Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 19. bis zum 26. August 2022

Es knistert wieder leise in den türkisch-amerikanischen Beziehungen. Warnungen vor Sanktionen wegen Unterlaufen der Russland-Sanktionen und zum Schluss noch die Unzufriedenheit der US-Regierung mit der möglichen Kursänderung in der türkischen Syrien-Politik sind die neuesten Glieder in einer Kette von Problemen. Die Zentralbank spielt weiter an den Zinsen herum, versucht die Wirtschaft zu puschen und zugleich den Anstieg des Kreditvolumens zu begrenzen. Da dies gleichzeitig nicht zu schaffen ist, sind Experten skeptisch.

Warnung aus den USA

Bereits seit einiger Zeit ist in verschiedenen türkischen und internationalen Medien die Warnung vor Sekundärsanktionen gegen die Türkei bzw. türkische Unternehmen geäußert worden. Nach dem der US-Vizeminister des Schatzamtes Wally Adeyemo bekannt gegeben hat, dass er seinen türkischen Amtskollegen in einem Telefonat vor dieser Möglichkeit gewarnt habe, berichtete das Wall Street Journal, dass die US-Regierung außerdem einen Brief an TÜSIAD geschrieben hat. Im Kern geht es darum, dass türkische Unternehmen keine Geschäfte mit Personen oder Unternehmen in Russland machen sollen, die auf der Sanktionsliste stehen.

Bereits zuvor hatte die Meldung russischer Zeitungen, dass ein Vertrag über eine zweite Lieferung von russischen S-400 Abwehrraketen unterzeichnet worden sei, zu Warnungen der US-Regierung geführt.

Die türkische Außen- und Wirtschaftspolitik bewegt sich gleichsam auf einem Drahtseil. Sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht anzuschließen war einerseits ein Gebot der gebeutelten Wirtschaftslage und bot andererseits die Möglichkeit eines politischen Dialogs. Dieser wiederum ermöglichte den Abschluss des Abkommens über den ukrainischen Nahrungsmitteltransport. Nachrichten, dass russische Oligarchen, die auf Sanktionslisten verschiedener Länder stehen, ihre Vermögen in die Türkei transferierten, bergen – wenn sie zutreffen – die Gefahr, dass die kostspieligen Sanktionen gegen Russland an Wirkung verlieren. Ob es daran lag, dass Staatspräsident Erdoğan jüngst erklärte, dass für einen Frieden Russland die annektierte Krim an die Ukraine zurück geben müsse?

Verhaftet in traditionellen Rollenvorstellungen

Im Rahmen des UN-Projektes Unstereotype Alliance wurden in 20 Ländern Umfragen zur Wahrnehmung der Geschlechterrollen durchgeführt. 30 Prozent der Befragten glauben, dass Männer für die gleiche Arbeit ein höheres Gehalt erhalten sollten als Frauen. 34 Prozent glauben, dass eine Ehefrau nicht mehr verdienen sollte als ihr Ehemann. 54 Prozent empfinden ein höheres Gehalt für Männer normal, da diese ja die Familie ernähren müssen. Während 41,5 Prozent glaubt, dass es Aufgabe des Mannes ist, zu arbeiten und der Frau, sich um den Haushalt zu kümmern, glauben 54,5 Prozent, dass Frauen weniger arbeiten sollten, um sich um die Familie kümmern zu können. Der Anteil jener, die glauben, dass Kinder darunter leiden, wenn ihre Mütter arbeiten, liegt doppelt so hoch wie der derjenigen, die glauben, dass Kinder darunter leiden, wenn ihre Väter arbeiten. Mehr als 60 Prozent der Befragten glaubt, dass Männer und Frauen in Medien in ihren traditionellen Rollen dargestellt werden.

Drückendes Klima

Die Provinzverwaltung Muğla hat das Milyonfest der Kommune Fethiye untersagt. Begründet wird die Entscheidung mit dem Schutz von Natur und historischen Stätten. Man könnte mit den Schultern zucken, wenn es ein Einzelfall wäre. Doch in diesem Sommer sind zahlreiche Festivals abgesagt worden. Als Hintergrund werden Beschwerden konservativer Kreise vermutet, die sich um die Sittlichkeit der Jugend sorgen.

Die Sängerin Gülşen hatte im April ein Konzert gegeben. In einem jüngst veröffentlichten Konzertvideo ist zu hören, dass sie sagt: „Er (oder sie) hat die Predigeroberschule besucht. Die Perversion rührt daher“. Dies brachte ihr eine staatsanwaltliche Ermittlung wegen „Volksverhetzung“ und eine Festnahme ein. Unverzüglich darauf wurde sie in Untersuchungshaft genommen. Der Verein der Absolventen der Predigeroberschulen zeigt sich empört, auch das Bildungsministerium stellte Strafanzeige. Wie sensibel die herrschenden Kreise doch reagieren können, wenn es jemand wagt, über ihr Lieblingskind zu lästern. Doch wie es so ist unter Kindern: Bevorzugung löst bei anderen Verachtung aus.

Und was soll man zu den Entwicklungen an der Bosporus Universität sagen. Sie gehört zu den führenden der Türkei und sie verfügte bisher auch über so etwas wie ein akademisches Leben (was man nicht von allen Universitäten in der Türkei behaupten kann). Und dann gefiel es dem Staatspräsidenten einen Rektor einzusetzen, der damit aufräumt. Seither demonstrieren Lehrtätige, in dem sie einmal täglich dem Rektorat den Rücken kehren. Durch Verordnung wurden zwei neue Fakultäten geschaffen, von denen niemand sicher ist, ob sie benötigt werden. Vor dem neuen Semester beginnt zudem der Kahlschlag unter den Akademikern. Mal einzeln, mal gleich 16 an einem Tag – der Rektor schafft Platz. Und dann war ihm noch ein Dorn im Auge, dass im Lokal des Absolventenvereins BÜMED Alkohol ausgeschenkt wurde. Also erließ er ein generelles Alkoholverbot und ließ das Lokal durch das Landratsamt schließen. Mit seinen Verfügungen führt sich der Rektor wie ein Mini-Staatspräsident auf.

Ein harter Winter

Müslim Yanmaz, Vorsitzender der Union der Gewächshausbetreiber und –investoren, hat in einem Interview mit Bloomberg HT erklärt, dass die Tomatenpreise in diesem Winter auf ein Niveau von 50 TL/kg steigen werden. Zur Begründung verweist er nicht nur auf die gestiegenen Kosten für Heizung, Dünger und Saatgut, sondern auch auf die Ernteausfälle in Europa wegen der Dürre. Hinzu kommt die für den kommenden Winter in Europa absehbare Energieknappheit, die die dortigen Treibhäuser unrentabel macht. Derzeit werden türkischen Unternehmen Angebote von 2 Euro pro Kilo Tomaten gemacht und es wird mit einer hohen Exportnachfrage gerechnet.

Diese Einschätzung betrifft vermutlich nicht nur die Tomaten, sondern auch andere Gemüsesorten. Die Menschen werden darum wohl auf viele Lebensmittel verzichten müssen. Denn die Auswirkung der Gaspreiserhöhungen im Frühjahr wird erst mit Beginn der Heizperiode wirklich spürbar und ein großes Loch in das Budget der Privathaushalte reißen.

Und dann ist da noch der September-Effekt. September und Dezember sind häufig Monate mit erhöhter Inflation. Bei den Nahrungsmitteln beginnt der Übergang zur Treibhausproduktion. Bei Bekleidung ist Saisonwechsel. Mit dem Schuljahresbeginn müssen Schulausstattungen angeschafft werden. In Istanbul hat die Kommission für den öffentlichen Nahverkehr beschlossen, die Gebühren für den Schultransfer um 19,2 Prozent zu erhöhen. Sie gibt an, dies entspräche dem Durchschnitt aus der Erhöhung des Mindestlohns und der Inflation der vergangenen vier Monate.

Mit einem Gesetz zu Beginn des neuen Gesetzgebungsjahres im Oktober plant die Regierung eine gewisse Erleichterung. Begünstigt werden 6 Millionen Menschen, die mit Rechnungen wie Strom, Wasser oder Telefon in Verzug geraten sind und gegen die ein Vollstreckungsverfahren läuft. Die ausstehenden Rechnungen werden von Staat übernommen und es wird von einem Gesamtvolumen in Höhe von 30 Mrd. TL ausgegangen. Ob dies ausreicht? Vermutlich wird nur eine Erhöhung von Beihilfen und sozialen Unterstützungen verhindern, dass diese Personen erneut in Zahlungsverzug kommen.

Warnung vor Staatsverschuldung

Interessant: Am 24. August 2022 haben zwei Wirtschaftskolumnisten die Dynamik der Staatsverschuldung aufgegriffen. In der Wirtschaftszeitung Dünya wies Alaattin Aktaş darauf hin, dass binnen eines Jahres die Inlandsverschuldung des Schatzamtes um 45 Prozent zugenommen hat. Dies entspricht 545 Mrd. TL. Die Zinslast dagegen stieg um 243 Prozent auf 1,7 Billiarden TL. Wenn die Zinslast die Kreditsumme überschreitet, so läuft dies über kurz oder lang auf eine Schuldenkrise hinaus. Denn um die Zinsen zu zahlen müssen immer mehr Kredite aufgenommen werden.

An dieser Stelle weist am gleichen Tag İbrahim Kahveci auf seine Erfahrungen aus der Krise von 1994 hin. Die damalige Schatzamtsministerin Tansu Çiller hatte begonnen, die Kreditstrategie des Schatzamtes zu ändern. Statt die Gelder als Staatsanleihen auszuschreiben, holte sie sich die benötigten Mittel von der Zentralbank. Auf diese Weise sollte mehr Geld auf dem Markt bleiben und die Banken würden die Kreditzinsen senken. So war zumindest die Überlegung. Es kam jedoch anders und endete 1994 in einer schweren Abwertung der Türkischen Lira, weil die Gelder nicht in Bankkredite, sondern in Devisen geflossen waren.

Auch heute erleben wir wieder eine experimentelle Finanzpolitik. Die jüngsten Entscheidungen der Zentralbank zielen unter anderem darauf, dass mehr Geld in Staatsanleihen angelegt wird. Doch wie sich zeigt, ist das Schatzamt derzeit ein Fass ohne Boden.

Konjunkturerwartung trübt sich ein

Der von der Zentralbank monatlich erhobene Index des Realsektors hat im August nachgegeben. Mit 102,1 Punkten liegt er zwar noch im positiven Bereich, doch ein Jahr zuvor lag er bei 113,9 Punkten. Auffällig ist die Bewertung des Auftragseingangs in den vergangenen Monaten. Hatte dieser Index im Juli noch bei 104,8 Punkten gelegen, so erreichte er im August nur noch 95,8 Punkte. Auch bei den Erwartungen zum Auftragseingang in den kommenden Monaten sowie bei den Investitionsplänen gibt es deutliche Rückgänge.

Über die Ursachen kann man spekulieren. Aufgrund der hohen Inflation kann auf dem Binnenmarkt mit einem Nachfragerückgang gerechnet werden. Die Eintrübung der europäischen Wirtschaft bremst die Exportnachfrage. Gleichwohl deutet das hohe Produktionsniveau darauf hin, dass mit einem kurzfristigen Einbruch nicht zu rechnen ist.