Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Ein Lösungsprozess, der keiner sein will, wirft ein Schlaglicht darauf, wie kompliziert die Manöver der politischen Parteien sein können. Für die einen ist es nur ein Versuch, die Aufmerksamkeit der Menschen von ihren „wirklichen Problemen“ abzulenken, für andere weckt es vorsichtige Hoffnung, dass ein Weg aus der Sackgasse des Kurden-Konflikts gefunden werden könnte. Spekulationen über eine mögliche Regierungsumbildung dagegen wirken tatsächlich etwas inhaltsleer. Solange nicht klar ist, mit welchen Politikänderungen eine solche Umbildung verbunden wäre, scheint die Diskussion vor allem die Karriere einzelner Politiker zu betreffen. Mit der Zentralbankentscheidung, den Zinssatz bei 50 Prozent zu belassen, hat die Diskussion über das Inflationsbekämpfungsprogramm zugenommen.
Es begann mit einem Handschlag. Bei der Eröffnungssitzung des Parlaments am 1. Oktober ging der MHP-Vorsitzende Bahçeli zu den Reihen der DEM und schüttelte die Hände der Vorsitzenden. Zuvor hatte Staatspräsident Erdoğan angesichts der wachsenden Kriegsgefahr im Nahen Osten zu größerer innerer Einheit aufgerufen. Von der DEM wurde die Geste mit vorsichtigem Optimismus aufgenommen. Jeder Friedensschritt sei wertvoll. Man wolle abwarten, was weiter erfolgt.
In dieser Woche erinnerte Staatspräsident Erdoğan daran, dass nicht nur Kopftuchträgerinnen ausgegrenzt worden seien, sondern auch Menschen diskriminiert wurden, weil sie Kurdisch sprachen. Devlet Bahçeli wandte sich an den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan und rief ihn auf, die PKK aufzulösen.
Auf der anderen Seite erklärten Funktionäre der Präsidialverwaltung, dass ein neuer Prozess zur friedlichen Lösung des Kurden-Konflikts nach dem Vorbild des 2014 beendeten nicht auf der Tagesordnung stehe. Und alle zwei bis drei Tage gibt es neue Berichte über Verhaftungen von DEM-Funktionären und Kommunalpolitiker/innen.
Die CHP betrachtet die Entwicklung positiv. Ihr Vorsitzender Özgür Özel hat angekündigt, den inhaftierten HDP-Politiker Selahattin Demirtaş im Gefängnis zu besuchen und will Diyarbakır und Mardin besuchen.
Im Grunde lässt sich das Konfliktpotenzial in der Kurden-Frage auf drei Bereiche eingrenzen. Zunächst fordern Kurden die Anerkennung ihrer Kultur und Sprache. Damit verbunden ist ganz konkret auch die Förderung der Sprache durch muttersprachlichen Unterricht. Ein zweiter Bereich ist die kommunale Selbstverwaltung. Hier wurden nicht nur HDP-Bürgermeister abgesetzt, sondern auch immer wieder Versuche behindert, Bürgerinnen und Bürgern in kurdischsprachigen Gebieten Verwaltungsdienstleistungen in kurdischer Sprache zur Verfügung zu stellen. Und der dritte Bereich betrifft die PKK, die in der Türkei schon seit längerer Zeit nicht mehr militärisch präsent ist. Die Kämpfe finden vor allem im Nord-Irak statt, während sie in Syrien eng mit den von den USA unterstützten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) verbunden ist. Würde die PKK die Beendigung des bewaffneten Kampfes in der Türkei erklären, stellte sich die Frage einer Amnestie ihrer Gefangenen in türkischen Gefängnissen sowie der Integration ihrer Milizionäre, wenn sie in die Türkei zurückkehren wollten.
Betrachtet man den zeitlichen Ablauf, so fällt dies mit dem israelischen Angriff auf den Iran bzw. dessen Raketenangriff auf Israel zusammen. Während Israel im Oktober regelmäßig den Libanon bombardiert, sollen an der israelisch-syrischen Grenze Minen geräumt werden. Dies könnte eine Vorbereitung eines Angriffs Israels auf Syrien sein. Die PKK verfügt über recht komplexe Beziehungen sowohl zum Iran als auch zu Israel und in Syrien. Sie gehört zu den stärkeren nichtstaatlichen militärischen Akteuren in der Region und könnte sich eine weitere Destabilisierung zu Nutze machen. Derzeit machen die politischen Manöver der türkischen Regierung den Eindruck, dass es ihr weniger um kulturelle Anerkennung oder kommunale Selbstverwaltung geht, sondern vor allem verhindert werden soll, dass die PKK erneut militärisch erstarkt. Sollte es zu einer Übereinkunft zwischen der türkischen Regierung und der PKK kommen, würde dies kurzfristig nicht zu einer Demokratisierung der Türkei führen. Mittelfristig würden jedoch die politischen Spielräume wachsen und könnten neue Freiräume für eine kurdische Öffentlichkeit entstehen.
Es begann in Soma. Der Landkreis ist durch ein Grubenunglück berühmt geworden, bei dem 2014 301 Bergleute den Tod fanden. Auch heute noch wird hier Bergbau betrieben. Und wie auch in anderen Wirtschaftszweigen sehen die Unternehmen gewerkschaftliche Organisation nicht gern. Fernas Madencilik entließ darum zahlreiche Bergleute. Sie setzten sich zur Wehr, marschierten barfuß nach Ankara und begannen dort einen Hungerstreik. Mehrfach wurde ihr Protest von der Polizei unterbunden, doch haben sie ihn stets wieder aufgenommen. Während des Hungerstreiks erlitt ein Bergmann einen Schwächeanfall und musste ins Krankenhaus. Doch schließlich wurde durch Vermittlung des Parlamentsvizepräsidenten Sırrı Süreyya Önder die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Bergleuten und Unternehmen vereinbart. Ein Etappensieg, noch ist nicht klar, ob die Entlassenen wieder eingestellt werden.
Seit zwei Wochen veröffentlicht das Landwirtschaftsministerium Listen mit Produkten, in denen verbotene Zusatzstoffe festgestellt wurden. Am meisten Aufsehen erregte, dass bei einer Kette von Köfte-Restaurants Schweinefleisch festgestellt wurde. Der Besitzer der Kette erklärte, man habe ihn reingelegt und das Schweinefleisch in die Proben geschmuggelt. Es wird dann sicher ein romanwürdiger Kriminalfall…
Aber Marken und Unternehmen quasi an den Pranger zu stellen, kann sich als zweischneidiges Schwert erweisen. Die Verunsicherung unter Verbrauchern ist groß, denn jeder weiß, dass die Untersuchung von Lebensmitteln nur stichprobenartig erfolgen kann. Grundsätzlich wurde bisher davon ausgegangen, dass das Risiko verbotener Inhaltsstoffe vor allem bei „no name“ Produkten vorhanden sei. Auf der Liste des Landwirtschaftsministeriums fanden sich jedoch auch Markenprodukte.
Die Nachrichtenplattform Gazete Duvar sprach mit einem Lebensmittelexperten über Möglichkeiten, die Sicherheit von Nahrungsmitteln zu erhöhen. Ein grundlegender Vorschlag ist zunächst, ähnlich wie in der EU die Lebensmittelüberwachung einer autonomen Institution zu übertragen. Die Kontrolldichte könnte zudem dadurch erhöht werden, dass die Verpflichtung zur Beschäftigung von Lebensmittelingenieuren in der Industrie erhöht und ihr Status unabhängig gemacht wird.
Die Zentralbank hat am 18. Oktober beschlossen, den Leitzins bei 50 Prozent zu belassen. Dies war erwartet worden, die Spannung richtete sich vielmehr auf die dazugehörige Presseerklärung. Darin führt die Zentralbank aus, dass trotz aller getroffenen Maßnahmen der Rückgang der Nachfrage noch nicht ausreicht, um zu einem dauerhaften Rückgang der Inflation beizutragen. Auch sei es schwieriger geworden, die Inflationsentwicklung im vierten Quartal 2024 vorherzusehen.
Die Erklärung wird als Indiz dafür genommen, dass auch im November eine Zinserhöhung nicht erfolgen wird.
Derweil zeigen sich bei Industrieproduktion und Export zunehmend die Folgen der Hochzinspolitik. Die hohen Zinsen führen zu einer Aufwertung der Türkischen Lira. Dies erschwert den Export, fördert aber die Importe. Fehlende Kaufkraft verringert den Absatz von Industrieprodukten auf dem Binnenmarkt, Nachfragerückgang und hohe Finanzierungskosten verhindern Investitionen. Doch ein wirklicher Inflationsrückgang ist bisher nicht feststellbar.
Zur Erklärung werden verschiedene Ansätze herangezogen. Nach wie vor glaubt die Bevölkerung nicht an einen Inflationsrückgang. Auch in der Industrie ist die Inflationserwartung weiter hoch. Allein das Finanzwesen liegt mit seinen Inflationserwartungen nahe bei denen der Zentralbank. Besteht jedoch die Erwartung nach weiteren hohen Preisanstiegen fort, treten sie auch ein. Ein anderer Ansatz hebt hervor, dass eine Preisbildung auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage nur funktioniert, wenn die Märkte durch Wettbewerb bestimmt werden. In der Türkei jedoch gäbe es in vielen Bereichen keinen echten Wettbewerb. Das einfachste Beispiel ist die marktbeherrschende Stellung der vier größten Supermarktketten des Landes.
Der Druck auf eine Neujustierung der Inflationspolitik wird in den kommenden zwei Monaten wachsen. Zum einen aufgrund der wachsenden Klagen aus der Wirtschaft, zum anderen aber auch im Vorfeld der Verhandlungen über die Erhöhung des Mindestlohns zum Jahreswechsel. Finanzminister Şimşek hatte die Devise ausgegeben, dass die Erhöhung von Löhnen sich nicht an der zurückliegenden Inflation, sondern am Inflationsziel orientieren solle. Angesichts der hohen Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre ist dies jedoch eine extrem unpopuläre Position, die zudem an soziale Grenzen stößt.
Der Ausweg aus dem Dilemma, durch Kompensation der Kaufkraftverluste die Nachfrage anzuheizen und so der Inflation neue Nahrung zu geben, wäre vermutlich ein sozialer Dialog, der zu einer gerechteren Lastenverteilung führen könnte. Eine gerechtere Lastenverteilung hatte auch Finanzminister Şimşek zumindest bei der Steuerpolitik angekündigt, kann jedoch bisher wenig Greifbares vorweisen.
In einem Beitrag für die Wirtschaftsplattform ekonomim macht Faruk Şüyün darauf aufmerksam, dass die Istanbul Enzyklopädie von Reşad Ekrem Koçu nun im Internet verfügbar ist. Es handelt sich um das Lebenswerk des Historikers und Romanautors, das in alphabetischer Folge Personen, Straßen, Siedlungen und alles andere, was mit Istanbul zusammenhängt aufführt. Die Internetausgabe ist außerdem mit dem Archiv des Autors verbunden und zeigt neben den Einträgen auch die Druckseiten der Originalausgabe. Die Enzyklopädie lädt zu einem Streifzug durch die Stadt und ihre Geschichte ein, mal mit zahlreichen Fakten, dann wieder mit Anekdoten oder Gedichten. Die Adresse ist: https://istanbulanseklopedisi.org