Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 21. bis zum 25. Januar 2019

Beim Gipfel zwischen Putin und Erdoğan in Moskau kam es zu keinen konkreten Absprachen in der Syrien-Politik. Gleichwohl machte Putin den Wert der Kooperation mit der Türkei deutlich, ohne direkte Zugeständnisse bei den türkischen Forderungen zu machen.

Während es keine Hinweise auf eine Belebung der türkischen Wirtschaft gibt, haben Börse und Devisenkurse in der vergangenen Woche stark zugelegt. Während der Leitindex der Börse Istanbul über 100.000 Punkte stieg, sank der Dollar unter 5,30 TL und der Euro unter 6 TL.

Es gibt keine Wahlmanipulationen

Nach dem eigenwilligen Auftritt des Vorsitzenden des Nationalen Wahlkomitees hat er am 22. Januar noch einmal nachgelegt. Eine Manipulation der Wählerlisten hält er für ausgeschlossen. "Das System lässt aufgrund der Bürgernummer keine mehrfache Stimmabgabe zu. Auch Verstorbene könnten nicht in Wählerlisten geführt werden." Zugleich wird gemeldet, dass in Istanbul zwei Drittel der Einsprüche der Iyi Partei von den zuständigen Wahlkomitees abgelehnt wurden. Auch andernorts wurden Einsprüche abgelehnt, obgleich nach Ansicht der Beschwerdeführer eindeutige und offensichtliche Verstöße vorliegen. Dies betrifft insbesondere die Anmeldung von Personen an Orten, an denen sie nicht wohnen können (z.B. dutzende von Wählern in einem Stall).

Hinzu kommt, dass das uneingeschränkte Vertrauen des Präsidenten der Wahlkomitees in das elektronische Wahlsystem vielleicht etwas übertrieben wirkt. Jedes elektronische System ist manipulierbar. Auf Sicherheitslücken des türkischen Systems ist im Zusammenhang mit den Abstimmungen der vergangenen zwei Jahre mehrfach hingewiesen worden. Datenanalysen der Wahlergebnisse zeigen zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass Manipulationen vorliegen. Der Eifer des Präsidenten des Wahlkomitees, jeden Verdacht auszuschließen, wirkt vor diesem Hintergrund mindestens befremdlich.

Umgekehrt: Dass es angesichts der Vorwürfe von Manipulationen und Verstößen gegen die Wahlordnung nicht gelungen ist, plausible Erklärungen für die Art und Weise vorzulegen, wie diese verursacht wurden, macht es leicht, die Vorwürfe zurückzuweisen.

Ein Gipfel in Moskau

Konkrete Ergebnisse hat das Treffen der Staatspräsidenten Erdoğan und Putin in Moskau am 23. Januar nicht gebracht. Die Erwartungen richteten sich vor allem auf das weitere Vorgehen in Syrien. Hier will die türkische Regierung die Kontrolle über den Landkreis Membidsch, aber auch über die übrigen grenznahen Gebiete in Nord-Syrien erhalten, wenn die USA abziehen. Russland dagegen favorisiert die Übernahme der Kontrolle durch syrische Regierungstruppen. Zugleich betont Präsident Putin jedoch auch, dass den türkischen Sicherheitsinteressen Rechnung getragen werden müsse. Und so brachte er beim jüngsten Gipfel das Adana Protokoll von 1998 ins Spiel. Bei dieser Vereinbarung zwischen der Türkei und Syrien verpflichtet sich Syrien u.a. alle Aktivitäten der PKK auf syrischem Territorium zu unterbinden.

Einige Kommentatoren deuten dies als Aufforderung Putins an die türkische Regierung, direkte Beziehungen mit der syrischen Zentralregierung aufzunehmen, um die Sicherheitsfragen zu klären. Staatspräsident Erdoğan wiederum erklärt, dass solche Beziehungen nicht denkbar seien und es durchaus ausreiche, die Verhandlungen mit der syrischen Regierung vermittelt über Russland und den Iran zu führen.

Ein weiteres Ergebnis des Gipfels ist die Ankündigung eines weiteren, an dem dieses Mal auch der Iran teilnehmen wird. Dieser neue Gipfel soll im Februar stattfinden und wird vermutlich auf der Grundlage der weiteren Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien eher zu Weichenstellungen führen.

Auch Harmonie benötigt Übung

Am 21. Januar besuchte Staatspräsident Erdoğan ein Konzert des Komponisten und Pianisten Fazıl Say. Was in anderen Ländern vermutlich keine Nachricht wert gewesen wäre, beschäftigte auch eine Woche nach dem Ereignis die Gemüter. Was es richtig, Erdoğan zu einem Konzert einzuladen? Und war es nicht ein Gesichtsverlust für Erdoğan, dass er ein Konzert des aufmüpfigen Musikers besuchte? Oder war es einfach nur der Anfang einer neuen Beziehung zwischen dem streitbaren Staatspräsidenten und "der anderen Hälfte der Bevölkerung"?

Vermutlich dürfte die Einladung an Erdoğan für die meisten in der Türkei – soweit sie sich überhaupt für Politik interessieren – positiv gewesen sein. Denn viele hegen seit langem einen Überdruss gegen die Polarisierung der Gesellschaft. Zudem hat sich die Frage bereits zuvor immer wieder gestellt. Im Zusammenhang der Nachrufe auf den verstorbenen Schriftsteller Yaşar Kemal war wurde auch auf die Preisverleihung durch Staatspräsident Gül hingewiesen. Kemal hatte den Preis angenommen und war Güls Einladung zu einer Feier gefolgt. Er erntete dafür Kritik, doch er selbst fand es wichtiger, bei seiner Rede zur Preisverleihung seine Gedanken in aller Öffentlichkeit vorzutragen…

Gleichwohl war die Diskussion vorhersehbar. Erst vor einigen Wochen waren zwei Schauspieler von Erdoğan angegriffen und danach unter recht fragwürdigen Umständen einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren unterzogen worden… Wer auf diese und ähnliche Vorfälle schaut, wird eine Einladung an den Staatspräsidenten vermutlich nicht richtig finden.

Zugleich ist die Abneigung nicht einseitig. Viele Anhänger des Staatspräsidenten halten Andersdenkende mindestens für entbehrlich. Der Konzertbesuch ist in ihren Augen ein falsches Zugeständnis.

Die tagelange Diskussion zeigt, dass Brückenschläge zwar herbeigesehnt werden, doch es noch einiger Übung bedarf, bis sie fühlbare Ergebnisse zeigen werden.

Tag der gefährdeten Anwälte

Das Jahr ist voll von Tagen, die einzelnen Ereignissen, Problemen oder Berufsständen gewidmet sind. Am 24. Januar wurde nun der Tag der gefährdeten Anwälte begangen. Slogan der Kundgebung in Istanbul war "Die Verteidigung schweigt nicht und wird nicht schweigen". Die Spitze des Eisberges stellen die verhafteten Anwälte des Vereins zeitgenössischer Juristen sowie des "Rechtsbüros des Volkes" dar. Aber im Januar wurde auch ein Anwalt, dessen Einsprüche dem Gericht nicht gefielen, zu einem psychiatrischen Gutachten verurteilt. In letzterem Fall muss jedoch zur Ehrenrettung der Justiz gesagt werden, dass ein daraufhin gestellter Befangenheitsantrag gegen das Gericht Erfolg hatte.

Doch die Kundgebung fällt auch mit der Stellungnahme der deutschen Neuen Richtervereinigung zusammen, die erklärte, dass die Verurteilung des früheren Vorsitzenden der türkischen Justizvereinigung YARSAV Murat Arslan zu zehn Jahren Haft "die Verabschiedung der Türkei vom Anspruch ein Rechtsstaat zu sein" gleichkomme. Und sie fällt auch zusammen mit der Stellungnahme des Vereins für Rechts- und Medienarbeiten (MLSA) und des Internationalen Presseinstituts (IP) zur Praxis von Medienprozessen in der Türkei. Anhand der von ihnen verfolgten Prozesse stellen sie fest, dass rund ein Drittel der Angeklagten seinen Richtern nicht begegnet. Wenn sie Glück haben, können sie per Videokonferenz ihre Verteidigung vortragen. Wenn das System nicht funktioniert, kann auf diese Verteidigung wohl auch verzichtet werden.

Die Hanf-Euphorie

In den vergangenen zwei Jahren bezogen sich die Berichte zu "Hanf" vor allem auf gelungene Operationen der Gendarmerie in den Südost-Provinzen, in denen tausende von Pflanzen vernichtet wurden. Doch mit der Ankündigung von Staatspräsident Erdoğan, dass die Türkei wieder Hanf anbauen sollte, hat sich dies geändert. Natürlich ist nicht der "indische Hanf" (Haschisch), sondern der als Faserrohstoff bekannte Hanf gemeint. Und mit diesen Fasern lässt sich von Papier bis Stoff alles Mögliche herstellen. Zwar ist seit 2016 bereits der Anbau in 19 Provinzen der Türkei zugelassen. Doch einem Bericht des Nachrichtenportals Diken zufolge halten sich die Bauern aufgrund mangelnder Nachfrage mit dem Anbau zurück.

Ganz überraschend ist die Entwicklung um den Hanf nicht. In den USA und in Europa hat seit den 1970er Jahren eine Entwicklung in Richtung Zulassung des Hanfs eingesetzt. Bekannt ist dabei vor allem die "Legalize it" Forderung zur Zulassung von Grass & Haschisch. Doch 1989 hat die EU eine Verordnung erlassen, die den Anbau bestimmter Hanfsorten (mit geringem Rauschmittelanteil) zulässt.  Die Webseite des deutschen Hanfverbands gibt an, dass es derzeit 50.000 Verwendungszwecke für Hanf gibt. Das wirtschaftliche Potenzial ist dementsprechend bedeutend. Voraussetzung ist jedoch, dass in der Türkei auch die Nutzung der Hanffasern gefördert und damit für Nachfrage gesorgt wird.

Ein Beitrag von Felat Bozarslan im türkischen Dienst der Deutschen Welle geht wiederum auf eine versäumte Chance ein. Die Provinz Lice in der Provinz Diyarbakır war bisher Zentrum des illegalen Hanfanbaus in der Türkei. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Landflucht auch. Viele Bauern sind wegen Hanfanbau und Drogenhandel vorbestraft. Diyarbakır gehört nun  nicht zu den Provinzen, in denen der Hanfanbau erlaubt wird. Dabei bestünde zumindest die Chance, dass mit der Legalisierung des Anbaus und regulierten Absatzmärkten die Drogenproduktion eingedämmt werden könnte.

Gute Nachbarschaft

2013 erreichten die türkischen Exporte in den Irak ein Volumen von 11 Mrd. Dollar. Im vergangenen Jahr wurden 7,3 Mrd. Dollar erreicht. Für den zwischenzeitlichen Rückgang werden insbesondere Spannungen mit der irakischen Zentralregierung und in den vergangenen zwei Jahren auch mit dem kurdischen Autonomiegebiet im Nord-Irak verantwortlich gemacht. Während letztere noch nicht wirklich überwunden sind, setzt die türkische Wirtschaft nun Hoffnung auf die neue Zentralregierung. In einem Beitrag für die Tageszeitung Hürriyet beschreibt Jale Özgentürk, dass insbesondere die türkische Bauwirtschaft einige Hoffnungen in den Wiederaufbau der Infrastruktur des Irak setzt. Doch neben der internationalen Konkurrenz spielen auch politische Beziehungen eine Rolle. Und die sind in der Region immer wieder sehr instabil.

Ein anderer wichtiger Außenhandelspartner ist der Iran. Die Türkei gehört zu den Ländern, die trotz des US-Embargos weiter Öl aus dem Iran beziehen können. Zugleich sind Tourismus und Handel in den vergangenen Jahren gewachsen. Doch im Vorfeld der US-Sanktionen begann bereits der Rückgang. Nun wird berichtet, dass iranische Parlament habe beschlossen, den Import von Produkten zu untersagen, die auch im Iran hergestellt würden. Dies soll sich zudem nicht allein auf Fertigprodukte, sondern auch Vorprodukte beziehen. Für die türkische Exportwirtschaft, die nicht zuletzt darauf spekuliert hatte, einen Teil der durch Embargo frei gewordenen iranischen Nachfrage von internationalen Konkurrenten übernehmen zu können, ist dies eine schlechte Nachricht.

Die Eigenlogik der Finanzmärkte

In der zweiten Januarhälfte erlebte die Istanbuler Börse einen enormen Aufschwung. Der Leitindex kletterte von einem Niveau um 88.000 Punkten auf über 100.000 Punkte am 25. Januar 2019. Zugleich fielen die Devisenkurse deutlich: der Dollar beispielsweise von 6,50 TL auf 6,25 TL.

Was hat sich geändert? In den USA wird kurzfristig keine weitere Zinserhöhung erwartet. Auch aus Europa scheint eine Verknappung des Geldes nicht in Aussicht zu stehen. Dies verschafft den Schwellenländern einige Monate Luft. Für die Türkei kommt hinzu, dass die CDS-Risikobewertung für Kreditausfälle weiter gesunken ist.

Gleichwohl liegen die CDS Werte nach wie vor auf einem Niveau, das als "riskant" angesehen wird. An der Verschuldung des türkischen Privatsektors hat sich nichts verändert. Die türkische Zentralbank hat erklärt, sie halte an ihrer Hochzinspolitik fest. Zugleich zielen Maßnahmen des Finanzministeriums darauf, die Kreditzinsen für Privatkunden und Unternehmen zu senken.

Der Gedanke einer "Eigenlogik" drängt sich umso mehr auf, als die Nachrichten über die reale Wirtschaftsentwicklung (Industrieproduktion, Bau, Handel, Dienstleistungen, Verbrauchervertrauen etc.) auf einen anhaltenden Rückgang der Wirtschaftsaktivitäten hindeuten.

Analysten für Finanzmarktentwicklungen weisen immer wieder darauf hin, dass die Dynamik von Anlagen nicht in gegenwärtigen Entwicklungen, sondern in den Erwartungen zukünftiger Ereignisse begründet liege. Auf der anderen Seite zeigen starke Schwankungen, dass die Finanzmärkte immer wieder von der Realwirtschaft eingeholt werden, wenn sich ihre Spekulationen zu weit von den realen Entwicklungen entfernen.

Was hat sich vom 5. Januar zum 20. Januar verändert? Die Stimmung. Ist dann nicht eine neue Stimmungsschwankung  wahrscheinlich?