Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 28. Mai bis zum 4. Juni 2021

Während die Enthüllungen von Sedat Peker über die Verbindungen von Regierung und organisierter Kriminalität und Korruption einen großen Teil der politischen Aufmerksamkeit beanspruchten, brachten Fotos eines Schleimbelags des Marmara Meeres in der internationalen Presse die Regierung in Bewegung. Und ein Auftritt des Staatspräsidenten versetzte der Türkischen Lira einen neuen Schlag.

Führungsversagen

Am 2. Juni 2021 nahm Staatspräsident Erdoğan an einer Diskussionssendung teil, die gemeinsam vom TRT Nachrichtenkanal und TRT 1 durchgeführt wurde. Da es sich um ein Programm des Staatsfernsehens handelte, war mit kritischen Fragen nicht zu rechnen. Vielmehr nutzte der Staatspräsident die Sendezeit, um seine Sicht der Dinge ungestört kund zu tun.

Dabei kam auch die Frage nach den 128 Mrd. Dollar auf die Tagesordnung, die im vergangenen Jahr aus den Reserven der Zentralbank abgeflossen sind. Dieses Mal erklärte er den Verlust der Reserven mit „Infrastrukturinvestitionen“. Nach langem Leugnen hatte er recht unterschiedliche Erklärungen für den hohen Reserveverlust angegeben, der zur weiteren Instabilität der Türkischen Lira beiträgt. Die nun angeführte Erklärung jedoch ist an und für sich bereits ein Skandal, denn die Finanzierung von Infrastruktur gehört nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Zentralbank.

In dieser Sendung führte er ein weiteres Mal seine Theorie aus, dass hohe Zinsen Ursache für Inflation seien. Er habe mit dem neuen Zentralbankpräsidenten Kavcıoğlu gesprochen und darauf gedrängt, die Zinsen so schnell wie möglich zu senken. Noch während der Sendung begann der Wert der Türkischen Lira erneut stark zu fallen.

Zur laufenden Impfkampagne erklärte er, dass er bereits die dritte Impfdosis erhalten habe. Es zeugt von einem bemerkenswert elitären Verständnis, sich damit zu brüsten, während Millionen von Bürgern nach wie vor auf die erste Dosis warten. Weiterhin vertrat er die Auffassung, dass seine Regierung ausreichend Hilfen zur Bewältigung der Folgen der Pandemie geleistet habe. „Undankbarkeit kennt keine Grenzen“ war seine Einschätzung von Klagen, dass diese Hilfen unzureichend gewesen seien.

In den Tagen nach der Sendung bemühte sich Zentralbankpräsident Kavcıoğlu Erwartungen auf frühzeitige Zinssenkungen zu zerstreuen. Wirklichen Erfolg hatte er dabei jedoch nicht, denn selbst wenn er konsequent sein wollte, kann er jeder Zeit vom Staatspräsidenten abgelöst werden.

Die mit Staatsgeldern finanzierte Propagandasendung hat der türkischen Volkswirtschaft einen Schaden in Milliardenhöhe zugefügt. Angesichts der blinden Gefolgschaft seiner Partei und seines Bündnispartners gibt es jedoch niemanden, der ihn dafür zur Rechenschaft ziehen könnte.

Meeresschleim

Nachdem die Fotos von einer unappetitlichen Schleimdecke an vielen Stellen des Marmara Meeres um die Welt gegangen sind, hat auch die Regierung dringenden Handlungsbedarf gesehen. Die Schleimdecke ist ein Produkt verstärkten Algenwachstums. Dieses wiederum beruht auf einer hohen Wasserverschmutzung, die den Algen zusätzliche Nahrung verschafft. Aufgrund der globalen Erwärmung finden die Algen zudem ideale Wachstumsbedingungen. Doch neben dem widerlichen Aussehen entziehen die Algen dem Wasser auch den Sauerstoff, so dass andere Meereslebewesen absterben.

Die Lösung ist im Grunde einfach und zugleich äußerst schwierig: die Verschmutzung des Wassers muss verhindert werden. Ein erster Schritt dazu wäre, die Einleitung ungeklärter Abwässer ins Marmara Meer zu verhindern. Dazu müssten zum Teil neue Kläranlagen gebaut, bestehende ausgebaut werden. Ein weiterer Verschmutzungsfaktor ist die Landwirtschaft, die mit abgeschwemmten Düngemitteln ebenfalls zur Belastung des Wassers beiträgt.

Erforderlich sind hohe Investitionen, die in den Lösungsansätzen der Regierung bisher nicht beziffert werden. Ungeklärt ist zudem, wer diese Kosten aufbringen soll. Und selbst wenn in kurzer Zeit die bestehenden Umweltnormen umgesetzt und die Kläranlagen verbessert werden, bedarf es Jahre, bis das Algenwachstum zurückgehen wird.

Raubbau

In einem Vortrag vor der Klimakommission des Parlaments führte der Präsident der TEMA Stiftung Deniz Ataç aus, dass von Juli 2019 bis August 2020 eine Bergbauausschreibung erfolgte, die 2.685 Punkte betrifft. Die betroffene Fläche ist größer als die der Provinz Kayseri. Eine Untersuchung in der Provinz Burdur ergab, dass auf einer Fläche von 950.000 Hektar 571 Steinbrüche und Marmorminen betrieben werden. 35 Prozent von ihnen befinden sich in Wäldern, 40 Prozent von ihnen haben das kollektive Weideland der Dörfer vernichtet. Hinzu kommt, dass viele dieser Bergbauaktivitäten aufgrund der geringen Dichte der vorkommenden Erze und Mineralien nur mit großem Wasserverbrauch und unter Einsatz äußerst gefährlicher Chemikalien durchgeführt werden können.

Hohes Wirtschaftswachstum im ersten Quartal

Die türkische Volkswirtschaft ist im ersten Quartal 2021 um 7,01 Prozent gewachsen. Bedenkt man, dass im vergangenen Jahr die Einbußen aufgrund der Pandemie vor allem im zweiten Quartal spürbar waren, ist dies ein beachtlicher Zuwachs. Dabei wuchs der private Verbrauch um 7,43 Prozent, die Investitionen um 11,44 Prozent, der Export um 3,34 Prozent. Betrachtet man die Komposition des Wirtschaftswachstums, so wurde es vor allem vom privaten Konsum getragen. Dabei spielte vermutlich die starke Ausweitung der Kredite im Vorjahr nach wie vor eine Rolle. Denn der Anteil der Löhne und Gehälter am Bruttoinlandsprodukt sank um 3,57 Prozent auf 31,56 Prozent. Die Relation des Zahlungsbilanzdefizits zur volkswirtschaftlichen Größe lag im ersten Quartal bei 4,13 Prozent.

Bedenkt man, dass angesichts der hohen Inflation die abhängig Beschäftigten einen realen Kaufkraftverlust hinnehmen mussten, sind einem weiteren Wachstum auf der Basis der Binnennachfrage Grenzen gesetzt.