Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 19. bis zum 26. Januar 2024

Die Ratifizierung des schwedischen Beitritts zur NATO wurde von der politischen Tagesordnung schnell wieder durch die Kommunalwahlen verdrängt. Das Verhalten der Iyi Partei und ihrer Basis sowie die Haltung der DEM bei der Unterstützung von CHP-Kandidaten in Metropolen bleiben offen. Erste Meinungsumfragen zeigen in Istanbul İmamoğlu und in Ankara Yavaş vorn, doch haben sie angesichts der andauernden Verhandlungen vermutlich nur eine geringe Aussagekraft. Bei der Zentralbank hat sich Staatspräsident Erdoğan hinter die Zentralbankpräsidentin gestellt. Die erwartete Zinserhöhung erfolgte in dieser Woche. Nun wird mit Spannung auf die Januar-Inflation gewartet, die am 5. Februar veröffentlicht wird.

Başak Demirtaş und die Bürgermeisterwahl in Istanbul

Noch sind drei Wochen Zeit, bis die Parteien ihre Bürgermeister und Rats Kandidaten offiziell einreichen müssen. Und vermutlich werden bis zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungen zwischen den Parteien fortgesetzt – vielleicht sogar darüber hinaus, denn ein Kandidat bzw. Kandidatin kann auch danach noch erklären, sich von der Kandidatur zurückzuziehen.

Die Beurteilung der Bürgermeister-Kandidaturen erfolgt nach wie vor nach den Blockkoordinaten der Präsidentenwahl. Ganz sachfremd ist dies nicht, denn auch hier wird nach dem Mehrheitsprinzip gewählt, obgleich eine einfache Mehrheit ausreicht. Als die Iyi Partei Mehmet Kavuncu als ihren Kandidaten für das Bürgermeisteramt der Metropole benannte, sorgte dies unter Anhängern des Amtsinhabers İmamoğlu für Aufregung. Denn bei der Wahl 2019 hatte Kavuncu als Provinzvorsitzender der Iyi Partei Anteil an dem knappen Wahlsieg, mit dem die CHP die mehr als 20jährige Regierungszeit der AKP und ihrer Vorläufer in Istanbul beendete. Auch heute wird davon ausgegangen, dass Kavuncu weniger die Anhänger von AKP und MHP, denn die der CHP und ihrer Verbündeten anspricht.

Unter diesem Gesichtspunkt hat auch die Möglichkeit, dass die DEM Başak Demirtaş aufstellen könnte, für Unruhe gesorgt. Zwar trägt sie gewissermaßen das Handicap Ehefrau des inhaftierten früheren HDP-Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş zu sein, der mit seiner jüngsten Verteidigung eine Art Manifest kurdisch-linker Politik vorlegte. Doch war sie auch stets selbst politisch aktiv. Sollte sie nominiert werden, dürfte dies ebenfalls İmamoğlu Stimmen kosten.

Doch es gibt auch Kommentatoren und Politiker die diesen Maßstab zurückweisen. Sie fragen danach, ob die CHP in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich eine erfolgreiche Politik gemacht hat. Sie haben es satt, einfach immer das „kleinere Übel“ zu wählen. In Gazete Duvar erklärt Yavuz Halat, dass ein Maßstab sein müsse, was die CHP denn für die vier Millionen Kurden in der Metropole gemacht habe, wenn sie denn ihre Stimme haben wolle. Oder welchen Beitrag für die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationen, wenn sie Anspruch auf linke und Bürgerrechtsstimmen erhebe.

Dies verweist darauf, dass es in der Türkei zahlenmäßig nicht an Parteien mangelt. Doch führt die Blockpolitik der vergangen zwanzig Jahre dazu, dass die Wählerinnen und Wähler häufig die Wahl zwischen einem größeren oder einem kleineren Übel haben. Für Erwartungen oder gar Forderungen an die Politik ist da wenig Raum. Und damit wohl auch nicht für eine lebendige Demokratie.

Schwedens NATO-Beitritt und Parlamentsarithmetik

Der Prozess verlief zäh. Insbesondere die USA wollten den NATO-Beitritt Schwedens so schnell wie möglich abschließen. Doch die türkische Regierung sah eine Möglichkeit, verschiedene Vorteile herauszuschlagen. Zunächst wollte sie den bereits Verbündeten zeigen, was sie von ihnen erwartet. Die Waffenboykotts nicht nur Schwedens, sondern auch Kanadas wurden aufgehoben. Von Schweden erwartete man ein striktes Vorgehen gegen das Umfeld der PKK, aber auch der Gülen Gemeinschaft. Inwieweit dieser Erwartung auch von NATO-Mitgliedern entsprochen wurde, ist nicht bekannt. Schweden jedoch änderte sowohl Gesetze als auch ihre Anwendungspraxis.

Auf dieser Grundlage hofften Schweden und die USA, dass der Beitritt bereits mit der Eröffnung des türkischen Parlaments im Oktober vollzogen werden könnte. Doch hatte sich in den speziellen Verhandlungen zwischen der türkischen und US-Regierung eine Verunsicherung eingestellt. Nach dem Ausschluss aus dem F35-Kampfjetprojekt drängte die türkische Regierung auf zusätzliche F16-Jets und die Modernisierung der vorhandenen Flotte. Hinter den Kulissen wurden NATO-Beitrittszustimmung und F16-Kauf miteinander verbunden. Doch blieb unklar, ob es Präsident Biden gelingen würde, die Zustimmung von Kongress zu erhalten. Seitdem wurde das Thema bei allen türkisch-amerikanischen Regierungskontakten angesprochen. Im Dezember wurde der NATO-Beitritt Schwedens auf die Tagesordnung des außenpolitischen Ausschusses genommen und dann doch noch vertagt. Als er schließlich mit den Stimmen von AKP, CHP und MHP verabschiedet wurde, war deutlich, dass er nicht mehr zu bremsen war. Blieb jedoch noch die Frage des Zeitpunkts.

Am 23. Januar wurde die Ratifizierung mit287 gegen 55 Stimmen bei vier Enthaltungen angenommen. Die Konstellation der Parteien gegenüber dieser Entscheidung wirkt bemerkenswert, denn sie läuft quer zu den bisherigen Bündnissen und Kooperationen. Die kleinen Parteien des Regierungsbündnis YRP und BBP sprachen sich gegen die Zustimmung aus. Aus dem früheren Oppositionsbündnis stellten sich Iyi Partei und Saadet dagegen. Und auch DEM´, TIP und EMEP als Links-Opposition sprachen sich dagegen aus. Die Motive der Ablehner dürften unterschiedlich sein. Doch für viele von ihnen dürfte ihre Position zu Schwedens NATO-Mitgliedschaft auch mit den aktuellen Konfliktlinien bei den Kommunalwahlen übereinstimmen. Aus YRP und BBP kommen trotzige Töne gegenüber der AKP und sie erklären, eigene Bürgermeisterkandidaten aufstellen zu wollen.

Die Vorsitzende der Iyi Partei Meral Akşener wiederum warf ihrem früheren Bündnispartner CHP Inkonsequenz vor. Die CHP hatte eine Unterschrift unter eine gemeinsame Deklaration gegen den Terrorismus erklärt, sie werde sich nicht neben die AKP stellen, stimmte aber nun zusammen mit der AKP für den NATO-Beitritt Schwedens. Die Iyi Partei geht vielleicht unter allen Parteien das größte Risiko ein. Bisher wirkte die Ablehnung des Präsidialsystems als zentrales Identitätsmerkmal der Partei. Mit ihrer Entscheidung „unabhängig und frei“ sich nicht mehr vordergründig gegen Regierungsbündnis und Erdoğan zu stellen, wird die Frage, wofür die Partei eigentlich steht, umso dringlicher.

Auch die Jugend wandert ab

In der Wochenzeitung Oksijen erschien ein Beitrag von Talia Boşnak, in dem sie schildert in welchem Ausmaß Absolventen von Elite-Oberschulen sich für ein Studium im Ausland entscheiden. Bei der Deutschen Schule beispielsweise waren es von 124 Absolventen 122, die sich für ein Auslandsstudium entschieden. Beim Istanbul Erkek Lisesi waren es 133 von 166, beim Österreichischen Gymnasium 74 von 75. Beim Galatasaray Lisesi waren es 35 Prozent, 2020 lag dieser Anteil noch bei 3,3 Prozent. Als Ursache werden günstigere Studienbedingungen angeführt, aber auch die Hoffnung auf mehr Freiheit.

Neue Risiken durch Klimawandel: Meteotsunami

Sie sind weltweit nicht häufig, verhalten sich jedoch ähnlich den durch Erdbeben ausgelösten Tsunamis. Starke Luftdruckschwankungen, Wellenrichtung und Resonanz zwischen Luft und Wasserbewegung lösen erst kleinere Schwankungen des Meeresspiegels aus, die sich dann in seichtem Wasser zu meterhohen Wellen auftürmen können. Das Phänomen entsteht äußerst schnell und ist bisher nicht vorhersagbar.

Prof. Dr. Şükrü Turan Beşiktepe vom Institut vom Institut für Meereswissenschaft und Technologie der 9. Mai Universität (Izmir) gibt an, dass sich im November 2023 solche Phänomene in Giresun, Trabzon und Hopa ereigneten und auch zu Schäden an der Schwerzmeerautobahn geführt haben. Auch gehen Forscher davon aus, dass sich Meteotsunamis häufen. Während zuvor vielleicht alle 20 Jahre einer auftrat, so sind es jetzt nur noch fünf Jahre. Sie raten darum zu Sicherheitsmaßnahmen für die Küsten. Dabei weisen sie auch auf Risiken für die Ufer der europäischen Stadtseite Istanbuls hin.

Inflationswahrnehmung

Das Türkische Statistikinstitut hat sich mit seinem Glaubwürdigkeitsproblem bei der Inflation beschäftigt. In diesem Zusammenhang wurden anscheinend zahlreiche Faktoren überprüft. Zunächst jedoch wird darauf hingewiesen, dass das Glaubwürdigkeitsproblem nicht nur in der Türkei bestehe. Während der Pandemie soll die Spanne zwischen der von der europäischen Zentralbank veröffentlichten Inflation und der empfundenen um den Faktor fünf angestiegen sein. Mit Blick auf Verbraucherumfragen geht das Türkische Statistikinstitut davon aus, dass diese Spanne in der Türkei „nur“ beim Faktor zwei liege.

Angeführt werden außerdem psychologische Faktoren. So erinnere man sich häufig nicht richtig an Preise. Außerdem hänge die empfundene Inflation auch von den eigenen Konsumgewohnheiten ab. Der Arbeitsgruppe ENAG dagegen scheint man unterschwellig eine Propagandafunktion zu unterstellen.

Nicht genannt wurden anscheinend einige Faktoren, die das Statistikinstitut selbst betreffen. So wurde die Transparenz der Inflationsermittlung durch die Nichtveröffentlichung der Gewichtung einzelner Waren verringert. Gerade bei der Ermittlung des Effekts des „Geschenks“ von einem Kubikmeter Erdgas im Mai 2023 wurde zudem ein nichtunumstrittenes Berechnungsverfahren eingesetzt.

Für mich kann ich feststellen, dass ich meine persönliche Inflation daran messe, wie viel ich bei meinen Supermarkteinkäufen zahle. Der Betrag klettert schnell. Noch im Herbst 2023 waren etwa 200 TL, inzwischen sind 400 TL keine Seltenheit.

Die Türkische Lira um 45 Prozent abwerten

Mustafa Gültepe ist Präsident der Türkischen Exporträte. Seiner Meinung nach müsse zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und zum Ausgleich für gestiegene Kosten die Türkische Lira um 45 Prozent gegenüber dem Dollar abgewertet werden. Er verweist in diesem Zusammenhang auf ein schwieriges weltwirtschaftliches Umfeld, das die Wachstumschancen für den türkischen Export einschränkt. Im vergangenen Jahr belief sich der Zuwachs auf 0,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, was als Erfolg zu bewerten sei. Doch 13 von 27 Sektoren mussten Einbußen hinnehmen. Es handele sich dabei vor allem um Sektoren mit hohen Kosten und Arbeitsintensität. Technologisch höher stehende Sektoren mit einer höheren Wertschöpfung dagegen konnten Zuwächse erzielen. Dazu führte er als Beispiele auf: Verteidigungsgüter, Edelsteine/Schmuck, Maschinenbau und Landwirtschaft.

Spätestens an diesem Punkt wirkt die Darstellung nicht mehr schlüssig. Landwirtschaft und auch die Lebensmittelindustrie gelten nicht als technologieintensiv. Vielmehr sind sie klassisch arbeitsíntensive Sektoren auf niedrigem bis mittlerem Technologieniveau. Die Exportchancen der Waffenindustrie sind weitgehend politisch bestimmt und darum Preise nicht unbedingt der wichtigste Wettbewerbsfaktor. Und auch der Maschinenbau weist ein breites Spektrum von einfachen bis zu Hochtechnologien auf.

Die Stabilitätspolitik der Zentralbank

Wie erwartet hat die türkische Zentralbank am 25. Januar 2024 die Zinsen ein weiteres Mal um 2,5 Prozentpunkte auf 45 Prozent angehoben, jedoch auch erklärt, dass sie dieses Niveau für ausreichend halte. Eine Zinssenkung sei jedoch erst zu erwarten, wenn sich ein deutlicher Rückgang der Monatsinflation zeigt.

Unter den Stabilitätsfaktoren führt sie in der zugehörigen Presseerklärung aus, dass die steigenden Zentralbankreserven zur Stützung der Türkischen Lira beitragen. In den vergangenen Wochen sind jedoch die Netto-Reserven wieder gesunken. Bei den am 25. Januar veröffentlichten Wochendaten viel dieser Rückgang besonders hoch aus. Während die Bruttoreserven einen Rückgang von 139,8 Mrd. Dollar auf 138,1 Mrd. Dollar im Wochenverlauf zeigten, gingen die Netto-Reserven um 5,8 Mrd. Dollar auf 23,7 Mrd. Dollar zurück. Abzüglich der Einlagen anderer Zentralbanken liegen sie nun bei -41,8 Mrd. Dollar.