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Angriffe auf Syrer in der Türkei und Angriffe auf türkische Einrichtungen und LKW in Nord-Syrien sorgten für Diskussionen. Das 9. Justizreformpaket ist in das Parlament eingebracht worden, enthält nun wohl jedoch doch nicht die Verschärfung des Spionagestraftatbestandes, die so weit geplant war, dass sie jede Meinungsäußerung hätte erfassen können. Die Angabe der Inflation für Juni von 1,64 Prozent durch das Türkische Statistikinstitut wurde überwiegend mit Unglauben aufgenommen.
Am 30. Juni wurde in Kayseri ein Erwachsener beim Missbrauch eines siebenjährigen Kindes erwischt. Kind wie auch der Pädophile waren Ausländer, einige Zeitungen schreiben Syrer. Menschen rotteten sich zusammen und versuchten den Täter zu erwischen. Polizei, Feuerwehr und Ambulanzen trafen ein, denn bei der Jagd nach dem Täter hatte die Menge begonnen, Autos und Geschäfte anzuzünden, für deren Eigentümer sie Syrer hielten. Der Täter wurde von der Polizei verhaftet, der Provinzgouverneur sprach von einem Balkon zur Menge und forderte sie auf, auseinanderzugehen. Es sei nicht akzeptabel, dass auch nur ein Polizist zu Schaden komme, jetzt jedoch seien bereits fünf verletzt.
Pädophilie gehört zu den verstörenden Verbrechen. Zum einen wegen des Bruchs eines gesellschaftlichen Tabus und zum anderen aufgrund der möglichen Verletzungen, die das betroffene Kind vielleicht jahre- oder jahrzehntelang nicht los wird. Der Lynch-Impuls jedoch, der immer mal wieder aufflackert, ist damit allein nicht zu erklären. Es ist wohl das Erlebnis als Horde für einen Moment die Macht über die Straße zu haben. Die Erregung an der Angst anderer und den Flammen, die man legt. Aufgestaute Wut, der freien Lauf gelassen werden kann.
Es hat solche Vorfälle bereits früher gegeben. Doch dieses Mal blieb es nicht bei lokalen Unruhen. In Hatay, Gaziantep, Urfa, aber auch Bursa und Istanbul kam es zu Angriffen auf „syrische Geschäfte“ und Menschen, die für Syrer gehalten wurden. Am 2. Juni teilte Innenminister Yerlikaya mit, dass 474 Personen im Zusammenhang mit den Angriffen verhaftet wurden. Und zeitgleich begannen im von der türkischen Armee kontrollierten Gebiet in Syrien anti-türkische Aktionen, bei denen Fahnen verbrannt, LKWs angegriffen wurden. Ob es sich um Reaktionen auf die Angriffe auf Syrer in der Türkei handelte oder aber auf die leisen Sondierungen zwischen der türkischen und syrischen Führung, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, bleibt offen. Am 2. Juni wurde gemeldet, dass die türkische Armee zusätzliche Truppen in die kontrollierten Gebiete entsandt habe.
Das türkische Außenministerium bestätigte indirekt die Vorfälle in Syrien, als es in einer Pressemitteilung von „Provokationen“ sprach. Die türkische Armee jedoch erklärte später, die Lage sei normal und es seien keine zusätzliche Truppen nach Nord-Syrien verlegt worden.
Staatspräsident Erdoğan hat eine längere Auslandsreise angetreten. Zunächst nahm er am Gipfel der Schanghai Kooperation in Astana teil. Dann geht es weiter nach Aserbaidschan und schließlich zum NATO-Gipfel in die USA.
In Astana war das Highlight wohl das Gespräch mit dem russischen Staatspräsidenten Putin. Es hatte zu Diskussionen geführt, dass Putin mehrfach einen Türkei-Besuch verschob. Manche betrachten es als Quittung dafür, dass sich die Türkei nun doch strikter an die Handelssanktionen gegen Russland hält und dem NATO-Beitritt von Schweden und Finnland zugestimmt hat. Aber es war auch nicht der Aufmerksamkeit entgangen, dass Putin kurz zuvor einen Sondergesandten nach Damaskus entsandt hatte. In Astana jedoch bemühten sich beide Präsidenten um ein harmonisches Bild. Staatspräsident Erdoğan unterließ es auch nicht, auf eine mögliche Vergabe des Atomkraftwerkprojekts in Sinop wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Weiterhin erklärte er, dass die Türkei ihre Zusammenarbeit mit der Schanghai Kooperation vertiefen wolle.
Was hoch oder niedrig ist, hängt wohl von dem Maßstab ab, den man anlegt. Wenn Mehmet Şimşek die maßlosen Erfolge seines Programms und der AKP-Regierungszeit preist, verweist er darauf, dass der Mindestlohn zu Jahresbeginn um 49 Prozent gesteigert worden sei. Erwartet werde dieses Jahr eine Inflation um 42-43 Prozent. Und auf Dollar-Basis liegt die Türkei mit 524 Dollar unter den Schwellenländern vorn.
Nun kann man einwenden, dass die Erhöhung zum Jahreswechsel auch die Kaufkraftverluste des Vorjahres ausgleichen sollte. Zu diesen kommen nun die 42-43 Prozent hinzu, von denen der Finanzminister sprach. Und wenn er vom Populismus der Opposition spricht, vergisst er, dass nicht diese im vergangenen Jahr an der Regierung war…
Man könnte natürlich, wenn man schon bei Maßstäben ist, den Mindestlohn mit dem Ministergehalt vergleichen. Doch dies gerät dann wohl in den Bereich der Polemik. Ein anderer Maßstab wäre, ob es der Mindestlohn ermöglicht, sich und seine Familie zu ernähren. Dies tut er nicht, man benötigt mehr als zwei Mindestlöhne zur Begleichung der Grundkosten einer vierköpfigen Familie.
Doch man muss den Mindestlohn auch an der Produktivität messen. Und da gibt es viele Branchen, für die der derzeitige Mindestlohn bereits eine Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit darstellt. Klüger jedoch als auf niedrige Löhne zu setzen, wäre es wohl, eine Strategie zur Erhöhung der Wertschöpfung zu setzen. Geht nicht von heute auf morgen, aber mittelfristig schon.
In der vergangenen Woche waren die Strompreise für private Haushalte um 38 Prozent erhöht worden. Auch andere Abnehmer erhielten Preiserhöhungen um 20-30 Prozent. Strompreiserhöhungen sind sensibel für die Inflation. Sie strahlen auf die verschiedensten Sektoren aus. Die Kammer der Elektroingenieure weist in einer Presseerklärung darauf hin, dass ein Großteil der Preiserhöhung nicht auf gestiegene Produktionskosten, sondern eine Erhöhung der Verteilungsentgelte um 58,9 Prozent zurückgeht. Eigentlich war bei der Privatisierung der Stromverteilungsbezirke versprochen worden, dass sich die Netzqualität verbessern und die Kosten sinken würden. Wie der Waldbrand von Diyarbakır und Mardin vor zwei Wochen zeigte, liegt es mit der Netzverbesserung im Argen und knapp 60 Prozent Preiserhöhung sprechen auch nicht von eingelösten Versprechen.
Mit 1,64 Prozent blieb die vom Türkischen Statistikinstitut ermittelte Inflation deutlich hinter der von der Handelskammer Istanbul (ITO) ermittelten zurück. Diese war für Istanbul auf einen Anstieg der Verbraucherpreise von 3,42 Prozent gekommen. Der Kolumnist der Wirtschaftsplattform ekonomim Alaattin Aktaş merkt an, dass es jedem frei gestellt sei, den TUIK-Wert zu glauben oder nicht. Doch solange die Preisveränderungen der einzelnen Bestandteile des Warenkorbes sowie ihre Gewichtung nicht mehr bekannt gegeben werden, lässt sich das Glaubwürdigkeitsproblem nicht aus der Welt schaffen.
Doch er führt auch aus, dass zwar im Juli 2023 die Inflation monatlich um 9,49 Prozent gestiegen ist und in diesem Jahr ein Anstieg in gleicher Höhe nicht zu erwarten ist, gleichwohl jedoch im Juli von Mehrwertsteuererhöhungen über Benzin- und Strompreis bis hin zur Aufgabe der Mietpreisbegrenzung ebenfalls mit einem hohen Wert zu rechnen ist. Er hält eine Inflation von 45 Prozent zum Jahreswechsel für möglich, Finanzminister Şimşek dagegen hatte von 42 Prozent gesprochen, die Zentralbank sieht eine unter Schätzgrenze von 38 Prozent vor.
Bleibt anzumerken, dass das vor der parlamentarischen Sommerpause erwartete Steuerpaket zwar in den Medien gründlich zerpflückt wurde, eine Gesetzesvorlage jedoch noch aussteht. Dass Steuererhöhungen nicht inflationsneutral sind, dürfte jedem klar sein. Inflationsschätzungen bleiben also nicht nur aufgrund rätselhafter Verfahren des Türkischen Statistikinstituts schwierig, sondern auch, weil einige wirtschaftspolitische Entscheidungen noch nicht gefallen sind.
Doch neben der Verlässlichkeit der Datengrundlage des Wirtschaftsprogramms gibt es auch noch einen systemischen Widerspruch, der umschifft werden muss. Das Programm zur Inflationsbekämpfung setzt auf eine reale Aufwertung der Türkischen Lira. D.h. die Abwertung gegenüber Dollar und Euro soll unter der Inflationsrate liegen. Aufgrund des höheren realen Wertes der Türkischen Lira sinkt so der Inflationsdruck. Dies hat jedoch Folgen für den Außenhandel. Während Exporte teurer werden, wird der Import indirekt gefördert.
Betrachtet man unter diesen Vorzeichen die in dieser Woche veröffentlichten Statistiken, so geben die vorläufigen Außenhandelswerte an, dass im Juni die türkischen Exporte um 10,6 Prozent zurückgegangen sind, die Importe wiederum verringerten sich um 4,1 Prozent. Gegenüber dem Vorjahresmonat verringerte sich das Außenhandelsdefizit um 29,5 Prozent. Betrachtet man das erste Halbjahr, so stiegen die Exporte um 2 Prozent, die Importe verringerten sich um 8,5 Prozent. Der von der Zentralbank erhobene Real-Devisenkursindex wiederum erreichte mit einem Wert von 61,5 Punkten den höchsten Stand seit drei Jahren.
Dies sind Daten, die für sich genommen alles andere als besorgniserregend sind. Doch es gilt zu bedenken, dass die Aufwertung der Türkischen Lira vor allem seit den Kommunalwahlen, d.h. im zweiten Quartal erfolgte. Steuert die türkische Zentralbank nicht in den nächsten Monaten in Richtung einer moderaten Schwächung der Türkischen Lira, kann es erneut zu kräftigen Kurskorrekturen kommen, wenn sich die Außenhandelsbilanz verschlechtert.