Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 25. August bis zum 1. September 2023

Der Sommer geht dem Ende entgegen und die Familien bereiten sich auf den Beginn der Schule vor. Eine böse Überraschung erleben dabei viele bei den neuen Gebühren für den Schultransfer, die natürlich nicht von der Inflation verschont wurden. Dabei hatte es bereits der August in sich. Die Handelskammer Istanbul ermittelte einen monatlichen Anstieg der Verbraucherpreise von mehr als acht Prozent im August.

Aufbruchsstimmung bei den Grünen Linken

Nach dem enttäuschenden Wahlergebnis im Mai hatte die Partei der Grünen und Linken Zukunft (YSP) hunderte von Versammlungen im ganzen Land durchgeführt, um einen Prozess der Selbstkritik einzuleiten. Die Ergebnisse wurden aufbereitet und in einen Bericht von 3.000 Seiten verwandelt. Vom 8. bis zum 11. September sollen nun Kongresse durchgeführt werden, bei denen die Diskussion dieser Ergebnisse fortgesetzt werden soll. Entscheidungen sollen grundsätzlich nach dem Konsens-Prinzip getroffen werden. Für Oktober ist dann der große Parteitag vorgesehen. Dieser wird von zwei Komitees durchgeführt – eines übernimmt die Organisation, das andere die inhaltliche Vorbereitung. In letzterem sind sowohl Vertreter der YSP als auch der HDP vertreten. Dieses Komitee soll auch die Kandidatur der beiden Co-Vorsitzenden beraten.

Die HDP wiederum hat bereits in der vergangenen Woche ihren Parteitag durchgeführt. Auch wenn ihre inhaltliche Arbeit auf die YSP übertragen wird, löst sich die HDP nicht auf.

Mit dem YSP-Parteitag im Oktober soll auch der Start für den Kommunalwahlkampf gegeben werden. Bei dem Parteitag soll die Satzung geändert werden. Es wird davon ausgegangen, dass künftig alle Kandidaten für Parlament und Kommunen durch Vorwahlen bestimmt werden. Im Gespräch ist dabei eine dreifache Abstimmung: Parteimitglieder, Bevölkerung sowie zivilgesellschaftliche Organisationen sollen in getrennten Wahlgängen ihr Votum abgeben.

Ob man es vielleicht gar nicht wissen will?

Seit dem Erdbeben vom 6. Februar 2023 sind mehr als sechs Monate vergangen. Viele Menschen – doch nicht alle – konnten inzwischen von ihren Zelten in die besser ausgestatteten Wohncontainer umziehen. Doch Infrastruktur wie Wasser, Abwasser und Strom sind nach wie vor teils nicht vorhanden, teils nicht zuverlässig. Eine Auswertung des Think Tanks TEPAV der Union der Türkischen Kammern und Börsen (TOBB) zeigt zudem, dass mit Stand Juni 2023 der Beschäftigungsverlust in den Provinzen Hatay, Malatya und Kahramanmaraş bei 30 Prozent liegt.

Doch die häufigste Beschwerde, die aus dem Erdbebengebiet zu hören ist, ist der Staub. Die Abrissarbeiten der beschädigten Häuser und das Räumen des Schutts sind noch nicht abgeschlossen. Einfache Vorkehrungen, wie den Einsatz von Wasser beim Abriss, um den Staub zu mildern, werden vielfach nicht verwendet. Die Plattform für saubere Luft und die Union der türkischen Ärztekammern haben nun im Juni und Juli in Hatay begonnen, die Luftqualität zu messen. Dass diese beiden Organisationen sich dazu veranlasst fühlten, beruht darauf, dass die Messstation des Umweltministeriums seit dem Erdbeben nicht mehr in Betrieb ist.

Die Messversuche der Plattform und der Ärztekammern wurden durch häufige Strom- und Internetausfälle behindert. Gleichwohl gelangen einige Messreihen, die eine Vorstellung von der Luftverschmutzung vermitteln. Der P2,5-Feinstaubwert lag bei dem Dreifachen des Grenzwertes der Weltgesundheitsorganisation. Hinzu kommt, dass laut WHO dieser Wert innerhalb eines Jahres nicht mehr als 3-4 Mal überschritten werden sollte. Bei den Messungen in Hatay lagen alle 16 Tage, in denen gemessen wurde, über dem Grenzwert.

Dass das Umweltministerium die offizielle Messstation nach mehr als sechs Monaten noch nicht wieder in Betrieb genommen hat, kann man mit Prioritätensetzung erklären. Aber vielleicht denkt man sich auch, dass Staub unvermeidlich ist und es darum besser ist, die Belastung erst gar nicht zu messen.

Sie lieben es, sich einzumischen

In den letzten Tagen häufen sich die Kommentare, dass die Regierung und ihre Anhänger versuchen, dem Volk den Lebensstil aufzudrängen, den sie für richtig halten. Ein Beispiel sind die zahlreichen Verbote von Festivals. Hinzu kommen zahlreiche Beispiele von Angriffen auf Frauen, die sich „nicht züchtig“ gekleidet haben. Oder auf Paare, die es wagen, sich in der Öffentlichkeit zu küssen.

In Istanbul hat nun der Provinzgouverneur ein allgemeines Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen, in Parks und an Stränden verhängt. Wer zuwiderhandelt, soll eine Geldstrafe zahlen. Als Rechtsgrundlage verweist er darauf, dass „wer durch sein Verhalten die öffentliche Ordnung stört durch die Ordnungskräfte eine Geldstrafe von 617 TL“ erhalten kann. Auch erklärt der Gouverneur, dass häufig bei Vorkommnissen Alkohol im Spiel sei.

Der neue Gouverneur war bereits zuvor durch seine Haltung aufgefallen, Probleme zu ignorieren und in bürokratische Schubladen zu stecken. Das Problem der Straßentiere sei gelöst, wenn die Kommunen ihre Aufgabe erfüllten. Vermutlich steckt die selbe Geisteshaltung hinter seiner neuesten Entscheidung.

Er vergisst dabei, dass es in der Türkei kein Alkoholverbot gibt. Wollte man eines einführen, müsste dies durch Gesetz erfolgen. So sieht es zumindest Artikel 13 der Verfassung vor. Die Verfassungsrechtsprofessorin Şule Özsoy Boyunsuz (Galatasaray Universität) ruft darum dazu auf, gegen jede Anwendung dieses Rundschreibens zu klagen und gegebenenfalls bis zum Verfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen. Sie ruft aber auch dazu auf, dass jeder – egal ob dem Alkohol zugetan oder nicht – gegen eine solche Herangehensweise protestieren solle.

Der Hinweis darauf, es nicht beim Rechtsweg zu belassen, ist wichtig. Ordnungswidrigkeiten werden vor Friedensgerichten verhandelt, wenn Widerspruch eingelegt wird. Diese Gerichte sind nicht unbedingt dafür bekannt, behördliche Anordnungen aufzuheben oder gar dem Provinzgouverneur zu widersprechen. Wird die Klage abgewiesen, ist der Rechtsweg ausgeschöpft und bleibt nur der direkte Weg zum Verfassungsgericht. Dieses wiederum ertrinkt in einer Flut von Klagen und benötigt Jahre, bis es entscheidet.

Keine ungeteilte Freude über das Wirtschaftswachstum

Den Berechnungen des Türkischen Statistikinstituts (TUIK) zufolge ist die Volkswirtschaft im zweiten Quartal um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen. Gegenüber dem vorangegangenen Quartal betrug das Wachstum immerhin 3,5 Prozent. Zu den erfreulichen Daten gehört außerdem, dass das Volumen die Grenze von einer Billiarden Dollar überschritt.

Zu den Schattenseiten gehört jedoch, dass der Motor dieses Wachstums der private Konsum war. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum stiegen die Ausgaben der privaten Haushalte um 15,6 Prozent. Demgegenüber sank der Anteil der Industrieproduktion an der Wertschöpfung von 21,1 Prozent im ersten Quartal auf 19,5 Prozent im zweiten. Zwei Jahre zuvor hatte dieser Anteil noch bei 25,6 bzw. 26,4 Prozent gelegen. In einem Beitrag für die Wirtschaftsplattform ekonomim weist Prof. Burak Arzova außerdem auf den hohen Anstieg der Importe hin, obgleich die Industrieproduktion rückläufig war.

Die Aussichten für das dritte Quartal werden darum eher kritisch betrachtet. Zwar setzt die neue Wirtschaftsführung auf Export als Motor des weiteren Wirtschaftswachstums und will durch eine restriktive Geldpolitik die Inlandsnachfrage drosseln, doch ist in Europa, dem wichtigsten Zielmarkt des türkischen Exports, ein Ende der Stagnation nicht abzusehen.

Schlechte Nachrichten gibt es auch von anderen Wirtschaftsindikatoren. Die Handelskammer Istanbul hat für August eine monatliche Inflation von 8,80 Prozent ermittelt, was für einen August rekordverdächtig ist. Die Jahresinflation kletterte damit auf 74,15 Prozent. Der PMI-Index der Industrie wiederum ging im August deutlich zurück. Lag er mit 49,9 Punkten bereits unter der Schwelle negativer Erwartungen, so sank er im August weiter auf 49,0 Punkte. Als Hintergrund wird ein starker Rückgang neuer Aufträge angegeben. Auch erreichte der Anstieg der Produktionskosten beinahe einen 16-Monate Rekord. Den stärksten Rückgang verzeichnete Bekleidung und Leder, elektrische und elektronische Geräte, Nahrungsmittel, Maschinen sowie Metallprodukte.

Enttäuschung bei den Beamten

Der Tarifvertrag für die Beamten wurde im Schlichtungsverfahren entschieden. Dies klingt nicht ungewöhnlich, doch die Schiedsstelle ist so gestaltet, dass die Arbeitgeberseite immer das letzte Wort hat. Verhandlungsführerin war zudem die regierungsnahe Gewerkschaft Memur Sen.

Die 6,5 Millionen Beamten erhalten demnach im ersten Halbjahr eine Erhöhung ihrer Bezüge um 15 Prozent und im zweiten Halbjahr eine um 10 Prozent. Für das ganze Jahr ergibt sich damit eine Erhöhung um 20,75 Prozent. Die Zentralbank dagegen rechnet für das kommende Jahr mit einer Inflationsrate von 33 Prozent. Doch immerhin genießen die Beamten einen gesetzlichen Schutz, der vorsieht, dass sie zweimal im Jahr einen Inflationsausgleich erhalten. De Facto ist der Tarifvertrag also eine Null-Runde.

Auch andere Fragen, die die Beamten betreffen, sind ungelöst. Im Wahlkampf hatte Staatspräsident Erdoğan versprochen, dass es ein Wohngeld sowie eine Erweiterung der Zulagenvorschrift geben werde. Auch solle die Auswahl nicht mehr durch Bewerbungsgespräch erfolgen. Letztere sind berüchtigt. Um Beamter werden zu können, muss zunächst eine schriftliche Zulassungsprüfung bestanden werden. Doch selbst diejenigen, die dort am besten abschneiden, können im Einstellungsgespräch in der zweiten Phase ausgeschlossen werden.