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Es ist offensichtlich, dass das Regierungsbündnis die HDP benutzen will, um das Oppositionsbündnis zu spalten. Die Vorlage in dieser Woche lieferte der CHP-Abgeordnete Gürsel Tekin, der meinte, dass in einer neuen Regierung auch die HDP ein Ministerium übernehmen könne. Doch im Grunde hat das Ganze nur gezeigt, dass das Oppositionsbündnis durchaus in der Lage ist, Diskussionen auszuhalten. Ein neues Wirtschaftsprogramm für die kommenden drei Jahre ist veröffentlicht worden. Es beinhaltet das Eingeständnis, dass keines der Ziele der veränderten Wirtschafts- und Geldpolitik erreicht wird.
Gürsel Tekin, ein früherer Spitzenpolitiker der CHP, hat ein Tabu gebrochen. Auf die Frage, ob er sich in einem von der Opposition gebildeten Kabinett einen HDP-Minister vorstellen könnte, antwortete er mit Ja. Die sechs kooperierenden Oppositionsparteien haben es stets vermieden, gemeinsam mit der HDP aufzutreten. Insbesondere für die Iyi Partei, aber auch Teile der CHP-Basis ist eine offene Kooperation mit der HDP ausgeschlossen.
Doch auch wenn viele Umfragen das Oppositionsbündnis in Führung sehen, zeigen sie auch, dass es allein nicht auf mehr als 50 Prozent der Stimmen kommt. Es wirkt so, als ob die sechs verbündeten Parteien darauf setzen, dass ebenso wie bei den Kommunalwahlen die HDP stillschweigend den Präsidentschaftskandidaten der Opposition unterstützen werde. Doch eine Gesetzgebung ohne absolute Mehrheit dürfte selbst bei diesem Modell schwierig werden.
Die HDP wiederum hat deutlich gemacht, dass sie ein eigenes Wahlbündnis mit mehreren Linksparteien eingehen will. Ob sie den Präsidentschaftskandidaten der sechs Oppositionsparteien unterstützt sollte in einem offenen Gespräch geklärt werden. Doch so klar diese Position auch formuliert wird – letztlich steckt die HDP in dem Dilemma, im Zweifelsfall für einen Wahlsieg des amtierenden Staatspräsidenten mit verantwortlich zu sein.
Der Kolumnist der Tageszeitung Karar İbrahim Kirazlı argumentiert pragmatisch. Die HDP ist eine zugelassene politische Partei und derzeit drittgrößte Partei im Parlament. Doch die Mehrheit der Bevölkerung betrachtet sie als politischen Arm der PKK. Daran wird sich bis zur Wahl vermutlich nichts ändern. Das Modell der letzten Kommunalwahl erscheint unter diesem Gesichtspunkt als einzig praktikables. Doch sollte die Opposition bei der Parlamentswahl gewinnen, wird sie nicht umhi8n kommen, eine Formel für die parlamentarische Zusammenarbeit zu finden.
In den letzten Wochen häufen sich die Beschwerden von Türken, deren Schengen-Visumsantrag zurückgewiesen wurde. Die Nachrichtenplattform T24 hat mit Shkurta Januzi, Betreiber einer Webseite schengenvisainfo.com, erklärt, dass zwar die Zurückweisung von Visumsanträgen weltweit gestiegen sei. Bei der Türkei seien jedoch der kontinuierliche Anstieg der Rückweisungen und deren Anzahl auffällig. In dem Beitrag von T24 wird angegeben, dass der Anteil an Ablehnungen 2015 bei 4 Prozent lag. 2018 war er bereits auf 10,45 Prozent gestiegen und erreichte 2021 einen Anteil von 19,02 Prozent.
Am 4. September 2022 wurde das mittelfristige Wirtschaftsprogramm für 2023-2025 veröffentlicht. Aufgrund der geringen Verwirklichung der Ziele und Schätzungen in den vergangenen Jahren hat die Glaubwürdigkeit dieser Programme enorm nachgelassen. Beim aktuellen Programm springen vor allem zwei Punkte ins Auge: Zum einen der rasante Anstieg des Budgetdefizits und zum anderen, dass die Wirtschaftsführung anscheinend das Ziel eines dauerhaften Zahlungsbilanzüberschusses aufgegeben hat.
Bis zum Jahresende geht das Programm von einer Inflation von 65 Prozent aus. Für 2023 sieht es eine Inflation von 24,9 Prozent, für 2024 eine von 13,8 Prozent und für 2025 eine von 9,9 Prozent vor. Für das Wirtschaftswachstum ist 2023 ein Zuwachs von 5 Prozent und für die beiden folgenden eines von jeweils 5,5 Prozent vorgesehen. Im kommenden Jahr soll das Pro-Kopf-Einkommen wieder über 10.000 Dollar auf 10.071 Dollar steigen. 2024 soll die Arbeitslosigkeit unter 10 Prozent sinken.
Beim Außenhandel ist für 2022 ein Exportvolumen von 255 Mrd. Dollar vorgesehen, das bis 2025 auf 305 Mrd. Dollar steigen soll. Das Importvolumen soll von 360 Mrd. Dollar in diesem Jahr auf 384 Mrd. Dollar steigen. Bedenkt man, dass die Regierung ihr „neues Wirtschaftsmodell“ und die schwache Türkische Lira vor allem damit begründete, dass auf diese Weise ein dauerhafter Zahlungsbilanzüberschuss erwirtschaftet werden soll, so scheint diese nun diese Hoffnung aufgegeben zu haben.
Für die Haushaltsentwicklung sieht das Programm für dieses Jahr Einnahmen in Höhe von 2,3 Billiarden TL und für 2023 Einnahmen von 3,245 Billiarden TL vor. Das Haushaltsdefizit soll 2022 eine Höhe von 461,2 Mrd. TL erreichen und 2023 eines von 659,4 Mrd. TL. Bedenkt man, dass im Juli noch ein Haushaltsüberschuss bestanden hatte, so sind für das zweite Halbjahr und für das kommende Jahr bedeutende Ausgabensteigerungen vorgesehen. Der Gedanke liegt nahe, dass es sich bei diesen Ausgaben vor allem um Wahlgeschenke handelt dürfte.
Wie bereits erwähnt, zeichnen sich die Programme durch eine geringe Zuverlässigkeit ihrer Schätzwerte aus. Ein anderer Aspekt ist aber auch die Schlüssigkeit. Betrachtet man es nicht als eine Ansammlung von Schätzungen, sondern als Programm, so müssten Ziele definiert, die Schritte zur Zielerreichung bestimmt sowie eine Kosten-Nutzen-Analyse angestellt werden. Bei einem Blick auf die Landwirtschaftspolitik im Programm kommt der Landwirtschaftskolumnist der Wirtschaftszeitung Dünya Ali Ekber Yıldırım zu dem Schluss, dass alle dort aufgeführten Maßnahmen wie beispielsweise die „Sicherung eines Einkommens der Landwirte“ auch zuvor stets angekündigt, nicht aber eingehalten wurden. Und so bewertet er das Programm im Hinblick auf die Landwirtschaft als wenig ermutigend.
Zurzeit gibt es eine beträchtliche Auswahl an Inflationsraten. Die niedrigste ist die vom Türkischen Statistikinstitut ermittelt. Diese liegt im Jahreszeitraum bei 80 Prozent. Der höchste Wert ist der der unabhängigen Arbeitsgruppe zur Inflation ENAG, die die Jahresinflation mit 181 Prozent angibt. Dann gibt es noch den von der Handelskammer Istanbul ermittelten Wert von 99,9 Prozent und den von der Planungsagentur Istanbul (IPA) ermittelten Wert von 101,69 Prozent.
Die Methodologie der verschiedenen Institutionen ist unterschiedlich, doch es fällt auf, dass bis zum Frühjahr 2022 die Werte der Handelskammer Istanbul und des Türkischen Statistikinstituts weitgehend parallel verliefen. Inzwischen ist die Schere auf knapp 20 Prozentpunkte angewachsen. Dass das Statistikinstitut zudem die Veröffentlichung der Detaildaten eingestellt und damit eine Überprüfung ihrer Ergebnisse verhindert, hat weiter zum Glaubwürdigkeitsverlust beigetragen.
Doch jenseits der Anstiegsrate wirkt der Blick auf die konkreten Zahlen ernüchternd. IPA gibt an, dass eine vierköpfige Familie im Monat 23.586 TL benötigt. Der Anstieg im August beläuft sich auf 1.173 TL.
Hohe Energiekosten führen dazu, dass in Europa Fabriken mit hohem Energiebedarf ihre Produktion drosseln oder ganz einstellen. Als eine Alternative scheinen sich europäische Unternehmen zunehmend für Beschaffungen aus der Türkei zu interessieren. Dies gilt für die energieintensiven Sektoren wie Chemie, Zement, Stahl und Kunststoff. Doch die Freude über diese Entwicklung ist nach einem von der Wirtschaftszeitung zusammengestellten Bericht verhalten. Denn auch in der Türkei könnten die Energiepreise im Winter weiter steigen. Hinzu kommt, dass angesichts der zunehmend wahrscheinlicher werdenden Rezession in Europa dort die Nachfrage zurückgehen wird. Vor diesem Hintergrund herrscht bei den Unternehmen beträchtliche Planungsunsicherheit.
Das Türkische Statistikinstitut veröffentlicht monatlich eine Statistik, welches Investitionsinstrument welchen Ertrag eingebracht hat. Für August liegt die Börse mit einem realen Gewinn von 16,31 Prozent (bereinigt um den Anstieg der Verbraucherpreise), gefolgt von Staatsanleihen mit 7,63 Prozent. Die Erträge von Devisen sind eher gering, doch wer sein Geld auf dem Sparkonto hatte, hat 0,25 Prozent verloren.
Der Verdienst an der Börse war gut und es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass hohe Gewinnerwartungen dazu geführt haben, dass mehr Menschen ihr Geld dort anlegen. In einem Beitrag für die Tageszeitung Birgün geht Yalçın Karatepe ein wenig diesen Zahlen nach. Offiziellen Angaben zufolge verfügten 2,637 Mio. Personen über ein Konto an der Börse Istanbul. Doch betrachtet man diese Konten nach ihrer Größe, so liegt das Guthaben bei 960.000 Konten unter 1.000 TL. Demgegenüber lag die Zahl der Guthaben von mehr als einer Million TL bei 66.385. Doch diese vergleichsweise geringe Anzahl von Investoren kontrolliert 90 Prozent des gesamten Aktienkapitals.
Ein anderer Aspekt ist die Sicherheit von Klein- oder Amateur-Anlegern bei Börsengeschäften. Hier kommt der Finanzmarktaufsicht SPK eine Schlüsselfunktion zu. Hier weist Iris Cibre in einem Beitrag für die Nachrichtenplattform Gazete Duvar auf die bemerkenswerte Entwicklung der Bankaktien hin. Diese machten Sprünge von zum Teil mehr als 10 Prozent im Tagesverlauf und Cibre gibt an, dass ihr in 24 Jahren Erfahrung auf dem Finanzmarkt eine solche Entwicklung nicht untergekommen ist. Zunächst fragt sie nach den Ursachen und stellt fest, dass es keinen stichhaltigen Grund für den enormen Kursanstieg gibt. Dann weist sie auf das enorme Risiko unter diesen Umständen hin. Denn ein grundlos schnell steigender Kurs fällt in der Regel im gleichen Tempo wieder. Um zu verhindern, dass dabei unkalkulierbare Verluste entstehen, kann die SPK Handelsbeschränkungen verhängen. Beispielsweise kann sie anordnen, dass eine Aktie mindestens ein Tag gehalten werden muss, bevor sie wieder verkauft werden kann. Doch eine solche Beschränkung wurde bisher von der SPK nur für zwei Banken angeordnet.