Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 26. August bis zum 2. September 2022

Eine neue Enthüllungsserie von Sedat Peker, in der er ein Korruptionsdreieck zwischen dem Vorsitzenden der Finanzmarktaufsicht SPK, einer AKP-Abgeordneten und einem Präsidentenberater schildert, drückte der politischen Diskussion den Stempel auf. Die türkische Volkswirtschaft ist auch im zweiten Quartal stark gewachsen, doch hat das Groß der Bevölkerung wenig davon.

Destruktive Politik

Die Streitigkeiten zwischen Griechenland und der Türkei sind eine Konstante der europäischen Politik. Das schlechte Image der türkischen Regierung verschafft der griechischen, die ohnehin über den Vorteil der EU-Mitgliedschaft verfügt, beträchtlichen Spielraum. Doch wäre es nicht an der Zeit, der blinden Unterstützung Grenzen zu setzen?

Die türkische Regierung erklärt, dass türkische Flugzeuge bei einem NATO-Manöver vom Zielradar der auf Kreta stationierten griechischen S-300 Raketen erfasst wurden. Die griechische Regierung dementiert dies nicht, erklärt jedoch, sie sei nicht über den Flug informiert worden und habe die türkischen Flugzeuge als "unbekannt" eingestuft. Die Zielerfassung durch einen Flugabwehrradar wird von Militärs als „feindseliger Akt“ bewertet. Der Erwerb des russischen S-300 Raketensystems durch die Republik Zypern hatte1998 zu einer ernsten Krise geführt. Als Ergebnis des türkischen Einspruchs wurden die Raketen auf Kreta stationiert und bis 2013 nicht eingesetzt. Der aktuelle Zwischenfall ist die erste Meldung darüber, dass das Raketensystem aktiviert wurde.

Die türkische Regierung hat sich darum bei der NATO und den USA beschwert. Eine Verurteilung des feindseligen Verhaltens steht jedoch aus. Dies kann ohne weiteres als Ermutigung bewertet werden, mit solchen Provokationen fortzufahren. Für eine daraus erfolgende Eskalation die Türkei verantwortlich zu machen, wäre nicht nur ungerecht. Ein Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland liegt nicht in europäischem Interesse. Sollte ein EU-Mitglied internationale Regeln verletzen, so wäre es auch im Interesse der Glaubwürdigkeit Europas angebracht, dieses Mitglied zu verwarnen. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße für die NATO, denn die türkischen Flugzeuge befanden sich auf einer NATO-Mission.

Die Enthüllungen des Sedat Peker

Sedat Peker gilt als eine führende Person in der organisierten Kriminalität in der Türkei. Lange hatte er die AKP und vor allem Recep Tayyip Erdoğan unterstützt. Doch dann entzweite sich die Beziehung. Peker musste ins Ausland flüchten und landete über mehrere Stationen schließlich in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Von dort aus startete er dann auch seine erste Enthüllungsserie. Diese richtete sich nicht direkt gegen Erdoğan, sondern vor allem gegen Innenminister Soylu. Die weitgehende Funkstille, die dann bis vor zwei Wochen währte, ging wohl darauf zurück, dass ihm von den Vereinigten Arabischen Emiraten nahegelegt wurde, zu schweigen. Was sich nun geändert hat, ist nicht nachzuvollziehen.

Hauptakteure der aktuellen Veröffentlichungen sind die Geschwister Taşkesenlioğlu. Der eine ist Vorsitzender der Finanzmarktaufsicht SPK, die andere ist AKP-Parlamentsabgeordnete. Detailliert schildert Peker, wie diese zusammen mit einem Präsidentenberater Bestechungsgelder einnahmen.

Nach Strafanzeigen der Opposition, des SPK und den Geschwistern Taşkesenlioğlu hat die Staatsanwaltschaft nun Ermittlungen eingeleitet.

Die Enthüllungen von Sedat Peker erinnern an diejenigen von Fuat Avni vor einigen Jahren. Jemand hat über Jahre schmutzige Wäsche gewaschen und wirft sie häppchenweise auf den Markt. Polizei und Justiz reagieren zögerlich. Die Ermittlungen aufgrund der Enthüllungen von Fuat Avni wurden niedergeschlagen. Das ganze wurde ausschließlich als Komplott der Gülen Gemeinschaft dargestellt. Dass eine Person wie Sedat Peker über detaillierte Insiderinformationen verfügt, verweist zugleich auf seine guten Beziehungen in Staat und Partei sowie zur Geschäftswelt.

Natürlich sind die von ihm verwendeten Telefonmitschnitte illegale Beweismittel und vor Gericht nicht verwendbar. Und ebenso wie bei Fuat Avni kann man sich nicht sicher sein, welche Informationen ausgelassen oder verdreht werden, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Behauptungen haltlos sind. Es wäre Aufgabe der Ermittlungsbehörden, sich auf reguläre Weise die nötigen Beweise zu verschaffen und die Sachverhalte aufzuklären. Voraussetzung dafür wäre natürlich eine unabhängige Justiz…

Geringes Vertrauen in Institutionen

Das Meinungsforschungsinstitut Metropoll hat in einer Umfrage nach dem Vertrauen verschiedener Institutionen gefragt. Bewertet werden konnte auf einer Skala von Null (kein Vertrauen) bis Zehn (volles Vertrauen). Wie nicht überraschend liegt die Armee mit einem Vertrauenswert von 5,6 Punkten an der Spitze. Überraschend ist dies nicht, denn die Armee liegt in allen solchen Umfragen stets an der Spitze, obgleich ich den Eindruck habe, dass auch sie an Vertrauen verloren hat.

Interessant ist, dass mit 5,1 Punkten die Polizei an zweiter Stelle liegt. Dabei sind die Beschwerden über die Polizei in Alltagsgesprächen mannigfaltig. Auch der Wert von 4,3 Punkten für die Meinungsforscher wirkt unvertraut. Immerhin weisen sie bei politischen Meinungsumfragen stets ein solch breites Spektrum von Ergebnissen auf, dass man glauben könnte, sie hätten ihre Umfrage in verschiedenen Ländern gemacht… Die CHP als führende Oppositionspartei genießt vier Vertrauenspunkte und liegt damit gleich auf mit dem Parlament, während das Präsidialamt nur 3,9 Punkte erhielt. Politiker und Medien sind mit 2,7 Punkten wieder Schlusslicht – wie in den mir bekannten früheren Umfragen auch.

Vielleicht ebenso interessant wie die Einzelergebnisse ist das Gesamtbild. Wirkliches Vertrauen in Institutionen gibt es nicht. Selbst die Armee erhält nur 5,6 Punkte.

Stadtsanierung oder Terror?

Am 1. September 2022 traf ein großes Polizeiaufgebot in Istanbul-Beykoz ein und räumte einige Häuser in Tokatköy. Es ist nicht der erste Polizeieinsatz dieser Art. Hundertschaften Einsatzpolizei und Wasserwerfer begleiten eine Abrisskampagne, die von der Bezirksverwaltung angeordnet wurde. Die Betroffenen hatten mehrfach einstweilige Verfügungen gegen den Abriss durchgesetzt, die jedoch unverzüglich wieder aufgehoben wurden. Am 28. September ist die nächste Verhandlung und es wirkt, als ob vor diesem Termin Tatsachen geschaffen werden sollen, die eine erneute einstweilige Anordnung überflüssig macht. Dabei sind die Prozessaussichten der Kläger gar nicht schlecht: denn der Bebauungsplan, auf dem die Abrissanordnungen beruhen, ist aufgehoben worden.

Es ist eine bittere Ironie, dass Tokatköy als eine Hochburg der AKP galt. Nun werden sie mit einer Polizeigewalt konfrontiert, die sie zuvor vermutlich nur aus dem Fernsehen bei Berichten über Demonstrationen kannten.

Wieder ein prächtiges Wachstum, das niemanden glücklich macht

Die türkische Volkswirtschaft ist im 2. Quartal 2022 um 7,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen. Gegenüber dem 1. Quartal 2022 lag das Wachstum bei 2,1 Prozent. Am höchsten waren die Zuwächse im Finanzsektor und Versicherungswesen (26,6 Prozent), bei Dienstleistungen (18,1 Prozent) und Verwaltung/Unterstützung (11,0 Prozent). Der Zuwachs der Industrie lag bei 7,8 Prozent. Landwirtschaft/Wald und Fischerei gingen um 2,9 Prozent, der Bausektor um 10,9 Prozent zurück.

Man kann nun fragen, warum dauernd von einer Krise die Rede ist. Der Teufel steckt im Detail. Der Anteil von Lohnzahlungen am volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen ist auf 25,4 Prozent zurückgegangen. Dieser hatte ein Jahr zuvor noch 32,6 Prozent betragen. Demgegenüber ist das Einkommen der Unternehmen von 49,2 Prozent auf 54,0 Prozent gestiegen. Dank der hohen Inflation haben wir also extreme Wachstumsraten im Finanzwesen sowie bei den Unternehmensgewinnen, während die Bevölkerung sich mit einem deutlich kleineren Stück des Kuchens zufrieden geben muss.

Kolin İnşaat und Siemens

Siemens hatte die öffentliche Ausschreibung der türkischen Bahn für die Beschaffung von Hochgeschindigkeitszug-Sets im Wert von 60 Mio. Euro gewonnen. Doch sollen dabei 10 Mio. Euro an Schmiergeld geflossen sein. Dies soll nach Angaben der Tageszeitung Cumhuriyet aus einem internen Prüfungsbericht von Siemens hervorgehen, in dem Kolin als Vermittler beschuldigt wird. Kolin wiederum gehört zu den fünf Bauunternehmen, die fast alle größeren Bauausschreibungen erhalten.

Kolin antwortete auf den Bericht in der Cumhuriyet mit dem Hinweis, dass das Unternehmen bei der Ausschreibung nicht als Partner, sondern als Subunternehmen aufgetreten sei. Die an Kolin geflossenen Zahlungen seien für erbrachte Leistungen gezahlt worden. Weil nach Kündigung der Zusammenarbeit noch Forderungen offen stünden, habe Kolin eine Schiedsstelle angerufen.

Inflation in Istanbul bei rund 100 Prozent

Das Türkische Statistikinstitut wird seine Inflationsdaten erst am 5. September vorlegen, doch gibt der Inflationsindex der Handelskammer Istanbul bereits einen Vorgeschmack. Die Verbraucherpreise sind demnach im Monatszeitraum um 2,29 Prozent gestiegen und erreichten im Jahreszeitraum einen Zuwachs um 99,9 Prozent. Dies ist der höchste Stand seit 1998. Die Großhandelspreise stiegen monatlich um 6,90 Prozent und jährlich um 98,9 Prozent.

Den stärksten Zuwachs verzeichnete die Handelskammer bei Schulbedarf mit 13,99 Prozent sowie Gesundheit und Körperpflege mit 3,99 Prozent. Die Preise für Bekleidung dagegen haben um 3,16 Prozent nachgegeben.

Man muss kein Hellseher sein, wenn man annimmt, dass die drastischen Erhöhungen bei Strom und Erdgas die Inflation im September weiter anfachen werden.