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Die Woche vom 18. bis zum 25. August 2023

Ein Großbrand in der Provinz Çanakkale hat viel Wald vernichtet. Doch das eigentliche Thema der Woche war wohl die deutliche Zinserhöhung durch die türkische Zentralbank. Zwar besteht nach wie vor kein Zusammenhang zwischen dem Leitzins und den Marktzinsen oder auch zur Inflationserwartung. Aber die Entscheidung wurde als Schritt in die richtige Richtung bewertet. Die Türkische Lira gewann kurzfristig an Wert.

Leben im Augenblick

Die türkische Außenpolitik ist zurzeit unübersichtlich. Misstrauisch wird der neue Außenminister beäugt, derweil sich auf Zypern ein Konflikt mit den UN-Friedenstruppen ereignete, der vermutlich nicht ohne Kenntnis der türkischen Regierung möglich gewesen wäre. Russland stimmt im Weltsicherheitsrat gegen eine Verurteilung, doch das Treffen der beiden Staatspräsidenten, um das sich Staatspräsident Erdoğan bemüht, kommt irgendwie nicht zustande. Derweil betont Erdoğan, dass er die Annektierung der Krim durch Russland verurteile. Die Beziehungen zu Ägypten schienen sich zu entspannen, doch sind die Konflikte in Libyen anscheinend noch nicht ausgeräumt.

In der Wirtschafts- und Finanzpolitik herrscht ebenso Ungewissheit. Skeptiker gehen davon aus, dass dies auch nach der angekündigten Veröffentlichung des neuen mittelfristigen Programms Anfang September so bleiben werde. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass im März 2024 Kommunalwahlen bevorstehen und die AKP unbedingt Istanbul und Ankara zurückgewinnen wollen.

Dabei geraten die eigentlichen Zukunftsfragen schnell aus dem Blick. Die EU schickt sich an, schrittweise ihre Karbonzölle einzuführen. Die Klimapolitik führt zu einem weitreichenden Strukturwandel in Europa und den führenden Industrienationen. Parallel dazu schreitet mit der Digitalisierung der Industrie auch die Anwendung künstlicher Intelligenz voran. Auf der politischen Agenda der Türkei jedoch ist wenig davon zu spüren. Wenn der türkische Verkehrsminister davon ausgeht, dass in dreißig Jahren jeder zweite Türke ein Kraftfahrzeug habe, so stellt sich die Frage, ob die bekannten Verkehrssysteme in den kommenden Jahren nicht eine grundsätzliche Veränderung erfahren. Bereits jetzt hat sich insbesondere in den Großstädten die Art der Fahrzeuge vervielfältigt.

Im Dezember 2022 hatte der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu mit der Präsentation eines internationalen Beraterteams Hoffnung gemacht, dass es frischen Wind in Zukunftsdiskussionen geben werde. Eingetreten ist nichts davon, die Berater dagegen entlassen.

Die Türkei verfügt über eine politische Klasse und dazu komplementäre Medien, die das Morgen ausklammern.

Eine lange Reparatur einer Pipeline

Über Jahre lieferte das kurdische Autonomiegebiet im Nord-Irak über eine türkische Pipeline Erdöl zum türkischen Hafen Yumurtalık. Dies geschah ohne Genehmigung der irakischen Zentralgenehmigung, die daraufhin eine internationale Schiedsstelle anrief. Diese verurteilte die Türkei zu einer Strafe in Höhe von 1,4 Mrd. Dollar. Eine zweite Etappe des Schiedsverfahrens steht noch aus, bei der vermutlich nochmals eine Strafe von 2 Mrd. Dollar verhängt wird. Mit Hinweis auf Schäden an der Pipeline nach dem Erdbeben vom 6. Februar 2023 stellte die türkische Regierung den Betrieb der Pipeline ein. Dies dauert nun schon mehr als fünf Monate.

Am 22. August besuchte der irakische Energieminister die Türkei, dem soll ein Besuch des türkischen in Bagdad folgen. Eines der zentralen Themen der Besuche ist die Wiederaufnahme des Betriebs der Pipeline. Die türkische Seite drängt Informationen von Habertürk zufolge jedoch darauf, dass entweder die irakische Zentralregierung oder das kurdische Autonomiegebiet im Nord-Irak die verhängte Strafe übernehmen soll. Auch solle das zweite Schiedsverfahren beendet werden. Zugleich wünscht sich die türkische Regierung einen günstigeren Preis für die eigenen Ölkäufe.

Angesichts der verschiedenen Erwartungen erscheint die Lösung nicht einfach. Ankara setzt darauf, dass das kurdische Autonomiegebiet auf die Einnahmen aus den Ölverkäufen angewiesen ist und sieht sich in einer vorteilhaften Verhandlungssituation.

Böses Erwachen

Das Türkische Statistikinstitut gibt monatlich Umfrageergebnisse zum Verbrauchervertrauen heraus. Der Verlauf in diesem Jahr ist sehr aufschlussreich. Von Januar bis Mai 2023 stieg er kontinuierlich von einem Wert von 75,6 Punkten auf ein Rekordniveau von 91,1 Punkten an. Seitdem geht er wieder zurück und erreichte mit einem Rückgang um 15,1 Prozent im August ein Niveau von 68 Punkten.

Die Bevölkerung hatte sich also von den großzügigen Wahlversprechen einlullen lassen. Und nach der Wahl kam das böse Erwachen… Nicht nur der starke Wertverlust der Türkischen Lira im Juni und Juli, insbesondere die drastischen Steuererhöhungen im Juli haben die Inflation angeheizt.

Wort gehalten hat Staatspräsident Erdoğan zumindest im Hinblick auf seine Geldpolitik nicht. Er hatte erklärt, dass er an der Niedrigzinspolitik festhalten werde. Auf der anderen Seite merken Kritiker der Opposition an, dass Finanzminister Şimşek nichts anderes macht, als eine Kılıçdaroğlu-Regierung getan hätte. Zumindest haben die Oppositionsparteien außer der Versprechung, dass nicht die breite Bevölkerung die Zeche zahlen solle, nichts Gegenteiliges vorgelegt.

Ein schwieriger Ausstieg

Im Dezember 2021, drei Monate nach Beginn des großen Experiments durch Zinssenkungen die Inflation zu senken, wurden die devisenindexierten Sparkonten geschaffen. Zuvor hatte sich die Türkische Lira im freien Fall bewegt. Nun wurde das Devisenrisiko vom Staat übernommen, der seitdem etliche Milliarden Lira zahlt. Zunächst wurden die Banken gezwungen, ihre Kunden von dem neuen Instrument zu überzeugen, dann entwickelte es sich zum Selbstläufer. Es ist so erfolgreich, dass die erreichte Größenordnung ein ernsthaftes Haushaltsrisiko darstellt. Darum wurde in einem ersten Schritt die Zahlung aus dem Haushalt herausgenommen und auf die Zentralbank übertragen. Da die Zahlungen ihren Gewinn übersteigen, bleibt der Zentralbank nur, Geld zu drucken. Dies jedoch steht in einem Widerspruch zum erklärten Ziel der Inflationsbekämpfung.

Nun wird das Signal gegeben, die devisenindexierten Sparkonten zu verringern. Den Banken wurde eine Zielmarke gesetzt. Sie sollen einen Teil ihrer Kunden überzeugen, alternative Anlageformen in Türkischer Lira zu wählen. Experten gehen davon aus, dass dies nur durch eine starke Hebung der Guthabenzinsen möglich sein wird.

Der Beginn des Ausstiegs aus den devisenindexierten Sparkonten wurde allgemein positiv aufgenommen. Kritik jedoch wird angesichts der Verfahrensweise laut. Der normale Weg, wenn die Zentralbank die Guthabenzinsen erhöhen wollte, wäre eine Erhöhung des Leitzinses. Offensichtlich wird ihr dies jedoch nicht erlaubt. Also wird durch neue Vorschriften an die Banken eine Hintertür benutzt. Vertrauensfördernd ist dies nicht.

Überraschende Zentralbankentscheidung

Vor der Sitzung des Geld-Rates der Zentralbank am Donnerstag hatte eine Umfrage einen Erwartungswert von 2,5 Prozentpunkte Anstieg auf ein Zinsniveau von 20 Prozent ergeben. Tatsächlich erhöhte die Zentralbank die Zinsen um 7,5 Prozentpunkte auf 25 Prozent.

Die Reaktion einiger Ökonomen fiel positiv aus. Sie erklären ihre Hoffnung, dass die beiden neuernannten Mitglieder des Geld-Rates zu dieser Entscheidung beigetragen haben. Auch der aktuelle Leitzins befindet sich weit unter der Inflation und den Inflationserwartungen. Aber es wird als ein Schritt in die richtige Richtung bewertet.

Auch der Devisenmarkt reagierte positiv auf die Entscheidung, der Dollar-Kurs ging fühlbar zurück.

Auf der anderen Seite erklärt die Zentralbank in ihrer Pressemitteilung, dass sie davon ausgeht, dass die Inflation zum Jahresende sich im oberen Bereich ihrer Schätzungen bewegen werde. Dies bedeutet, dass sie von einer Jahresendinflation um 62 Prozent ausgeht. Erst für das kommende Jahr rechnet sie mit einem spürbaren Rückgang des Preisauftriebs.

Und dann ist da noch die Sache mit der Vorhersehbarkeit. Sie wird in der Presseerklärung der Zentralbank zugesichert und ist auch erforderlich, um Vertrauen in die Geldpolitik zu schaffen. Doch bisher hat die Zentralbank nichts unternommen, um Vorhersehbarkeit herzustellen. Ohne ein solches Vertrauen jedoch werden die Eingriffe der Zentralbank umso schmerzhafter sein.

Und letzterer Aspekt verweist auf die nach wie vor offene Frage: Wer soll für den eingetretenen Schaden zahlen. Inflation wird von einigen Kommentatoren als eine Art Steuer charakterisiert. Sie verringert relativ den Wert der Staatsschulden. Doch angesichts der ungleichen Verhandlungsmacht von Verbrauchern/abhängig Beschäftigten und den Besitzern von Kapital und Produktionsstätten ist eine Wirkung auch eine Umverteilung des Vermögens von unten nach oben. Und auch wenn Staatspräsident Erdoğan zusichert, er werde beispielsweise mit Beginn des neuen Parlamentsjahrs im Oktober ein Gesetz zur Erhöhung der Mindestrente einbringen, zeigt sich wie angesichts des hohen aktuellen Inflationsniveaus diese Kompensation wieder aufgefressen wird.