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Am Donnerstag erhob der CHP-Abgeordnete Özgür Özel den Vorwurf, Innenminister Soylu würde eine „Troll-Armee“ einsetzen und diese durch Aufträge öffentlicher Institutionen an zwei Gesellschaften finanzieren. Es ist nicht der erste Vorwurf gegen AKP-Politiker, bewusst Desinformation und Rufmordkampagnen in sozialen Medien zu betreiben. Zu den interessanten Einzelheiten gehört, dass noch während der Pressekonferenz von Özel die Webseite des Innenministeriums kurzzeitig vom Netz gegangen und danach in geänderter Fassung wieder online gewesen sein soll. Das Thema verdient etwas mehr Recherche und wird darum erst in der nächsten Ausgabe vertieft.
Man könnte meinen, dass sich vermutlich wenig ändert, denn die Türkei befindet sich seit Jahren in einer Art Dauerwahlkampf. Auch wenn wir vermutlich bis März warten müssen, um den wirklichen Wahltermin zu erfahren, ist es sehr wahrscheinlich, dass er vor dem regulären Wahltermin am 18. Juni 2023 liegen wird. Die meisten Beobachter rechnen mit dem 7. oder dem 14. Mai.
In einem Beitrag für die Tageszeitung Karar führt der Politikwissenschaftler Fuat Keyman aus, dass den Ausgang der Wahl weniger die Entscheidungen des Amtsinhabers als die Schritte der Opposition bestimmen werden. In einer kurzen Skizze der politischen Lage führt er aus, dass das Jahr 2021 für das Regierungsbündnis ein verlorenes war, in dem die Opposition an Boden gewann. Doch zum Jahresabschluss 2022 habe sich das Blatt gewendet. Während es Staatspräsident Erdoğan gelang, das Profil eines starken Führers mit weltpolitischem Format zu zeichnen, erweckt das Bündnis der sechs kooperierenden Oppositionsparteien den Eindruck, dass es glaube, die Wahl bereits gewonnen zu haben. Es sei den sechs Parteien bisher nicht gelungen, eine Beziehung zur Bevölkerung aufzubauen und sie betrieben keine aktive Oppositionspolitik. Damit sei die Wahl noch nicht verloren, doch müssten unverzüglich Schritte eingeleitet werden. Dazu macht Keyman einige Vorschläge.
Zunächst schlägt Keyman vor, dass das nächste Treffen der Vorsitzenden der kooperierenden Oppositionsparteien am 30. Januar nicht nur mit der Präsentation ihrer gemeinsamen Politik und einem Fahrplan für den Übergang zu einem gestärkten parlamentarischen System sowie der Benennung des Präsidentschaftskandidaten enden müsse. Darüberhinaus sollte auch das geplante Kabinett vorgestellt werden. Ein solches Ergebnis würde die Ungewissheit zerstreuen und der Bevölkerung zeigen, dass unmittelbar nach den Wahlen mit einem feststehenden Team mit der Lösung der Probleme begonnen wird.
Er regt an, dass sich die Parteien das Vorgehen gegen den Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu zunutze machen sollten. Die Beziehungen zur HDP müssten ausgebaut werden. Und der Aspekt der Klimakrise müsse stärker in den Vordergrund gestellt werden, weil dieser insbesondere junge Wählerinnen und Wähler bewegt.
Auf die Bedeutung der wirtschaftlichen Entwicklung und der materiellen Lage der Haushalte ist Keyman in seinem Beitrag nicht eingegangen. Auch wenn man die Kaufkraftverluste des vergangenen Jahres und die Krisenstimmung in der Bevölkerung nicht mechanisch als wahlentscheidend einstufen sollte, so zeigen die Erfahrungen früherer Wahlen, dass sie der AKP bedeutende Stimmenverluste eingebracht haben. Auf der anderen Seite zeigen viele Umfragen, dass die Enttäuschung über die Regierungspolitik nicht automatisch zu einer Hinwendung zu den Oppositionsparteien führt. Nach wie vor glaubt ein bedeutender Teil der Bevölkerung, dass Tayyip Erdoğan der einzige Politiker sei, der die vorhandenen Probleme lösen könnte.
Die Tageszeitung Birgün berichtet gestützt auf Kulisseninformationen, dass die kooperierenden Oppositionsparteien für die zweite Februarhälfte ein gemeinsames Meeting planen, auf dem sie ihren Präsidentschaftskandidaten präsentieren wollen. Man kann es nur hoffen, doch wird ein weiterer Monat vergehen, in dem die Politik überwiegend hinter den Kulissen erfolgt.
Der Nachteil zeigte sich in dieser Woche, als sich die regierungsnahen Medien auf eine Äußerung des Vorsitzenden der Gelecek (Zukunfts-) Partei Ahmet Davutoğlu stützten. Dieser hatte mit Verweis auf das jüngste Treffen der Oppositionsparteien erklärt, dass in der künftigen Regierung die sechs Vorsitzenden als Vize-Präsidenten über politische Entscheidungsrechte verfügen werden. Von AKP-Seite wurde dies als Verfassungsbruch bewertet. Der vom Volk direkt gewählte Präsident dürfe seine Vollmachten nicht einfach abtreten. Zudem würde eine sechsköpfige Regierungsspitze nicht handlungsfähig sein. Eine glaubwürdige Antwort der Opposition wiederum setzt voraus, dass sie Entscheidungen treffen und zu einer offeneren Diskussion ihrer politischen Positionen übergehen.
Am 28. Dezember 2022 wurde der Dozent der Hacettepe Universität Sinan Ateş von einem Motorrad aus erschossen. Die Brisanz des Attentates liegt nicht zuletzt darin, dass Ateş ein früherer Vorsitzender der eng mit der MHP verbundenen Ülkü Ocağı war. Zunächst weckte bei Journalisten Verdacht, dass es keine Reaktion aus dem Regierungslager gab. Dann wurden verschiedene Informationen aus den Ermittlungen durchgesickert – doch nicht wie üblich an regierungsnahe Medien, sondern an kritische. Dabei stellte sich heraus, dass der Attentäter von zwei SEK-Polizisten nach Ankara gebracht wurde. Ein weiterer Verdächtiger wurde im Haus eines MHP-Abgeordneten verhaftet. Mit besonderem Stirnrunzeln wurde zudem zur Kenntnis genommen, dass ein Bericht des Geheimdienstes MIT an den Staatspräsidenten ebenfalls den Weg in die Öffentlichkeit fand. Die Präsidialverwaltung und der MIT gelten normalerweise als ausgesprochen gut abgeschirmt.
Erst zwei Wochen nach dem Attentat nahm der MHP-Vorsitzende Bahçeli Stellung und beschwerte sich dagegen, dass eine Operation gegen seine Partei geführt werde. Tatsächlich ist interessant, dass nach wie vor überwiegend oppositionelle Medien über das Attentat berichten. Gleichwohl scheint insbesondere in den Ülkü Ocakları einige Irritation über den Anschlag und den Umgang ihrer Organisation und der MHP damit entstanden zu sein.
Was hinter dem Anschlag steckt, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht einzuschätzen. Ebenso wenig die politischen Folgen für die MHP. Innenminister Soylu und Justizminister Bozdağ kündigten eine lückenlose Aufklärung an.
Mit dem Übergang zum Präsidialsystem wurden auch die Gesetze für die Parlamentswahl und das Wahlgesetz für den Staatspräsidenten geändert. Beide Gesetze sehen Fristen für die Wahl vor. Beim Parlament sind es 90 Tage, beim Staatspräsidenten sind es 60 Tage. Die Wahl soll aber am selben Tag stattfinden. In der Rechtswissenschaft gibt es Verfahrensweisen, um solche Normenkonflikte zu überwinden. Als Argument wird angeführt, dass die jüngste Rechtsvorschrift gelten soll – in diesem Fall also die für den Staatspräsidenten. Ob so tatsächlich verfahren wird, bleibt abzuwarten. Schließlich wird im Januar die Hälfte der Mitglieder des Hohen Wahlrates neu bestimmt. War der bisherige Hohe Wahlrat, der auch über die Frage entscheidet, welche Frist anzuwenden ist, bereits „innovationsfreudig“, so könnte auch die neue Zusammensetzung zu Überraschungen führen. Fest steht jedoch, dass bei der Gesetzgebung ein Fehler gemacht wurde…
Didem Eryar Ünlü berichtete in der Wirtschaftszeitung Ekonomim über ein Gespräch mit dem CEO von TürkÇimento Volkan Bozay. TürkÇimento vertritt immerhin 75 Prozent der Produktionskapazität dieses Sektors in der Türkei. Dabei beginnt sie mit der Feststellung, dass die Türkei der größte Zementhersteller Europas ist und in 2021 eine Menge von 18,3 Mio. Tonnen exportiert hat. Zugleich gehört Zement zu den Produkten, bei denen die EU mit der Karbon-Besteuerung beginnen will. Umso größer ist die Bedeutung von Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen beim Herstellungsprozess.
Bozay weist darauf hin, dass 85 Prozent der Produktionskosten von Zement auf Energie entfallen. Aus diesem Grund kommt sowohl dem Einsatz alternativer Brennstoffe als auch der Nutzung der Abwärme eine hohe Bedeutung zu. Viele Fabriken verfügen darum bereits heute über Anlagen, die die Abwärme nutzen, um Strom zu produzieren. Als einen wichtigen alternativen Brennstoff verweist Bozay auf kommunale Abfälle. In Europa läge der Einsatz von Biobrennstoffen bei 50 Prozent, in der Türkei bisher nur bei 8 Prozent. Ein anderer Faktor ist die Materialforschung, bei der versucht wird, durch neue Mischungen den Energieaufwand zu reduzieren.
Bleibt anzumerken, dass jeder Schritt, den Volkan Bozay erwähnt, nicht nur mit Investitionen verbunden ist, sondern zugleich auch Kosten senkt bzw. neuen Wert schafft. Würde beispielsweise mit der Mülltrennung in den Haushalten begonnen, würde nicht nur das Abfallmanagement der Kommunen verbessert, sondern auch eine Verwertung als Kraftstoff z.B. bei der Zementproduktion möglich.
Nach einer Kampagne gegen die führenden Supermarktketten des Landes, in der ihnen Wucher vorgeworfen wurde, setzten sich zum Jahreswechsel deren Geschäftsführer und der Handelsminister zusammen. Kurz darauf verkündete eine Kette nach der anderen, dass sie für einen großen Teil ihres Sortiments für den Monat Januar einen Preiserhöhungsstopp verhängt haben. Nach Banken, die dazu gezwungen werden, niedrigere Kredit- als Sparzinsen zu nehmen, erleben wir nun also auch Einzelhändler, die den Anstieg der Erzeugerpreise auf die eigene Kappe nehmen. Wie Marktwirtschaft wirkt dies eigentlich nicht. Über die Nachhaltigkeit muss man sich auch keine Gedanken machen, denn es ist offensichtlich, dass das Volk vor den bevorstehenden Wahlen beruhigt werden soll.
Ins gleiche Horn stößt auch der Staatspräsident, der erklärt, dass keine Preiserhöhung bei den Gebühren für Autobahnen und Brücken vorgenommen werden. Was er dabei auslässt, ist die staatliche Einnahmegarantie für die Betreiber auf Devisenbasis…