Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 30. Dezember 2022 bis zum 6. Januar 2023

Mit der Bekanntgabe der Inflation für Dezember wurde auch eine Anhebung der Bezüge der Beamten sowie der Renten um 25 Prozent verfügt. Doch scheint die Enttäuschung über diesen im Vergleich zur Mindestlohnerhöhung niedrigen Satzes so groß gewesen zu sein, dass der Staatspräsident nur einen Tag später nachbesserte und eine Erhöhung um 30 Prozent sowie eine Anhebung der Mindestrente auf 5.500 TL bekannt gab.

Wahlkampf wohl ab Februar

Am 5. Januar haben sich die Vorsitzenden der sechs kooperierenden Oppositionsparteien getroffen. Herausgekommen ist, dass die sechs Parteien einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufstellen wollen. Außerdem wird vorbereitet, wie gemeinsame Listen bei der Parlamentswahl aussehen könnten. Ein politisches Programm ist weitgehend fertig gestellt. Vermutlich im Februar wird vermutlich der Präsidentschaftskandidat nominiert.

Am gleichen Tag erklärte Staatspräsident Erdoğan, dass die Wahl von Parlament und Staatspräsidenten nicht unbedingt am 18. Juni, sondern auch früher erfolgen könnte. Die Oppositionsparteien hatten einer Vorverlegung der Wahl eine Absage erteilt, wenn sie erst im April stattfinden würde. Anfang April tritt die im vergangenen Jahr verabschiedete Änderung des Wahlgesetzes in Kraft, die kleinere Parteien in Wahlbündnissen benachteiligt. Ohne die Stimmen der Opposition jedoch verfügt das Regierungsbündnis über keine ausreichende Mehrheit, um den Wahltermin zu verlegen. Gleichwohl kann der Staatspräsident das Parlament auflösen und auf diese Weise einen vorgezogenen Wahltermin erreichen. Je nach angestrebten Wahltermin müsste eine solche Entscheidung Ende Februar bis Mitte März erfolgen.

Staatliche Parteienförderung für die HDP blockiert

Im Zuge des Verbotsverfahrens gegen die HDP hat das Verfassungsgericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben und die Blockade der staatlichen Parteienförderung angeordnet. Die Entscheidung erfolgte nur wenige Tage vor der Auszahlung der jährlichen Fördergelder. Die HDP erhält am 10. Januar eine erste Rate in Höhe von 179 Mio. TL, insgesamt sind 539 Mio. TL vorgesehen. Das Verfassungsgericht billigte der HDP eine Frist von einem Monat für die Verteidigung zu und will dann über die Fortsetzung der Blockade entscheiden.

Die Entscheidung soll mit sieben zu acht Stimmen getroffen worden sein. Für eine Verbotsentscheidung bedarf es der Zustimmung durch zehn Verfassungsrichter. Als weitere Sanktion kommt jedoch auch der Entzug der staatlichen Parteienförderung in Frage.

Die HDP bewertete die Entscheidung als illegitim und führt sie auf politischen Druck auf das Gericht zurück. Wann eine Entscheidung im eigentlichen Verbotsverfahren fällt, liegt im Ermessen des Verfassungsgerichts. Bereits mit der Sperrung der Fördermittel hat das Gericht massiv in den Wahlkampf eingegriffen. Auch mit einem schwebenden Verfahren oder gar einem Parteienverbot greift es in die politische Willensbildung ein.

Das geltende und das ideale Recht

In einem Beitrag für die Nachrichtenplattform T24 setzte sich Prof. Ali D. Ulusoy mit der Frage auseinander, ob eine dritte Kandidatur von Recep Tayyip Erdoğan zum Amt des Staatspräsidenten möglich sei. Er begann seine Ausführung mit der Unterscheidung zwischen geltendem und idealem Recht. Letzteres charakterisierte er als „wishfull thinking“ und letztlich als Abkehr vom Rechtsstaat. Bezogen auf die Kandidatur verwies er auf die geltende Verfassungsbestimmung: Niemand darf mehr als zwei Mal zum Präsidenten gewählt werden. Hätte die Formel „von jetzt an, darf niemand mehr als zwei Mal zum Präsidenten gewählt werden“ hätte dies ein Hintertürchen für eine weitere Kandidatur von Staatspräsident Erdoğan ermöglicht. Eine andere Lösung wäre eine Übergangsbestimmung in der Verfassung gewesen. Doch beide existieren nicht. Zwar sei die Argumentation, dass die erste Amtszeit des Staatspräsidenten im Hinblick auf seine heutigen Befugnisse, mit der zweiten nicht zu vergleichen. Doch dies sei eben die Anwendung von „idealem Recht“.

Juristisch wirkt die Argumentation überzeugend. Sie wirft jedoch auch ein Schlaglicht auf eine andere Unterscheidung zwischen geltendem und geltendem Recht. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass der Hohe Wahlrat eine weitere Kandidatur des Amtsinhabers zurückweisen würde, wenn dieser es nicht selbst wollte (zum Beispiel, weil er eine Wahlniederlage fürchtet). Auch jenseits dieser Frage gibt es zahlreiche Beispiele, die die Kluft zwischen dem geschriebenen und dem angewandten Recht aufzeigen.

Politisch jedoch ist eine Abwahl von Staatspräsident Erdoğan nötig, wenn die türkische Demokratie gesunden soll. Würde er nicht zugelassen, bliebe er Zeit seines Lebens die bestimmende Figur der türkischen Politik…

Die Insel der Demokratie und Freiheit

Yasıada hieß die Marmara Insel früher und war berüchtigt als Gefängnisinsel und Hinrichtungsort des Ministerpräsidenten Adnan Menderes nach dem Militärputsch von 1960. Die Identifikation mit Menderes war ein wichtiges propagandistisches Element im Machtkampf der AKP gegen die politische Funktion des türkischen Militärs. Und so wurde die Insel umbenannt und auf ihr ein Kongresszentrum errichtet.

Der Prozess, der zur Verurteilung und anschließenden Hinrichtung von Adnan Menderes führte, war eine Farce. In die Schlusszeit dessen Amtszeit jedoch fallen ernste Bemühungen, die politische Opposition auszuschalten. Nach einem kurzen Zwischenspiel einer Demokratie mit mehreren Parteien drohte das System wieder in ein Einparteiensystem zurückzufallen. Und dann gab es noch das Pogrom gegen die nichtmuslimischen Minderheiten in Istanbul 1955, für das die Regierung verantwortlich gemacht wurde. Und es ist darum erst einige Jahre her, dass man von einem Konsens darüber sprechen kann, dass die türkische Armee kein politischer Garant der laizistischen Ordnung ist, sondern eben nur eine Armee.

Wirkliche Einwände gegen die neuen Pläne für die Insel entfalteten sich jedoch eher im Hinblick auf die Bauprojekte. Tatsächlich wurde die Insel komplett überbaut. Dafür wurden 2,6 Mrd. TL ausgegeben.

Angenommen wiederum wird sie nicht. Die Tageszeitung Birgün berichtet von einer Bürgeranfrage an das Präsidialamt, in der nach der Besucherzahl gefragt wurde. Eingeweiht wurde der Komplex am 27. Mai 2020. Beantwortet wurde die Frage am 30.12.2022. Die Besucherzahl wird mit 37.037 Personen angegeben. Viele von ihnen kamen mit Veranstaltungen, die von AKP-geführten Kommunen oder ihr nahestehenden Stiftungen durchgeführt wurden.

Eine Insel der Freiheit und Demokratie könnte, wenn sie kein Parteiprojekt wäre, ein geistiges oder kulturelles Zentrum für die Türkei sein. Doch ebenso wie die millet bahçesi – eine propagandistisch aufgeladene Form von Volksparks – ist sie nun nur ein weiteres Dokument der Spaltung der Gesellschaft.

Aussöhnung mit dem Assad-Regime

Mit dem Treffen des türkischen und des syrischen Verteidigungsministers in der vergangenen Woche in Moskau haben die von Russland forcierten Vermittlungsbemühungen eine Art Meilenstein hinter sich gelassen. Außenminister Çavuşoğlu erklärte, dass in Kürze auch ein Gespräch auf Außenministerebene folgen soll. Staatspräsident Erdoğan wiederum kündigte an, dass dem Treffen der Außenminister eines der Staatschefs folgen könnte.

Russische Medien berichten, dass bei dem Treffen in Moskau die türkische Regierung die syrischen Forderungen nach vollständigem Abzug aus Syrien und die baldmöglichste Öffnung der Fernverkehrsstraße M4 akzeptiert habe. Umgekehrt erwartet Ankara ein gemeinsames Vorgehen gegen die PYD bzw. die von den USA unterstützten Demokratischen Kräfte Syriens.

Sollte es zu solch einem Deal kommen, stehen weitreichende Veränderungen bevor. Für die Kurden in Nord-Syrien besteht keine Chance, gegen die türkische und die syrische Armee zu bestehen. Die USA müssten sich vermutlich aus Syrien zurückziehen. Die Eroberung von Idlib mit seinen geschätzten drei Millionen Einwohnern könnte eine neue Fluchtwelle in die Türkei auslösen. Das Schicksal der von der Türkei unterstützten Milizen in Nord-Syrien ist ungewiss. Bereits jetzt gibt es Proteste. Dies bedeutet, dass die beiden wichtigsten Ziele der türkischen Regierung – eine Verbesserung der Sicherheitslage und eine Verringerung der syrischen Flüchtlinge – vermutlich nicht in Erfüllung gehen werden.

Eine solche Entwicklung könnte zudem auch für die fragilen politischen Verhältnisse im Irak neue Spannungen mit sich bringen. Sollte ein koordiniertes Vorgehen der türkischen und syrischen Armee gegen die Demokratischen Kräfte Syriens erfolgen, ist der einzige Fluchtweg der Irak, d.h. insbesondere das kurdische Autonomiegebiet im Nord-Irak.

Ein nationaler Energieplan

Das Ministerium für Energie und natürliche Ressourcen hat zur Jahreswende einen nationalen Energieplan für den Zeitraum 2020-2035 vorgelegt. Für die Tageszeitung Birgün hat sich Özgür Gürbüz mit diesem Plan beschäftigt. Zunächst stellt er heraus, dass der Plan bei aller Betonung erhöhter Energieeffizienz von einem schnellen weiteren Anstieg des Energieverbrauchs ausgeht. Dementsprechend werde dem Plan zufolge die Energienachfrage im Zeitraum von 15 Jahren um ein Drittel steigen. Beim Strom liegt der Anstieg sogar noch höher und erreicht einen jährlichen Zuwachs um 3,5 Prozent.

Entsprochen werden soll dem neuen Bedarf durch zusätzliche Kraftwerke. Kohlekraftwerke sollen bis 2035 weiter errichtet werden und auch nicht vor Ablauf ihrer vorgesehenen Betriebszeit abgeschaltet werden. Zudem soll ein weiteres Atomkraftwerk errichtet werden. Und der Plan bekennt sich zum dem Klimaziel der Regierung bis 2053 eine ausgeglichene Emissionsbilanz zu erreichen.

Realistisch ist dies nicht. Wird weiterhin auf fossile Brennstoffe zur Energiegewinnung gesetzt, verfügt die Türkei nicht über die Kapazität, die Emissionen zu kompensieren. Die Hoffnung auf neue Technologien zur Einlagerung von Kohlenstoffen ist eben eine Hoffnung und kein Plan. Gürbüz kommt darum zu dem Schluss, dass es am sinnvollsten sei, gleich mit der Erarbeitung eines neuen Plans zu beginnen.