Mittelpunkt stehen. Doch alle diesbezüglichen Beweisanträge der Verteidigung wurden abgelehnt. Abgelehnt wurde auch der Anlass für den Demonstrationsaufruf am Opferfest. Das Gericht fand die Belagerung von Kobane durch den IS nicht relevant. Stattdessen wurden dutzende politische Verfahren zusammengerührt. Und das Ergebnis soll natürlich nicht politisch, sondern rechtlich sein. Außer einigen Anhängern der Regierung wird es wohl niemand glauben.
Tags zuvor war auch der Antrag von Osman Kavala, prominentester Häftling im Gezi Park Prozess, auf Wiederaufnahme seines Verfahrens zurückgewiesen worden. Auch hier hatte es eine vage Hoffnung auf eine Veränderung gegeben, die sich nicht erfüllt hat. Interessant ist in beiden Fällen, dass die türkischen Gerichte die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Kavala und Demirtaş nicht einmal erwähnen.
Am 13. Mai besuchte der griechische Ministerpräsident Mitzotakis Ankara. Im Anschluss an den Besuch erklärte Staatspräsident Erdoğan, dass er bei allen Meinungsverschiedenheiten glaube, dass es nichts gäbe, das sich nicht im Dialog lösen ließe. Dass der Besuch stattgefunden hat, kann zugleich als Zeichen politischer Entschlossenheit auf griechischer Seite bewertet werden. Denn die Eröffnung der Chora Kirche, die nach der Eroberung Konstantinopels in eine Moschee und dann nach Republik Gründung in ein Museum umgewandelt wurde, zum islamischen Gebet hatte in Griechenland Kritik am Besuch von Mitzotakis aufgebracht, die er kurz vor der Europawahl eigentlich nicht brauchen konnte.
Stolze 37 Wahlgänge benötigte es bis zur Entscheidung. Denn der Gerichtspräsident wird nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit der Wahlberechtigten gewählt. Zunächst hat es drei Kandidaten gegeben. Der dritte Kandidat hatte sich nach dem 34. Wahlgang zurückgezogen und sich für den amtierenden Gerichtspräsidenten eingesetzt. Zugleich bewarb er sich für die Stelle als Generalstaatsanwalt am Kassationsgerichtshof. Hier wird zwar auch gewählt, doch die Entscheidung über die Berufung fällt Staatspräsident Erdoğan unter den fünf Kandidaten mit den meisten Stimmen. So wurde die Entscheidung für die Kandidatur zum Generalstaatsanwalt und Unterstützung des amtierenden Präsidenten als Einflussnahme der Präsidialverwaltung kommentiert. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der zurückgetretene Kandidat unverzüglich vom Staatspräsidenten zum Generalstaatsanwalt berufen wurde. Gewählt wurde jedoch Ömer Kerkez, der bisher bei der dritten Kammer für Zivilrecht am Kassationsgerichtshof tätig war.
Der neue Generalstaatsanwalt wiederum wurde insbesondere durch den Konflikt zwischen Kassationsgerichtshof und Verfassungsgericht bekannt. Er war Vorsitzender der Kammer, die sich weigerte das Urteil auf Freilassung von Cem Atalay umzusetzen. Das Verfassungsgericht verwies auf die in der Verfassung verankerte parlamentarische Immunität. Die Strafkammer wiederum erklärte diese für verwirkt, weil ein Grundrecht nicht gegen die Verfassung benutzt werden kann. Cem Atalay war im vergangenen Jahr gewählt worden. Kurz nach der Wahl wurde er vom Kassationsgerichtshof wegen seiner Beteiligung an den Gezi Park Protesten zu einer 18jährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Seit September 2023 gehen die Immobilienverkäufe an Ausländer zurück. Sie gehen zurück, obgleich seit einigen Monaten der Verkauf von Immobilien insgesamt wieder ansteigt. Im Februar 2024 stiegen die Verkäufe insgesamt um 17 Prozent, die an Ausländer dagegen gingen um 10 Prozent zurück. Im März lag das Verhältnis bei 12 Prozent zu vier Prozent. Die Handelskammer Istanbul ITO verfolgt diese Entwicklung mit Sorge, denn sie ist überzeugt davon, dass der Hintergrund für das Rückläufige Interesse von Ausländern an Immobilien in der Türkei Fremdenfeindlichkeit ist. Sie sieht für die nahe und mittlere Zukunft diese zunehmende Feindseligkeit als Bedrohung nicht nur für den Immobiliensektor, sondern auch für den Tourismus.
Es stellt sich natürlich die Frage nach der richtigen Bezeichnung. Sollte man lieber Fremdenfeindlichkeit sagen? Oder Rassismus? Der Begriff Fremdenfeindlichkeit beschreibt die Ablehnung ungenau, weil sie in unterschiedlicher Intensität auftritt. Sie richtet sich vor allem gegen Afrikaner und Araber. Ausschlaggebend ist dabei nicht unbedingt die Hautfarbe, sondern das Gefühl der Überlegenheit. Spürbar angestiegen ist diese Ablehnung seit der Aufnahme der syrischen Flüchtlinge. Politisch hoffähig geworden ist sie seit der Ankündigung der CHP, eine freiwillige Rückkehr der Syrer herbeizuführen. Die steigende Armut in der türkischen Bevölkerung verstärkt die Ablehnung, insbesondere in Gesellschaftsschichten, die auf dem informellen Arbeitsmarkt oder auch beim Markt für preisgünstige Wohnungen mit Ausländern konkurrieren.
Güven Sak, Leiter des Think Tanks TEPAV der Union der türkischen Kammern und Börsen (TOBB) hat in einem Beitrag für die Tageszeitung Karar die unverzügliche Schaffung der Rechtsgrundlagen für den Emissionshandel gefordert. Der erforderliche Gesetzentwurf liegt im Umweltministerium eigentlich seit Februar 2022 vor. Um die Notwendigkeit zur Eile deutlich zu machen, weist Sak darauf hin, dass die EU seit Oktober 2023 offiziell mit den Vorbereitungen für Karbon-Steuern bei Importprodukten begonnen hat. Ab Januar 2026 wird diese Steuer für zunächst fünf Produktgruppen erhoben: Stahl, Aluminium, Zement, Strom und Dünger. Auch wenn nicht alle Details festliegen, kann mit einem Preisaufschlag von 37 Prozent auf türkische Exporte in die EU gerechnet werden. Und erhebt die Türkei keine eigene Emissionssteuer, so wird sie bei der Einfuhr von der EU erhoben.
Sak weist darauf hin, dass die Einführung des Emissionshandels nur ein erster Schritt sein kann. Es muss eine Industriestrategie entwickelt werden, die fokussiert auf Schlüsselsektoren die Anpassung an die „grüne Ökonomie“ fördert. Zugleich ruft er dazu auf, diesen technologischen Transformationsprozess zugleich dazu zu nutzen, die Produktivitätsprobleme der türkischen Industrie anzugehen.
Bisher wurde stets kritisiert, dass Finanzminister Şimşek bei der Inflationsbekämpfung vor allem auf eine Drosselung der privaten Nachfrage setze. Erfolgreiche Inflationsprogramme jedoch sind auch mit öffentlichen Einsparungen verbunden. Am 13. Mai hat er nun sein Sparprogramm vorgestellt. Es setzt auf das Einfrieren der Beschäftigtenzahl für die Dauer von drei Jahren. Es sieht ein Verbot der Beschaffung neuer Dienstwagen – egal ob Kauf oder geliehen – vor. Es sollen keine neuen Dienstwohnungen oder Sozialeinrichtungen für Beschäftigte mehr beschafft werden. Beschäftigten im öffentlichen Dienst soll zudem nur noch ein Gehalt aus Aufsichtsratstätigkeiten zustehen, dessen Obergrenze festgelegt werden soll.
Es sind plakative Maßnahmen, die an häufiger Kritik am öffentlichen Dienst ansetzen. Bedenkt man jedoch allein die Kosten, die die devisenindexierten Sparkonten verursachen, sinkt die Hoffnung auf ernsthafte Einsparungen. Festzulegen, dass nur so viele Neueinstellungen erfolgen dürfen wie Personen ausscheiden, ändert nichts an der vielfach gestellten Frage nach der Effizienz des Personaleinsatzes. Je nachdem wie die Regel umgesetzt wird, könnte es sogar zum Rückgang der Effizienz kommen. Und das Verbot der Beschaffung neuer Dienstwohnungen sowie einer wirtschaftlichen Nutzung der vorhandenen dürfte in einigen Sektoren des öffentlichen Dienstes mit überregionaler Personalrotation einige soziale Probleme aufwerfen. Bereits vor dem Sparpaket wurde gemeldet, dass eine Versetzung in eine Metropole derzeit aufgrund der hohen Lebenserhaltungskosten stark an Popularität eingebüßt hat.
Nimmt man auf der anderen Seite die Rechnungshofsberichte – auch wenn nicht jede Beanstandung automatisch sachgerecht sein muss – ergeben sich ganz andere Einsparstrategien. Dies gilt insbesondere für das öffentliche Auftragsvergabe- und Beschaffungswesen.
Wirklich würdigen kann man das Sparpaket jedoch wohl erst, wenn die entsprechenden Vorschriften veröffentlicht werden. Der Finanzminister machte deutlich, dass es nicht nur die Zentralverwaltung, sondern auch die Kommunen betreffen werde. Dies brachte ihm von der CHP den Vorwurf ein, dass die Einsparungen dazu dienen werden, den Erfolg der neu gewonnenen Kommunen zu verhindern. Nach den Rechtsvorschriften wird also auch die Anwendungspraxis zu politischen Auseinandersetzungen führen. Vermutlich um die Verbindlichkeit des Sparprogramms zu betonen kündigte Finanzminister Şimşek außerdem an, dass Verwaltungsstrafen und Bußgelder als Sanktionen vorgesehen werden. Doch auch hier bleiben die Einzelheiten offen.
Die Tageszeitung Karar berichtet, dass türkische Unternehmen sich angesichts der hohen Zinsen für TL-Kredite solchen auf Devisenbasis zuwenden. Der Vorteil ist das niedrige Zinsniveau und die erklärte Politik der Zentralbank, durch eine starke Türkische Lira die Inflation zu bekämpfen.
Neu ist das Phänomen nicht. Vor 15 Jahren war eine solche Entwicklung ebenfalls eingetreten. Sie führt dazu, dass sich enorme Devisenverbindlichkeiten aufhäuften, die ein beträchtliches Risiko für den Privatsektor darstellten. Als sich das Klima änderte und die TL massiv an Wert verlor, sprang die Zentralbank ein. Die Verluste wurden sozusagen verstaatlicht.
Bei der heutigen Entwicklung bleibt die Frage offen, wie lange eine Geldpolitik mit einer starken TL durchgeführt werden kann. Bereits jetzt gibt es ungute Signale von der Leistungsbilanz. Bei den Importen wächst das Gewicht von Konsumgütern.