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Die Woche endete mit einem erneuten Wechsel an der Spitze der Zentralbank. Angesichts der absehbaren Schwierigkeiten Inflationsbekämpfung mit den Forderungen nach hohem Wirtschaftswachstum der Regierung zu vereinbaren, erwartet den Nachfolger keine leichte Aufgabe. Der Ausschluss von Can Atalay aus dem Parlament dürfte die Verfassungskrise weiter verschärfen. Die CHP und die Türkische Arbeiterpartei haben Klage vor dem Verfassungsgericht erhoben.
Staatspräsident Erdoğan sprach bei einer Veranstaltung des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten und erklärte, dass die Ablehnung der Scharia im Grunde eine Feindschaft gegen den Islam sei. Theologisch hat er damit vermutlich recht. Die Scharia ist ein Regelwerk für ein gottgefälliges Leben. Das Problem ist nur, dass es sich als Recht versteht und somit Priorität vor dem staatlichen Recht beansprucht. Wenn der Staatspräsident nun die Ablehnung der Scharia mit Islamfeindlichkeit gleichsetzt, spricht er nicht als Theologe.
Am 6. Februar 2023 erschütterten zwei Erdbeben elf Provinzen, deren Gebiet in etwa der Fläche Deutschlands entspricht. Sie hinterließen 50.000 Tote, zerstörte und beschädigte Gebäude sowie eine zerstörte Infrastruktur. Nach wie vor sind die Abrissarbeiten der beschädigten Häuser nicht abgeschlossen. Die Menschen leben in Wohncontainern und Zelten.
In Hatay hat ein Verein der Erdbebenopfer sich mit der Lage des Gesundheitswesens beschäftigt. Ihrer Darstellung zufolge gibt es in der Provinz kein funktionierendes Gesundheitszentrum. Ein staatliches und drei private Krankenhäuser seien weitgehend funktionsunfähig. Die Zahl der Intensivbetten liegt bei fünf. Zahlreiche Facharztbranchen fehlen, beispielsweise für Onkologie. Hinzu kommt, dass vielerorts der Zugang zu sauberem Wasser und mit sauberen Toiletten unzureichend ist. Es kommt zur Ausbreitung von Krätze und Flöhen. Auch kommt es immer wieder zu Nahrungsvergiftungen.
Doch neben der Bewältigung des Verlustes an Infrastruktur gibt es auch Analysen zu den Ursachen der schweren Schäden. In Hatay wurde festgestellt, dass von 1.759 eingestürzten Gebäuden 975 über keine Bauabnahme verfügten. Im Zuge der Strafverfolgung wurden in Hatay 113 Personen in Untersuchungshaft genommen. Insgesamt wurden 22.581 Untersuchungsverfahren eingeleitet, von denen jedoch viele zusammengefasst wurden, so dass zurzeit 3.522 Strafverfahren andauern.
Der frühere Minister für Stadt und Umwelt und jetzige AKP-Kandidat für das Bürgermeisteramt in Istanbul Kurum erklärte, er empfinde es als unethisch, die Zahl der Todesopfer beim Erdbeben vom 6. Februar 2023 zum Gegenstand politischer Polemik zu machen. Was auf den ersten Blick pietätvoll wirken soll, ist jedoch im Grunde eine Zusammenfassung der Haltung der Regierung.
Staatspräsident Erdoğan spricht gern von einer „Politik der Werke“. Doch politische Verantwortung scheint ihm fremd zu sein. Die Inflation beispielsweise ist, wenn sie nicht von bösen internationalen Mächten verursacht wurde, eine Art Naturkatastrophe. Und so ist es auch beim Erdbeben vergangenes Jahr. Es war eine „Jahrhundertkatastrophe“, deren Folgen in kürzester Zeit überwunden werden müsse. Dass hinter vielen der eingestürzten Häuser, den Toten und Verletzten, falsche politische Entscheidungen standen, die bis in die Regierung reichen, bleibt unerwähnt. Auch das Versagen der Bauaufsicht in einigen Fällen und die Amnestie von Baurechtsverstößen sind kein Thema. Es war halt eine Naturgewalt.
Jenseits von persönlicher Verantwortung verstellt diese Haltung jedoch auch den Weg zur Überwindung struktureller Mängel. Wie konnte es dazu kommen, dass seismische Risiken übersehen oder nicht ernst genommen wurden? Wie konnte es passieren, dass die Bauaufsicht vielfach eklatante Baufehler übersah? Welche neuen Mechanismen müssten geschaffen werden, um dies in Zukunft zu verhindern?
Am 28. Januar griffen zwei Männer eine Kirche in Istanbul Sariyer an. Sie betraten während des Gottesdienstes die Kirche und eröffneten mit Pistolen das Feuer. Dabei wurde ein Mensch getötet. Reuters meldete, dass sich der IS zu dem Anschlag bekannt hat. Die beiden mutmaßlichen Täter, ein Russe und ein Tadschike, wurden binnen zwölf Stunden festgenommen. Insgesamt wurden im Zuge der Ermittlungen 60 Personen festgenommen, von denen 24 nach dem Verhör abgeschoben wurden.
Es wird berichtet, dass Ladehemmung bei den Waffen das Schlimmste verhindert habe. Über weitere Hintergründe der Tat – z.B. warum sie eine Kirche und gerade diese ausgewählt hatten – sind bisher nicht bekannt.
Mit der Verlesung des Urteils des Kassationsgerichtshofes gegen Can Atalay verlor dieser sein Parlamentsmandat. Dabei hatte zuvor das Verfassungsgericht geurteilt, dass Atalay parlamentarische Immunität beanspruchen kann. Atalay war im Mai 2023 als Abgeordneter der Türkischen Arbeiterpartei gewählt worden. Im September bestätigte der Kassationsgerichtshof ein Urteil wegen versuchten Staatsstreichs aufgrund der Gezi Park Proteste 2013.
Es ist auffällig, dass Staatspräsident Erdoğan immer häufiger die Gezi Park Proteste als „terroristischen Akt“ und einen „vom Ausland gesteuerten Staatsstreichversuch“ charakterisiert. Er verlässt sich dabei vermutlich auf seine Propagandamaschinerie. Denn Beweise dafür hat er nicht. Er stellt sich dabei als Demokraten dar, seine politischen Gegner dagegen als Staatsfeinde. Und so ist die Eile, mit der der Ausschluss von Can Atalay vorgenommen wurde, wohl kein Zufall. Es geht vermutlich um eine Machtdemonstration im Vorfeld der Kommunalwahlen und darum, weiter zu polarisieren. Denn nur in einer gespaltenen Gesellschaft muss er keine Rechenschaft über die Bilanz seiner Regierungszeit ablegen.
Einem Bericht in der griechischen Zeitung Ta Nea zufolge haben der griechische Minister für Seefahrt und Inseln Christos Stylianidis und Innenminister Yerlikaya beschlossen, gemeinsame Kontrollen der türkischen und griechischen Küstenwache in der Ägäis durchzuführen. Während ein solches Projekt als Gradmesser für den Stand der türkisch-griechischen Beziehungen bewertet werden kann, ist es auch unter humanitären Gesichtspunkten bedeutend. In den vergangenen Jahren hat die türkische Küstenwache immer wieder berichtet, dass Flüchtlingsboote aus griechischen Gewässern in türkische gedrängt und zum Teil auch beschädigt wurden.
Nur sieben Monate blieb Hafize Gaye Erkan im Amt. Nachdem Mitte Januar Vorwürfe gegen sie erhoben wurde, sie würde ihrer Familie erlauben, sich in die Angelegenheiten der Zentralbank einzumischen, wurde sie durch Fatih Karahan ersetzt, der erst im Juli 2023 in den Vorstand der Zentralbank berufen wurde. Finanzminister Şimşek beeilte sich mitzuteilen, dass diese Berufung auf seinen Vorschlag erfolgte. Damit will er vermutlich unterstreichen, dass der Personalwechsel nicht mit einem Politikwechsel verbunden ist. Der neue Zentralbankpräsident verfügt über Erfahrung bei einer US-Zentralbank, hat jedoch das Handicap, dass er nun von neuem versuchen muss, Vertrauen aufzubauen.
Die Zentralbank hat beschlossen, die Pflichteinlagen von Banken für devisenindexierte Sparkonten von 30 Prozent auf 25 Prozent zu senken. Damit stehen den türkischen Banken schätzungsweise 125 Mrd. TL zusätzlicher Mittel zur Verfügung. Zuvor war dagegen die Rede davon, dass im Zuge der Inflationsbekämpfung die Geldmenge verringert werden sollte. Experten gehen davon aus, dass die nun freigewordenen Mittel in Kreditprogramme fließen könnten, mit denen vor der Kommunalwahl die Wirtschaft angekurbelt werden soll.
Auf der einen Seite hebt die Zentralbank also die Zinsen an, um die Inflation zu senken. Auf der anderen Seite macht sie Gelder frei, die die Inflation steigern. Als eine konsequente Politik kann man dies wohl nicht charakterisieren.
Es gehört zu den Eigenschaften von Inflation, dass sie zu einer Umgewichtung der Einkommensverteilung führt. So gesehen ist die Einkommensstatistik des Türkischen Statistikinstituts keine Überraschung. Während fünf Prozent der Haushalte mit dem höchsten Einkommen ihren Anteil am Volkseinkommen ausbauen konnten, ging der Anteil aller übrigen zurück. Dies deckt sich auch mit dem rückläufigen Anteil von Löhnen und Gehältern am Bruttoinlandsprodukt, die in einer anderen Statistik erhoben werden.
Ein Zufall ist in diesem Zusammenhang wohl nicht, dass die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Januar weiter gefallen ist. Ohnehin zeigt die Statistik, dass die Einkommen in Sektoren, die von Tarifverträgen erfasst sind, deutlich höher liegen als in anderen Wirtschaftsbereichen.
Die Kehrseite des ungleichen Einkommens ist Armut. Das Türkische Statistikinstitut gibt jedes Jahr eine Armutsstatistik heraus. In einem Beitrag für das Wirtschaftsportal ekonomim gibt Alaattin Aktaş einige Details wieder. So geben 58,8 Prozent der Befragten an, dass sie sich eine siebentägige Urlaubsreise nicht leisten können. Bei 39,2 Prozent reicht das Geld nicht, um alle zwei Tage Fleisch oder Fisch essen zu können. 31,8 Prozent können eine außerplanmäßige Ausgabe nicht verkraften. Bei 19,5 Prozent reicht das Einkommen nicht für die Heizung. 32,6 Prozent geben an, dass aufgrund mangelhafter Isolation die Wohnung nicht warm wird. 64,2 Prozent können abgenutzte Möbel nicht ersetzen. 32 Prozent leben mit Feuchtigkeitsproblem im Haus.