Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 3. bis zum 10. Januar 2019

Der Istanbul-Besuch von Staatspräsident Putin war mit Spannung erwartet worden und führte zu einem Waffenstillstand in Idlib (Syrien). Der gemeinsame Aufruf zu einem Waffenstillstand in Libyen wurde von General Hafter zunächst zurückgewiesen. Inflation und Arbeitslosigkeit bewegen sich weiter auf hohem Niveau und bescheren Millionen von Türken einen schwierigen Winter.

Die Eröffnung von Turkstream und der Putin-Besuch

Am 8. Januar 2020 wurde mit einer Feier die Turkstream-Gaspipeline eröffnet. Sie bringt ohne den bisherigen Weg über die Ukraine Erdgas direkt in die Türkei. Die Kapazität liegt geringfügig über der der bisherigen Pipeline, so dass sich im Grunde wenig ändert. Für Russland liegt der Vorteil in einer weiteren Alternative für den Gasverkauf, für die Türkei in größerer Versorgungssicherheit, weil in der Vergangenheit die Ukraine einen Teil des durchgeleiteten Gases für sich beansprucht haben soll.

Im Zentrum der Gespräche zwischen den Präsidenten Putin und Erdoğan sollen die Lage in Syrien und Libyen gestanden haben. Zu den Syrien-Gesprächen machten sie keine öffentliche Stellungnahme. Jedoch teilte Russland mit, dass seit dem 9. Januar 2020 in der Provinz Idlib eine Waffenruhe hergestellt worden sei. Angaben zu den Bedingungen wurden nicht gemacht. Folgt man den Angaben der Website Conflict Map, die detailliert über die Kämpfe in Syrien berichtet, sind seit dem 9. Januar keine neuen Einträge über Angriffe in Idlib verzeichnet.

In Libyen riefen sie die kriegsführenden Parteien zu einem Waffenstillstand ab dem 12. Januar auf. Während die Regierung der nationalen Übereinstimmung als eine der kriegführenden Parteien den Aufruf dankbar aufnahm, erklärte General Hafter als Führer der Gegenpartei seine Zurückweisung. Verwunderlich ist die Reaktion eigentlich nicht, denn folgt man den Berichten über den Verlauf des Bürgerkriegs in Libyen, so befindet sich General Hafter zurzeit in einer überlegenen Position.

Die Türkei ist bisher der einzige Staat der im lybischen Bürgerkrieg offen interveniert. Doch andere Staaten wie die Vereinigten Emirate oder Ägypten machen sich wenig Mühe, ihre Unterstützung von General Hafter zu verbergen. Auch das russische Söldnerunternehmen Wagner ist auf Seiten von General Hafter aktiv, was kaum ohne die Zustimmung der russischen Regierung denkbar wäre.

Mit dem Schritt, die Regierung der nationalen Übereinkunft zu unterstützen, zeigt die türkische Regierung, dass sie deren Niederlage im Bürgerkrieg nicht zulassen werde. Offen bleibt dabei, wie weit die Türkei dabei zu gehen bereit ist. Langfristige Maßnahmen wie die Ausbildung von Soldaten und Polizei werden kaum geeignet sein, die aktuell schwierige Lage der lybischen Regierung zu verbessern. Die Reaktion von General Hafter kann auch in diesem Zusammenhang gesehen werden: er wird die Türkei in dem Maße ernst nehmen, in dem sie in Libyen zu einem militärischen Faktor wird.

Doch ähnlich wie Russland sein privatwirtschaftliches Militärunternehmen Wagner hat, hat die Türkei in den letzten Jahren eine eigene Miliz aufgebaut. Die Entsendung von Milizionären der Nationalen Syrischen Armee(NSA, zuvor Freie Syrische Armee, d.h. ein Milizbündnis verschiedener überwiegend islamistischer Milizen) folgt derselben Logik wie die Entsendung russischer Söldner. Sie werden vom jeweiligen Staat unterstützt, doch sind sie keine offiziellen Einheiten dieses Staates. Ein Beschuss von Wagner-Söldnern oder NSA-Milizionären ist kein Angriff auf Russland oder die Türkei.

Das Interesse der Türkei, in diesem Konflikt ihre militärische Bedeutung zu zeigen, ist groß. Ist sie erfolgreich, so hätte sie erstmals wieder einen verbündeten Staat am Mittelmeer. Das Abkommen über die Seegrenze zwischen der Türkei und Libyen zeigt, dass dies nicht ohne praktische diplomatische Bedeutung ist.

Eröffnungsgebet für die neue Geheimdienstzentrale

Am 6. Januar 2020 wurde die neue Zentrale des Geheimdienstes MIT eröffnet. Und wie bereits seit langem üblich unterbrachen zahlreiche Sender ihr Programm, um die Rede des Staatspräsidenten live zu übertragen. Doch dieses Mal wurde nach der Rede des Präsidenten noch eine Zugabe geboten. Der Präsident des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) präsentierte ein Segensgebet für das neue Gebäude und die Arbeit, die darin verrichtet werden soll.

Diese Geste ist in mindestens zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen wird das Gebet quasi ins Staatsprotokoll aufgenommen. Und zum anderen fungiert der Präsident des Diyanet als Repräsentant des Islam. Ist erster Aspekt nicht unbedingt mit dem Laizismusgrundsatz in der türkischen Verfassung vereinbar, so deutet der zweite Aspekt darauf hin, dass der Prozess der Verwandlung des Diyanet in eine Art Staatskirche beträchtlich fortgeschritten ist. Zahlreichen Muslimen ist diese Wandlung jedoch nicht geheuer. Sie verweisen darauf, dass es im Islam keine Kleriker gibt. Der Muslim ist allein seinem Gewissen unterworfen und muss sich frei für Allah entscheiden. Er kann dabei bei Institutionen wie dem Diyanet Rat suchen, doch das Wesen des Glaubens ist die direkte Beziehung zu Gott.

Eine Kritik der CHP an der Feier galt zudem der Teilnahme von AKP-Politikern an der Eröffnung, während an keine andere Partei eine Einladung erging.

Verschuldete Versicherte

Die allgemeine Krankenversicherung sollte der große Wurf werden. Jeder wurde automatisch in die allgemeine Krankenversicherung eingetragen. D.h. es gab eine gewisse Unsicherheit, ob auch Privatversicherte einbezogen werden oder nicht. Und dann wurde mehrfach dazu aufgerufen, dass diejenigen, die nicht in der Lage seien, die Beiträge zu zahlen, sich einem Einkommenstest stellen sollten. Wer nach diesem Test nachweislich unterhalb der Grenze des Mindesteinkommens lag, dessen Krankenversicherungsbeiträge wurden vom Staat bezahlt.

Wer die Türkei kennt weiß, dass solche Regeln meist nicht beachtet werden. Zum ersten Januar wurde nun verhängt, dass die Krankenversicherung nicht zahlt, wenn Beitragsrückstände bestehen. Für viele Versicherte war dies eine böse Überraschung, denn meist wussten sie nicht, dass sie automatisch in die allgemeine Gesundheitsversicherung eingeschrieben wurden und nur durch den Einkommenstest von der Zahlungsverpflichtung freigestellt wurden. Nun sehen sie sich ein paar Tausend Lira Beitragsrückständen gegenüber. Und wenn sie nicht zahlen, gibt es keine Gesundheitsleistungen. Am 8. Januar 2020 wurde dies – wie zu erwarten – durch eine Präsidialverordnung geändert und Leistungen durch dem Gesundheitsministerium angeschlossene Krankenhäuser wieder ermöglicht. Befristet ist diese Bestimmung auf ein Jahr, die Schulden der Versicherten bestehen weiter. Also wird es Anfang kommenden Jahres wohl erneut zum selben Problem kommen…

Es ist nicht so, dass die Probleme nicht vorhersehbar waren. Und natürlich trifft auch die Opfer eine Mitschuld. Wer nur ein wenig die Medien verfolgte, wurde immer wieder auf die Notwendigkeit des Einkommenstests hingewiesen, wenn man nicht in der Lage war, die Beiträge zu zahlen. Dass viele dies trotz Bedürftigkeit doch nicht taten, war jedoch vorhersehbar. Vermutlich wird es in einigen Wochen eine Härtefallregelung geben. Doch viele der Betroffenheit werden bis dahin die gesundheitlichen Folgen tragen müssen.

Es gibt zahllose Möglichkeiten dies zu vermeiden. Beispielsweise hätte die staatliche Sozialversicherung SGK einmal pro Jahr einen Schuld-Bescheid versenden können. Stattdessen hat man die – zum Teil ohne ihr Wissen – Versicherten quasi ins Messer laufen lassen. Denn ihre Schulden werden ihnen erst klar, wenn sie die Krankenversicherung benötigen.

Dass Beamte, die Rechtsbestimmungen ausarbeiten, vielleicht nicht immer die Sichtweise derer begreifen, für die diese Bestimmung gedacht ist, kann vorkommen. Aufgabe eines Parlaments jedoch wäre es, solche Probleme zu korrigieren.

Unabhängige Buchläden fordern Unterstützung

Auf landesweit 1.500 schätzt die Okuyay Plattform die Zahl der unabhängigen Buchgeschäfte landesweit. Eine überwältigende Zahl ist dies nicht. Doch ein Hintergrund könnte in den Wettbewerbsnachteilen dieser Geschäfte bestehen. Denn in den vergangenen Jahren hat nicht nur der Internethandel zugenommen, sondern sind auch Buchhandelsketten entstanden, die vor allem in den Einkaufszentren operieren. Die marktbeherrschende Stellung der miteinander verbundenen Internetplattformen und Buchhandelsketten ermöglicht es ihnen, durch Angebote die Preise des unabhängigen Buchhandels zu unterbieten. Während innerhalb der Ketten vom Händler nur dann für das Buch an den Verlag gezahlt wird, wenn es verkauft wird, müssen die unabhängigen Buchhändler bei Lieferung des Buches zahlen. Hinzu kommen Beschwerden über Benachteiligungen bei den Lieferzeiten von bestellten Büchern.

Die Okuyay Plattform hat das Meinungsforschungsinstitut Konda mit einer Studie zu den unabhängigen Buchläden beauftragt. Darin ging es auch um Vorschläge und Bedürfnisse dieser Buchhändler. Zu den wichtigen Forderungen gehört, dass staatlicherseits wieder eine inländische Papierproduktion aufgebaut werden müsse, um den Preisanstieg von Büchern zu verringern. Eine weitere Forderung ist, die Angebotspraxis einzuschränken und dafür zu sorgen, dass Bücher zum Etikettpreis verkauft werden. Die Praxis der Buchmessen, die vielerorts zur Förderung der Lesekultur durchgeführt werden, sehen die unabhängigen Buchhändler kritisch. Denn der Direktverkauf der Verlage auf diesen Messen geht ihrer Meinung nach zu ihren Lasten.

Die Mensa der Istanbul Universität

Ende 2019 schaffte die Leitung der Universität den Zuschuss für zwei von drei täglichen Mahlzeiten für die Studenten ab. Ein Studentenprotest wurde mit Schlagstöcken niedergeschlagen. Doch die Proteste gingen weiter und schließlich sah sich die Universitätsleitung gezwungen, zur bisherigen Bezuschussung zurückzukehren.

Natürlich sind nicht alle Studenten dieser Universität arme Menschen. Doch der Protest hat gezeigt, dass es viele Studenten gibt, die auf diese verbilligten Essen angewiesen sind. Warum also der Protest der Studenten erst einmal niedergeschlagen werden musste, ist eine Frage, die sowohl von der Polizei als auch der Universitätsleitung zu beantworten ist. Und natürlich lassen sich die Fragen vervielfachen: Warum ist die Türkei nicht in der Lage, Stipendien in einer Höhe zu zahlen, die es Studenten ermöglicht, menschenwürdig zu leben?

Am 7. Januar 2020 teilte die Provinzverwaltung Istanbul mit, dass ein Polizist, der an dem Schlagstockeinsatz gegen die Studenten beteiligt war, vom Dienst suspendiert wurde. Gegen ihn sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Dies ist äußerst ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher wäre es natürlich, wenn etwas mehr Transparenz walten würde. So ist ebenso wenig klar, was dem suspendierten Polizisten vorgeworfen wird noch wie sein Einsatzbefehl lautete.

Stagnierende Arbeitslosigkeit

Während der Arbeitsmarktbericht Oktober des Staatlichen Statistikinstituts zufolge im Jahreszeitraum die Beschäftigung im Zeitraum September bis November um 527.000 Personen zurückging, stieg die Arbeitslosigkeit um 608.000 Personen. Bereinigt um saisonale Einflüsse lag die Arbeitslosenquote bei 13,4 Prozent, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Höchststand von 13,9 Prozent im August 2020 entspricht.

Der Beschäftigungsrückgang konzentriert sich auf den Bausektor (305.000 Stellen) und die Landwirtschaft (270.000 Stellen), während Dienstleistungen der einzige Sektor mit Zuwachs waren (78.000).

Ohne an dieser Stelle auf die Diskussionen über die Zuverlässigkeit der Daten des Türkischen Statistikinstituts einzugehen, erscheint die Prognose für die weitere Entwicklung nicht unbedingt positiv. Auch wenn ab dem 4. Quartal 2019 aufgrund der Rückgänge in den Vorjahresquartalen bedeutende Anstiegsraten beim Bruttoinlandsprodukt zu erwarten sind, dürften sie kaum zu einem schnellen Rückgang der Arbeitslosigkeit führen.