Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 20. bis zum 27. September 2024

Staatspräsident Erdoğan nahm an der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York teil. Er nutzte die Gelegenheit für zahlreiche Gespräche, unter anderem auch mit Bundeskanzler Scholz. Zugleich schaut die türkische Öffentlichkeit mit Fassungslosigkeit auf israelische Angriffe auf den Libanon, während sich die Vereinten Nationen als hilflos erweisen, die Tötung von Zivilisten zu unterbinden. Das neue Schuljahr hat bereits die zweite Woche hinter sich gelassen, doch wie es scheint bleibt die Reinigung der Schulen vielerorts der Selbsthilfe von Eltern überlassen. Auch Finanzminister Şimşek hielt sich zu Gesprächen in den USA auf. Nach seiner Rückkehr gab er sich optimistisch, dass mit einem schnellen Rückgang der Inflation zu rechnen sei. In der Bevölkerung dagegen steigt die Sorge, wie sie die zusätzlichen Kosten des kommenden Winters bewältigen soll.

Eine Meinungsumfrage

Die parlamentarische Sommerpause geht zu Ende. Die CHP beschäftigte sich in den vergangenen zwei Wochen mit einem drohenden Politikverbot für Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu, wenn ein erstinstanzliches Urteil wegen Beleidigung des Hohen Wahlrates in der Berufung bestätigt werden sollte. Die AKP wiederum versucht die Bevölkerung zu beruhigen, dass die schwierigste Phase bei der Inflationsbekämpfung hinter uns läge, wobei sie gleichzeitig auch immer wieder die Knute zeigt: Sei es bei frisch absolvierten Leutnanten, die in einem informellen Amtseid „wir sind Mustafa Kemals Soldaten“ riefen. Oder auch im Hinblick auf eine Erweiterung des Spionagestraftatbestandes im Rahmen des Justizreformpaketes, die möglicherweise unmittelbar nach der Wiedereröffnung des Parlaments auf die Tagesordnung kommt. Während die Opposition den Rückenwind nach der Kommunalwahl in der Forderung nach vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr zu nutzen sucht, will sich das Regierungsbündnis die Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen.

Eine jüngst veröffentlichte Meinungsumfrage des Instituts Yöneylem wirft ein anderes Schlaglicht auf die öffentliche Meinung. Man sollte die Umfrage nicht überbewerten – die Ergebnisse der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute weichen stark davon ab und Yöneylem hatte beispielsweise im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2023 ziemlich daneben gelegen. Der Trend der aktuellen Umfrage wird jedoch durch zahlreiche weitere Umfragen anderer Institute bestätigt.

Demnach liegt die Unterstützung der CHP nach wie vor über der für die AKP. Nicht nur die Performanz der Regierung, sondern auch die des Staatspräsidenten wird überwiegend negativ eingeschätzt. Das Vertrauen in den Erfolg des aktuellen Inflationsbekämpfungsprogramms ist gering. Die Zufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik ebenfalls. Am rechen Rand erreichten bei der Yöneylem Umfrage die islamisch-konservative YRP und die fremdenfeindliche Zafer Partei je drei Prozent. Unter den kleinen islamisch-konservativen Parteien wiederum wird intensiv über Zusammenschlüsse und Kooperation diskutiert. Nach einigen Erfolgen bei der Kommunalwahl erscheint die YRP als Anziehungspunkt und könnte zu einem neuen populistischen Zentrum außerhalb des Regierungsbündnisses aufsteigen. Für das politische Klima würde eine solche Entwicklung vermutlich wenig Gutes mit sich bringen, wenn sich die politische Auseinandersetzung noch weiter nach rechts verschiebt.

Höherer Strom- und Gastarif für höheren Verbrauch

Ab dem Jahreswechsel soll Plänen des Energieministeriums zufolge der Energiepreis vom Verbrauch abhängig gemacht werden. Wer wenig verbraucht, soll weniger zahlen, höhere Verbraucher mehr. Das Ministerium geht davon aus, dass rund eine Million Haushalte auf diese Weise eine höhere Rechnung zahlen müssen. Begründet wird dies mal mit einer höheren Belastung reicherer Haushalte, mal mit einer gerechteren Verteilung der Subventionen auf Strom und Gas.

Bei näherem Hinsehen bleibt zu vermuten, dass es sich um eine verdeckte Preiserhöhung handelt. Geht man einfach von der Verbrauchshöhe, d.h. dem Zählerstand aus, so dürften Single-Haushalte am günstigsten wegkommen. Haushalte mit vielen Mitgliedern dagegen dürften höhere Rechnungen zahlen. Wird der Stromverbrauch also nicht pro Person berechnet, trägt er zu keiner Gerechtigkeit und auch nicht zum Energiesparen bei. Dies gilt auch für alle Haushalte, die Strom zum Heizen verwenden. Diese zahlen vielleicht keine Gasrechnung, jedoch deutlich höhere Stromrechnungen. Sollte das vorgeschlagene Abrechnungskonzept neben einer Preiserhöhung einen anderen Zweck verfolgen, müsste neben der Haushaltsgröße auch die Energieeffizienz berücksichtigen bzw. ob es sich um einen Haushalt handelt, der zugleich auch Gasabonnent ist. Zwar wäre diese Berücksichtigung bei Erhebung zusätzlicher Daten durchaus möglich, doch ist dann die Kontrolle der Einstufung für die Verbraucher nicht mehr möglich.

Auf der Suche nach Schlupflöchern

Es ist auch der Regierung klar, dass die letzte Vorruhestandsregelung eine Belastung für das Rentensystem darstellt. Mehr als eine Million zusätzliche Menschen mit Rentenanspruch, zum Teil unter 50 Jahren. Das bedeutet einen enormen Zuschussbedarf für die Sozialversicherung und geringere Spielräume für eine Festsetzung der Mindestrente auf einem Niveau, das eine gesicherte Altersversorgung bietet. Nach dem in den vergangenen zwei Wahljahren mit vollen Händen ausgegeben wurde, geht es nun also daran, wenigstens einen Teil zurückzuholen.

Ein Ansatzpunkt ist, dass ab dem kommenden Jahr geplant ist, von Rentnern, die weiterhin berufstätig sind, einen Beitrag zur Krankenversicherung zu nehmen. Gedacht ist an fünf Prozent des Lohnes. Diese Versicherungspflicht soll jedoch eine Altersgrenze erhalten und Menschen über 65 Jahre davon ausgenommen werden. Es ist kein Geheimnis, dass niemand von einer Mindestrente leben kann, wenn er keine zusätzlichen Einkünfte hat. Im Visier hat die geplante Neuregelung also vor allem diejenigen, die von der Vorruhestandsregelung im vergangenen Jahr Gebrauch gemacht haben.

Dabei ist jedoch auch offensichtlich, dass eine solche Maßnahme nur einen kleinen Beitrag zur Finanzierung der Zusatzbelastung durch die Frühverrentung leisten kann. Der Gedanke liegt nahe, dass die Regierung auch weitere soziale Rechte von Rentnern ins Visier nehmen wird.

Kostspielige Verkehrsprojekte

Die AKP-Regierungen haben stark auf Public Private Partnership Projekte bei der Errichtung neuer Infrastruktur gesetzt. Dies gilt für die dritte Bosporus Brücke und die Brücke über die Dardanellen ebenso wie für zahlreiche neue Autobahnen. Sie basieren auf der Überlegung, dass eine Investorengruppe die Errichtung der jeweiligen Maßnahme übernimmt und dafür das Recht erhält, Gebühren für die Benutzung zu erheben. Um das Risiko für die Investoren zu vermindern, garantiert der Staat außerdem eine Mindestauslastung und zahlt, wenn diese nicht erreicht wird, einen Ausgleichsbeitrag. Nach Ablauf des Nutzungszeitraums fällt die Brücke oder Autobahn dann an den Staat.

Solche Modelle sind jedoch recht störanfällig. Zunächst ergibt sich das Problem realistischer Einschätzungen für die Bedarfsentwicklung. Dann stellt sich die Frage, ob die Investoren mit wettbewerbsfähigen Konzepten für die Errichtung auftreten. Weil es sich um besonders große Projekte handelt, ist der Kreis der Wettbewerber klein. Im Hinblick auf die Staatsverschuldung bietet sich zudem zwar der Vorteil, dass die Ausgleichszahlungen bei Nichterreichung der Mindestauslastung nicht als „Schulden“ bewertet werden, jedoch trotzdem den Haushalt belasten.

In der Tageszeitung Birgün hat Mustafa Bildircin sich den Haushalt des Generaldirektorats für das Straßenwesen angeschaut. Die Ausgleichszahlungen an die Investoren von Straßenprojekten sind als solche nicht ausgewiesen, sondern tauchen unter dem Posten Transferzahlungen auf. Und dieser zeigt einen beachtlichen Anstieg. Für das kommende Jahr werden rund 95 Mrd. TL angesetzt, die bis 2027 auf 119 Mrd. TL steigen werden. Dies bedeutet, dass die Regierung nicht davon ausgeht, dass die errichteten Projekte in den kommenden Jahren an Auslastung gewinnen. Demgegenüber stellt sich zudem die Frage, ob für die nun geleisteten Zahlungen die Brücken und Autobahnen nicht preisgünstiger direkt durch den Staat hätten errichtet werden können.