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Die Woche vom 17. bis zum 24. September 2021

Die Woche vom 17. bis zum 24. September 2021

Ein ermutigender Vorstoß der CHP im Kurden-Konflikt hat dürfte zahlreiche Diskussionen nach sich ziehen. Nach der Frage, mit wem verhandelt werden soll, stellt sich wohl vor allem die danach, was verhandelt werden soll. Dabei stellte Staatspräsident Erdoğan nach einmal klar, dass es gar keinen Kurden-Konflikt gäbe. Die Zinsentscheidung der türkischen Zentralbank hat die Türkische Lira erneut unter Druck gesetzt und könnte zu einem weiteren Inflationsanstieg beitragen.

Bewegung im Kurden-Konflikt

In einem Interview hat der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu erklärt, dass der Ansprechpartner zur Lösung des Kurden-Konflikts nicht die PKK oder Abdullah Öcalan sein können. Es bedürfe dazu eines legitimen Partners und der könne nur die HDP sein. Der frühere HDP-Vorsitzende wiederum erklärte darauf, dass die HDP tatsächlich der einzige Partner für demokratische Reformen sein könne, doch der Ansprechpartner für den Friedensprozess müsse Abdullah Öcalan sein, der als Führer der PKK auf der Insel İmralı gefangen gehalten wird. Aus dem Gefängnis heraus meldete sich der frühere Co-Vorsitzende der HDP Selahattin Demirtaş zu Wort und unterstrich, dass der Ort für die Lösung des Kurden-Konflikts das Parlament sei. Ähnliche Positionen waren auch von anderen HDP-Spitzenpolitikern zu hören. Unterstützung für die Position von Kılıçdaroğlu kam auch von der Iyi Partei, die sich gegen jede Verhandlungen mit der PKK ausspricht.

Die Reaktion des MHP-Vorsitzenden Bahçeli, für den es kein Kurden-Problem gibt, kann man damit zusammenfassen, dass er sich in seiner These bestätigt sieht, dass die CHP mit der PKK gemeinsame Sache mache. Für ihn sind HDP und PKK eins.

Das Echo, das die Initiative Kılıçdaroğlus in der HDP ausgelöst hat, kann man als Ermutigung werten. Gleichwohl herrscht dort die Erwartung, dass klarere Vorschläge von der CHP gemacht werden.

Der Kolumnist der Nachrichtenplattform T24 Aydın Engin geht auf die „ungewohnten Stimmen“ in der türkischen Politik ein und merkt an, dass es schön und gut ist, wenn sich einzelne Politiker äußern. Wichtiger jedoch sei, dass sich die Parteien positionierten. Bei der CHP wäre dazu ein Beschluss des Parteirates erforderlich. Ob zusammen mit dem seit langem angekündigten Kurden-Bericht eine solche Beschlussvorlage auf die Tagesordnung kommt, ist offen. Auffällig ist, dass das Echo aus den anderen Parteien zunächst größer ist als das in der CHP.

Ratifizierung des UN-Klimaabkommens angekündigt

Über Jahre hat die AKP die Ratifizierung des Klimaabkommens hinausgeschoben. Nun hat Staatspräsident Erdoğan angekündigt, dass die Ratifizierung unmittelbar nach Wiedereröffnung des Parlaments erfolgen soll. Zuvor hatte die türkische Regierung die Rechtskraft des Abkommens von zwei Bedingungen abhängig gemacht. In der Anlage des Abkommens wird die Türkei als „entwickeltes Land“ geführt. Sie will jedoch den Status eine „Schwellenlandes“ erhalten. Hintergrund sind geringere Anforderungen beim Emissionsabbau und Zugang zu Fördergeldern. Der Antrag für die Änderung der Einstufung wurde in dieser Woche formell gestellt. Ob ihm entsprochen wird, bleibt offen.

Als zweite Bedingung wollte die türkische Regierung stets eine Zusicherung, dass die Bedingungen des Abkommens das Wirtschaftswachstum der Türkei nicht beeinträchtigten. Vermutlich soll mit einer solchen Zusicherung Sanktionen vorgebeugt werden, wenn eingegangene Verpflichtungen nicht erfüllt werden.

Nun wird davon ausgegangen, dass die Ratifizierung mit den beiden Einschränkungen erfolgen soll.

Die Motive für den Sinneswandel, der zur Ratifizierung führt, könnten vielfältig sein. Zum einen steht die Türkei innerhalb der internationalen Gemeinschaft ziemlich im Abseits. Zum anderen haben die Pläne der EU, Emissionszölle zu verhängen, zu einer Neubewertung geführt, denn die Türkei wäre davon auf ihrem wichtigsten Exportmarkt besonders betroffen. Und dann wird noch berichtet, dass Verhandlungen über einen Förderkredit zum Klimawandel geführt werden. Vorgesehen sind 3 Mrd. Dollar Kredit sowie 80 Mio. Dollar Zuschuss für Projekte der Emissionsreduzierung. Voraussetzung für den Kredit scheint jedoch die Ratifizierung des Klimaschutzabkommens zu sein.

Sinnvoll wird die Ratifizierung des Abkommens jedoch nur sein, wenn diese mit einigen Politik-Wechseln verbunden wird. Seit Jahren wird die türkische Regierung wegen ihrer Politik der Kohleförderung bei der Stromerzeugung kritisiert. In einem Beitrag für die Wirtschaftszeitung Dünya weist Didim Erya Ünlü jedoch auf eine Studie des Center for Research on Clean Energy and Clean Air und Transition Zero hin, die zu dem Schluss kommt, dass in der Türkei eine Kraftwerksüberkapazität bestehe und darum die Abschaltung der Kohlekraftwerke möglich wäre. Angesichts deren hoher Wartungskosten würden dadurch zudem jährlich 155 Mio. Euro eingespart.

Allein die Rehabilitierung und Modernisierung des Stromleitungsnetzes würde manches Kraftwerk verzichtbar machen. Bei der Energieeffizienz in der Industrie und der Gebäude gibt es hohe Einsparungsmargen, deren Verwirklichung zudem einen Arbeitsmarkteffekt hätte…

Wie weiter in Syrien?

Nach wie vor sterben türkische Soldaten in Syrien. Verbunden mit dem Gerücht, dass drei oder fünf Generäle ihren vorzeitigen Ruhestand beantragt hätten, ist Metin Gürcan, früherer Offizier und akademisch in der Konfliktforschung tätig, auf die prekäre Lage in der syrischen Provinz Idlib eingegangen. Er weist darauf hin, dass die syrische Luftwaffe inzwischen über modernisierte MIG 29 Kampfflugzeuge verfügt, die insbesondere für Bombenangriffe in Idlib eingesetzt werden. Die türkischen Stützpunkte verfügen nach Einschätzung von Gürcan über keine ausreichende Luftabwehr. Die Bombardements jedoch finden häufig in unmittelbarer Nähe dieser Stützpunkte statt, da sich sowohl die Milizen als auch die Bevölkerung in ihre Nähe zurückgezogen haben.

Nach einem Treffen von Putin und Assad steht nun eines von Putin mit Erdoğan bevor. Auf der Tagesordnung soll auch die Lage in Idlib stehen. Die Lage ist verfahren: der Status Quo ist riskant, ein Rückzug würde jedoch zu einer Massenflucht in die Türkei führen.

Leben mit Schulden

Die Tageszeitung Sözcü hat anhand der Daten der Bankenaufsicht BDDK einen Überblick über die Verschuldung vom 1. Quartal 2020 bis zum 3. Quartal 2021 zusammengestellt. In diesen sechs Quartalen haben rund 5 Millionen Personen mit einem Einkommen von weniger als 1.000 TL im Monat eine Kreditsumme in Höhe von 142,1 Mrd. TL aufgenommen. Durchschnittlich ergibt sich dabei eine Verschuldung von 28.430 TL pro Schuldner. Selbst wenn die Laufzeit drei Jahre betragen sollte, ist ein solcher Kredit bei diesem Einkommen nicht rückzahlbar, ohne dass sich zuvor die Einkommenssituation verbessert hätte. Auch die Refinanzierung solcher Kredite zu höheren Zinssätzen, wie sie die Staatsbanken jüngst angeboten haben, bietet keinen Ausweg aus der Verschuldung.

Die Inflation erscheint vernachlässigenswert

Für die einen war die Entscheidung der türkischen Zentralbank, die Zinsen um einen Prozentpunkt auf 18 Prozent zu senken, eine Überraschung. Andere hatten bereits zuvor angemerkt, dass es kaum einen Unterschied mache, ob die Zinssenkung im September oder im Oktober erfolge. Nach der Anweisung des Staatspräsidenten glaubte niemand daran, dass der Zentralbankpräsident Kavcıoğlu sich widersetzen würde. Hatte dieser noch bis vor zwei Wochen beteuert, der Zinssatz werde über der Inflation gehalten, so vollzog er in der vergangenen Woche eine Wende. Nicht die Inflation, sondern die Kerninflation sei der Maßstab. Und da wählte er die Kerninflation, aus der Lebensmittel- und Energiepreise herausgerechnet sind. In der jüngsten Zentralbankentscheidung ist eine Zusicherung von Realzins nicht mehr enthalten.

Zuvor hatte die US-Zentralbank erklärt, dass sie ihre Anlagenkäufe reduzieren werde und plane, die Zinsen bereits im kommenden Jahr zu erhöhen. Zuvor war davon ausgegangen worden, dass dies erst 2023 erfolgen werde. Als Folge wird zusätzlicher Druck auf die Währungen von Schwellenländern erwartet. Vor diesem Hintergrund wirkt die Entscheidung der türkischen Zentralbank umso bizarrer.

Die unmittelbare Reaktion auf die Zentralbankentscheidung war ein Wertverlust der Türkischen Lira. Es wird damit gerechnet, dass dieser anhält. Dieser Wertverlust wird die Inflation zusätzlich antreiben. Unmittelbar nach der türkischen Zinsentscheidung haben zahlreiche internationale Banken ihre Inflationsschätzung nach oben revidiert.

Zugleich gibt die Entscheidung ein schlechtes Signal für die türkische Wirtschaft. Offensichtlich ist Rationalität kein Maßstab für Entscheidungen und Institutionen sind reine Fassade, hinter der sich die Marotten des Staatspräsidenten austoben können.

Auch ohne die Zinsentscheidung wurde für Oktober mit einer Strompreiserhöhung um 15 Prozent gerechnet. Schätzungen gehen davon aus, dass der staatliche Erdgasimporteur Botaş allein in diesem Jahr Verluste von 856 Mio. Dollar hinnehmen musste, weil er das Gas unter dem Einkaufspreis weiterverkauft. Zurzeit befinden sich die Energiepreise auf dem Weltmarkt in einem steilen Aufstieg. Allein dies wird dazu führen, dass für einen großen Teil der türkischen Bevölkerung ein harter Winter bevorsteht. Auch für eine Stabilisierung der Nahrungsmittelpreise gibt es zurzeit keine Anzeichen. Demgegenüber erreichte die Kreditkartenausgaben für Bildung und Schreibwaren ein Rekordniveau. Fehlender bezahlbarer Wohnraum für Studenten führt zu öffentlichem Unmut. Die Regierung reagiert mit dem üblichen Mittel: Proteste werden verboten.

Man hat den Eindruck, dass der Regierung angesichts der Versuchung hoher Wachstumsraten die Inflation für vernachlässigenswert betrachtet. Das Ergebnis ist ein Wirtschaftswachstum, das für die Bevölkerung nicht spürbar ist.