Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 13. bis zum 20. September 2019

Während das Groß der Bevölkerung versucht sich auf die Zeit nach den Ferien einzustellen, bemüht sich die Politik um Weichenstellungen. Der frühere Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu kam einem Ausschluss aus der AKP zuvor, indem er seinen Austritt erklärte. Irritiert zeigte sich der amtierende Justizminister über Anwürfe aus eigenen Reihen. Parallel zu den beiden Parteigründungsprojekten von Ali Babacan und Ahmet Davutoğlu folgen Meldungen über Parteiaustritte.

Während das Verbrauchervertrauen ein weiteres Mal deutlich gefallen ist, ordnete die Bankenaufsicht an, Kredite mit einem Volumen von 46 Mrd. TL abzuschreiben. Überraschend kam der Schritt nicht, gleichwohl wird dieser Schritt vermutlich nicht ausreichend, das Wirtschaftsvertrauen wieder herzustellen.

Syrien-Gipfel in Ankara

Am 16. September trafen sich die Staatschefs Russlands, des Irans und der Türkei in Ankara, um über die Entschärfung des syrischen Bürgerkrieges zu beraten. Die Erwartungen richteten sich dabei vor allem auf die Lage in der Provinz Idlib sowie die von der Türkei geforderte Sicherheitszone in Nord-Syrien. Unmittelbar vor dem Gipfel hatte die syrische Regierung die UN aufgefordert, die kurdischen YPG-Milizen als "terroristische Organisation" anzuerkennen.

Das greifbarste Ergebnis des Gipfels war, dass sich die drei Länder auf die Personenliste für die Aufnahme von Verfassungsberatungen in Syrien einigten. Da diese Beratungen unter Schirmherrschaft der UN durchgeführt werden sollen, bleibt jedoch offen, wie sich andere Akteure wie beispielsweise die USA zu dieser Liste verhalten werden.

In Idlib beharrt Russland auf die Durchführung "begrenzter Operationen" gegen die oppositionellen Milizen. Dies wurde ein weiteres Mal deutlich, als am 19. September 2019 Russland und China ein Veto gegen eine Resolution im Weltsicherheitsrat einlegten, mit der ein Waffenstillstand in Idlib und eine Erleichterung humanitärer Hilfen erreicht werden sollte.

Im Hinblick auf die Sicherheitszone in Nord-Syrien blieben die drei Länder bei ihrer Kritik an der Präsenz der USA in diesem Gebiet. Diese Kritik hatten sie mit Verweis auf die Souveränitätsrechte der syrischen Regierung und dem Ziel eines ungeteilten Syriens bereits zuvor geäußert.

Auf der anderen Seite hatte vor dem Gipfel Staatspräsident Erdoğan eine Art Ultimatum für die Einrichtung der Sicherheitszone bis Ende des Monats gestellt. Verteidigungsminister Akar bekräftigte dieses Ultimatum noch einmal, indem er darauf hinwies, dass sich die Türkei nicht hinhalten ließe und nötigenfalls auch ohne Zustimmung der USA gegen die kurdischen Milizen vorgehen werde. Das US-Verteidigungsministerium wiederum kündigte an, die Waffenhilfe für die kurdischen Milizen fortzusetzen. Nun richten sich die Erwartungen auf ein mögliches Gespräch zwischen Staatspräsident Erdoğan und US-Präsident Trump am Rande der UN-Generalversammlung in der kommenden Woche.

Nur keine Sorge

In Istanbul-Tuzla, d.h. im Süden der Stadt, brannte eine Fabrik, die Polyester herstellte. Zunächst bereitete Sorge, dass der Rauch zum nahegelegenen Sabiha Gökçen Flughafen zog. Es ereigneten sich mehrere Explosionen, zwei Feuerwehrmänner wurden verletzt. Erst nachdem der Brand gelöscht worden war, begann sich die Öffentlichkeit zu fragen, was wohl alles in dem dicken schwarzen Rauch enthalten gewesen sein könnte. Bei der Herstellung von Polyester werden zahlreiche gefährliche Chemikalien verwendet. Wie und zu was sie verbrannt sein könnten, bleibt unklar. Die Kammer der Chemie-Ingenieure weist darauf hin, dass detaillierte Informationen über gefährliche Chemikalien nur der Umweltbehörde vorlägen. Sie rief darum das Umweltministerium und die Katastrophenschutzorganisation AFAD dazu auf, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren. Zudem wurde mitgeteilt, dass mit dem kräftigen Nord-Wind an jenem Tag der Rauch bis Eskişehir verteilt wurde. Mit dem für den 20. September angesagten Regen würde es zu einem verstärkten Niederschlag der freigesetzten Partikel kommen. Am 20. September wiederum teilte AFAD mit, dass man sich wegen des Niederschlages keine Sorgen machen müsse. In Istanbul und Kocaeli vorgenommene Messungen hätten keine negativen Ergebnisse gezeigt. Zudem wies AFAD auf die Routinemessungen des Umweltministeriums hin.

Das Umweltministerium führt regelmäßige Messungen durch, die die Belastung mit Verschmutzern wie Feinstaub oder Schwefeloxiden angeben. Eine spezifische Messung nach einzelnen Chemikalien, wie sie durch einen Brand verursacht werden können, sind in diesem Datenset nicht enthalten. Auch AFAD gibt nicht an, gezielt nach einzelnen als krebserregenden Substanzen gesucht zu haben, wie sie möglicherweise beim Brand entstanden bzw. freigesetzt worden sein könnten. Stattdessen gibt AFAD an, dass noch vor dem Regen die Emissionen aus dem Gebiet der Türkei abgetrieben worden seien. Für einen bedeutenden Teil der Emission kann dies stimmen. Doch was ist mit dem Rest?

Wieder zwei HDP-Bürgermeister abgesetzt

Nach einem Bombenanschlag auf einen zivilen Minibus bei der Gemeinde Kulp in der Provinz Diyarbakır wurde im Zuge der Ermittlungen auch der Bürgermeister Mustafa Gözlet festgenommen. Kurz darauf wurde er abgesetzt und ein Ersatz-Bürgermeister eingesetzt. Gözlet wird vorgeworfen, Mitglied in einer terroristischen Organisation zu sein, für diese Propaganda betrieben zu haben sowie gegen die Einheit des Staates tätig geworden zu sein. Ein direkter Zusammenhang zum Anschlag scheint also nicht hergestellt worden zu sein.

Nachdem die Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation rechtskräftig geworden war, wurde die HDP-Ko-Bürgermeisterin von Karayazı Melike Göksu inhaftiert. An ihrer Stelle wurde der Landrat zum Ersatzbürgermeister ernannt.

Eine eigenartige Ermittlung

Die Tageszeitung Hürriyet meldet, dass zwei Anwälte – einer aus Istanbul und einer aus Diyarbakır – festgenommen wurden. Ihnen wird dem Bericht zufolge vorgeworfen, dass sie Informationen über türkische Staatsbürger an fremde Staaten weitergegeben haben. Auch sollen sie Berichte zu Mitgliedern der Gülen Gemeinschaft und der PKK erstellt haben, die über die Botschaften einiger europäischer Länder an deren Gerichte und Migrationsbehörden weitergeleitet wurden und dort als Entscheidungsgrundlage verwendet wurden.

Der erste Gedanke ist, dass die beiden  Anwälte Rechtsgutachten verfasst haben. Dies ist Aufgabe eines Anwalts und die Weitergabe an ausländische Botschaften sollte keine Straftat darstellen. Die Finanzpolizei MASAK soll ermittelt haben, dass für diese Leistungen 3 Mio. TL gezahlt worden sind. Solange diese Gelder versteuert wurden, ist dies auch nicht strafbar. Bleibt als möglicher Straftatbestand noch ein Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen. Doch zu welchen Daten, zu denen nicht jeder Zugang hat, könnten Anwälte Zugriff haben? Auf Gerichtsdaten haben sie nur Zugriff, wenn sie von den betreffenden Personen beauftragt wurden. Und dann fällt dies wieder unter anwaltliche Tätigkeiten.

Versuchter Wirtschaftsputsch

Am 20. September hat nach einer Anzeige der Bankenaufsicht BDDK das Verfahren gegen 36 Personen begonnen, die durch Tweets und Medienbeiträge versucht haben sollen, im vergangenen Jahr die türkische Wirtschaft zu schädigen. Unter ihnen befinden sich bekannte kritische Ökonomen wie Mustafa Sönmez und Merdan Yanardağ. Zu den Merkwürdigkeiten der Anklage gehört, dass den Angeklagten nicht vorgeworfen wird, falsche Tatsachen verbreitet zu haben. Sie beruht auf der Regierungsposition, dass der Wertverfall der Türkischen Lira im August und September 2018 politisch herbeigeführt worden sei und keinerlei wirtschaftliche Grundlage gehabt habe. Tatsächlich jedoch hat die wirtschaftliche Verlangsamung bereits im zweiten Quartal 2018 eingesetzt und der Wertverfall mit dem Auftritt von Staatspräsident Erdoğan in London im Mai 2018. Der Auslöser der eigentlichen Krise wiederum waren US-Sanktionen wegen der Inhaftierung des US-Predigers Brunson.

Verwirrende Arbeitsmarktstatistik

Die Bewertung der Wirtschaftsstatistiken ist zugleich eine Frage der politischen Orientierung. Dies zeigt sich insbesondere bei der Arbeitsmarktstatistik. Im Juni 2019 ist die Arbeitslosigkeit den Daten des Türkischen Statistikinstituts zufolge von 14 Prozent auf 13,9 Prozent zurückgegangen. Dies entspricht 4,254 Mio. Arbeitslosen. Der Kolumnist der Tageszeitung Karar Ibrahim Kahveci wiederum weist darauf hin, dass die Arbeitsagentur İşkur für Juni eine Zahl von Arbeitssuchenden von 4,418 Mio. angibt. Bei einem Anteil irregulärer Arbeitsverhältnisse von 35,2 Prozent ist es eigentlich ausgeschlossen, dass die vom Statistikinstitut ermittelte Zahl unter der der Arbeitsagentur liegt. Man kann zwar zur Ehrenrettung des Statistikinstitutes anführen, dass ihre Zahlen einen Zeitraum von drei Monaten umfassen, d.h. die Juni-Zahlen die von Mai und Juli einschließen. Doch wirklich plausibel wird die Angabe trotzdem nicht.

In einem Beitrag für die Nachrichtenplattform T24 merkt Seyfettin Gürsel an, dass mit Blick auf die veröffentlichten Daten der Scheitelpunkt der Arbeitslosigkeit erreicht sein könnte.  Doch für eine solide Einschätzung sei es noch zu früh. Quellen der Arbeitslosigkeit sind im Jahreszeitraum vor allem der Bausektor, der rund eine halbe Million Stellen abbaute sowie die Industrie mit einem Beschäftigungsverlust von 121.000.

Operation zur Kreditbereinigung

Die Bankenaufsicht BDDK hat die Banken angewiesen, Kredite mit einem Volumen von 46 Mrd. TL in die Kategorie der "nicht zurückgezahlten Kredite" (NPL) aufzunehmen. Nach Angaben des BDDK handelt es sich dabei bei der Hälfte um Kredite aus dem Energiesektor und dem Bauwesen. Zugleich wies das BDDK darauf hin, dass die Banken für die abzuschreibenden Kredite entsprechende Rücklagen tätigen müssen. Gleichwohl scheint das Niveau überschaubar zu sein. Kommentatoren bei Bloomberg HAT bewerteten den Schritt positiv. Er würde zu einer Bereinigung der Banken-Bilanzen führen und damit mittelfristig auch die Gewährung neuer Kredite erleichtern. Zuvor hatte die Bankenunion mitgeteilt, dass in diesem Jahr eine Umschuldung von 10 Mrd. Dollar Kreditschulden des Energiesektors vorgenommen werde.