Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Morgen beginnt der nationale Parteitag der CHP. Am ersten Tag soll der Vorsitzende gewählt werden, am zweiten der Parteirat. Dem Amtsinhaber Kemal Kılıçdaroğlu steht der Fraktionsvorsitzende Özgür Özel gegenüber. Während erwartet wird, dass Kılıçdaroğlu das letzte Mal kandidiert, drängen die Anhänger von Özel auf einen Wandel der Partei. Sie fordern mehr Transparenz und Beteiligung der Parteibasis. Folgt man Umfragen unter CHP-Mitgliedern stehen sie überwiegend hinter den Wandlungsforderungen. Gleichwohl hat der Wettbewerb um die Parteiführung auch zu einer hohen Frustration geführt und die CHP in Meinungsumfragen stark abfallen lassen.
Nach dem sich die Korruptionsvorwürfe in der türkischen Justiz häufen und auch aus den eigenen Reihen kommen, hat das Präsidialamt auch den Geheimdienst MIT mit einer Untersuchung beauftragt. Nun gehören Geheimdienstberichte üblicherweise zu Verschlusssachen, doch sind Informationen an die Presse weitergegeben worden. Schwerpunkt seien Ermittlungen in Istanbul und Ankara gewesen. Ausgehend von der Durchsicht von Gerichtsakten sind Auffälligkeiten vor allem beim Gerichtsstandort Bakırköy in Istanbul festgestellt worden. Beispielsweise scheinen vielfach Verdächtige des Drogenhandels ihren Wohn- oder Geschäftssitz so zu verlegen, das sie in den Zuständigkeit dieses Gerichtsstandortes fallen. Weiterhin wird berichtet, dass sich Staatspräsident Erdoğan persönlich berichten ließ und bei einigen Richtern und Staatsanwälten äußerst erbost gewesen sei. Nun wird damit gerechnet, dass der Rat der Richter und Staatsanwälte Personalentscheidungen trifft.
Im Grunde wirkt es eigentümlich, dass das Präsidialamt den MIT beauftragt. Zuständig für Ermittlungen in der Justiz ist der Rat der Richter und Staatsanwälte. Eine andere Adresse wäre vielleicht noch der staatliche Kontrollrat, der beim Präsidialamt angesiedelt ist und über eine allumfassende Zuständigkeit verfügt.
Noch eigentümlicher wird es, wenn der Autor der Nachricht Tolga Şardan von der Nachrichtenplattform T24 tags darauf festgenommen und seine Wohnung durchsucht wird. Nun sitzt er mit dem Vorwurf, die Bevölkerung irregeführt zu haben, in Untersuchungshaft. Für eine wirkliche Aufklärung der Vorwürfe von Korruption in der Justiz ist dies kein gutes Zeichen.
Der Straftatbestand der Desinformation war im Oktober 2022 ins Strafgesetzbuch eingeführt worden. Nach der Verhaftung von Şardan hat das Verfassungsgericht angekündigt, in der kommenden Woche über eine Klage gegen diese Bestimmung zu beraten.
In der vergangenen Woche hatte das Verfassungsgericht im Fall des inhaftierten Abgeordneten Can Atalay festgestellt, dass dessen Grundrechte verletzt werden und eine Freilassung verlangt. Das zuständige 13. Große Strafgericht Istanbul jedoch fand eine andere Lösung. Es sandte den Vorgang an die Kammer des Kassationsgerichtshofes, die kurz zuvor das Urteil gegen Atalay gefällt hatte und erbat eine Neubewertung. Urteile des Verfassungsgerichts sind abschließend und bindend. Demnach wäre der Kassationsgerichtshof nicht zuständig, sondern das Gericht in Istanbul verzögert nur die Freilassung. Man könnte es auch als vorsätzliche Verletzung von Grundrechten wie Wählbarkeit und Freiheit bewerten.
Der japanische Erdbebenspezialist und Architekt Yoshinori Moriwaki erklärte bei einem Seminar, dass er für die Marmara Region ein Beben der Stärke 7,7 bis 7,9 erwartet. Der Geologe Prof. Dr. Naci Görür wiederum wies bei einem Seminar in Antalya darauf hin, dass die Erdbebenkarte für die Risikogebiete in Istanbul auf den Müll geworfen werden müsse. Es bedürfe weit detaillierterer Studien. Bei dem Seminar wurde außerdem auf die Risiken des Wiederaufbaus der im Februar von einem Erdbeben getroffenen Gebiete hin. Das Beben habe das Gefüge verändert und ohne neue Messungen könne wenig über die Sicherheit des Baugrundes ausgesagt werden.
Demgegenüber diskutiert das Parlament gerade über ein neues Gesetz zur Stadtsanierung. Es zielt darauf, Maßnahmen zur Erdbeben- und Katastrophensicherung zu beschleunigen. Doch die Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte zeigt, dass unter dem Vorwand durch neue Gebäude höhere Sicherheit zu erzielen, gigantische Bauprojekte verwirklicht wurden, die ebenso hohen Profit abwarfen. Beim neuen Gesetz stößt nun eine Bestimmung auf besonderen Widerspruch. Es soll möglich sein, auch Gebäude zu verstaatlichen, die nicht gefährdet sind. Wird die Bestimmung so Gesetz, hätten Hauseigentümer, die das Pech haben, im Einzugsbereich eines Großprojektes zu liegen, kaum eine Chance sich gegen eine Verstaatlichung zu wehren.
In seiner Kolumne für die Wirtschaftsplattform ekonomim hat İsmet Özkul darauf hingewiesen, dass sich die Unternehmensstatistik der Union der Türkischen Kammern und Börsen seit Jahresbeginn ungewöhnlich entwickelt. Die Zahl der Schließung von Personengesellschaften liegt um 25 Prozent über der der Neugründungen. Bei den Kapitalgesellschaften ist dies zwar noch nicht erreicht, doch nähert sich auch dort die Zahl der Schließungen beständig der der Neugründungen an. Özkul weist weiter darauf hin, dass dies nicht an den Folgen des Erdbebens liegen kann, das im Februar zehn Provinzen verwüstete. Dort verläuft die Entwicklung sogar etwas besser als in den übrigen Landesteilen. Der Grund müsse vielmehr in der hohen Inflation, Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung sowie dem hohen Maß an wirtschaftlicher Ungewissheit gesucht werden.
Die Industriekammer Istanbul hat den Bericht zur Performanz der Industrieunternehmen der Ränge 500 bis 1000 veröffentlicht. Der Bericht zeigt ein überaus erfolgreiches Geschäftsjahr 2022, in dem die Profite stark gestiegen sind und der Exportanteil schneller wuchs als bei den größten Industrieunternehmen. Die Kehrseite ist nur, dass die Beschäftigung gleich blieb und der Anteil der Lohnkosten an den Einnahmen stark abgesunken ist.
In diesem Jahr jedoch sind die Aussichten für die Industrie weniger gut. Der von der Industriekammer Istanbul herausgegebene PMI-Index, der auf einer Umfrage unter Einkäufern der Industrie beruht, zeigt für die meisten Branchen Rückgänge an. Der Index liegt den vierten Monat in Folge unter 50 Punkten, dem Schwellenwert und damit im negativen Bereich. Beim Auftragseingang wurde der stärkste Rückgang innerhalb eines Jahres verzeichnet. Insbesondere in der beschäftigungsintensiven Textilindustrie sind die Entwicklungen ungünstig. Lediglich die Sektoren Nahrungsmittel sowie Maschinen zeigten eine positive Entwicklung.
Finanzminister Şimşek hat ein neues Privatisierungsprogramm angekündigt. Nicht nur öffentliche Grundstücke, sondern auch Autobahnbrücken sollen privatisiert werden. Es klingt so, als ob die Bemühungen um neue Devisenkredite nicht den gewünschten Erfolg bringen. Auf der anderen Seite bedeutet eine Privatisierung von Verkehrswegen steigende Gebühren. Da diese Transporte verteuern dürfte dies in neuem Inflationsdruck münden. Auch die Privatisierung des Stromnetzbetreibers sowie einiger Wasserkraftwerke steht auf dem Programm. Dabei kann die bisherige Privatisierung der Stromverteilung nicht unbedingt als Erfolgsgeschichte bewertet werden. Zum einen müssen die Verbraucher höhere Kosten tragen, zum anderen sind die vorhergesagten Infrastrukturinvestitionen geringer ausgefallen als angekündigt. Auch der angekündigte Wettbewerb, der als Argument für die Privatisierung angeführt wurde, ist für die meisten Stromkunden ausgeblieben.
Während die Inflation nach einer Meldung der Handelskammer Istanbul im Oktober monatlich um 3,69 Prozent und jährlich um 73 Prozent gestiegen ist, ermittelte das Türkische Statistikinstitut einen monatlichen Anstieg um 3,43 Prozent sowie 61,36 Prozent im Jahreszeitraum. Die unabhängige akademische Arbeitsgruppe Inflation (ENAG) gibt 5,09 Prozent monatlich und 126,18 Prozent jährlich an. Tags zuvor hatte die Zentralbank in ihrem Inflationsbericht die Schätzung des Verbraucherpreisanstiegs von 58 Prozent auf 65 Prozent erhöht. Sie rechnet damit, dass dieser im Mai 2024 seinen Höhepunkt erreichen und dann sinken wird. Ende 2024 soll sie dann auf 36 Prozent sinken.
Einfach wird das Ziel für 2024 nicht zu erreichen sein, wie Alaattin Aktaş in einem Beitrag für ekonomim ausführt. Die Zentralbank rechnet mit einem Scheitelpunkt der Inflation im Mai 2024 von 74 Prozent. Damit der Index dann zum Ende 2024 den Wert von 36 Prozent erreichen kann, dürfte die Inflation für den Zeitraum Mai bis Dezember insgesamt nicht höher als 11,9 Prozent ausfallen. Angesichts der Inflationsentwicklung der letzten Jahre ist dies eine äußerst optimistische Prognose.
Parallel zu den steigenden Preisen erhöht sich die private Verschuldung drastisch. Informationen der Bankenaufsicht BDDK zufolge sind seit Jahresanfang Individualkredite um 180 Prozent gewachsen. Bei den Kreditkarten lag der Zuwachs bei 180,2 Prozent, bei Girokonten bei 177,6 Prozent. In Diyarbakır erreichte das Volumen der Kreditkartenschulden einen Anstieg um 243,12 Prozent.