Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 9. bis zum 16. Februar 2024

Bei einem Bergbauunglück wurden mindestens neun Bergleute verschüttet. Außerdem wird mit einer beträchtlichen Belastung durch Zyanid und Schwermetalle gerechnet. Mit einem Besuch in Ägypten hat Staatspräsident Erdoğan einen Schlussstrich unter die Konfrontationspolitik mit dem Land gezogen. Stark gestiegene Zinszahlungen belasteten den Haushalt im Januar.

Kandidatenkarussell in der letzten Runde

Eine wirklich überzeugende Leistung hat die neue CHP-Führung bei der Auswahl der Kandidaten für die Kommunalwahl nicht vorgezeigt. Bedenkt man, dass es vom Datum der Einreichung der Kandidaten bis zur Wahl nur 39 Tage sind, bleibt der Bevölkerung nur wenig Zeit, ihre künftigen Bürgermeister oder Ratsmitglieder kennenzulernen. Es wirkt ganz so, als ob sie einfach wählen sollen, was ihnen vorgesetzt wird. Dies wäre natürlich anders, wenn die Parteien nicht bis zum letzten Moment vor sich hin kungeln. Wobei es natürlich ein Geheimnis bleibt, wer da was mit wem verhandelt.

Besonders unglücklich wirkt die Situation der CHP in Hatay. Die Partei hat sich entschieden, den Amtsinhaber Lütfü Savaş erneut aufzustellen. Doch gerade dem wird eine Mitverantwortung für die Bausünden zugeschrieben, die zum verheerenden Ausmaß der Erdbebenkatastrophe vom vergangenen Jahr beigetragen haben. Und so erklärt der CHP-Vorsitzende Özgür Özel, dass man jemand anderes nominieren könnte, wenn man jemand fände. Eine Woche vor dem Ende der Einreichungsfrist der Kandidaten erweckt diese Äußerung zum einen den Eindruck, dass es der CHP in der Provinz Hatay an kompetenten Politikern fehlt. Zum anderen zeigt es, dass die Partei nicht hinter ihrem Kandidaten steht.

Murat Kurum, AKP-Kandidat für das Bürgermeisteramt von Istanbul, trat in das erste Fettnäpfchen. Seinen wichtigsten Konkurrenten, den amtierenden Bürgermeister İmamoğlu kritisierte er dafür, dass er nur 87 Prozent seiner Wahlversprechen eingelöst habe. Die Häme folgte natürlich unverzüglich in den sozialen Medien. Kurum beeilte sich natürlich, seine Worte richtig zu stellen.

Mag es Zufall sein? Kaum wurde das Duo für das von DEM für das Bürgermeisteramt von Diyarbakır vorgeschlagen wird, öffentlich präsentiert, wurden beide in der Stadt festgenommen.

Ein Bergbauunglück

Am 13. Februar ereignete sich im Gold-Tagebau in İliç in der Provinz Erzincan ein Erdrutsch, der nach offiziellen Angaben neun Bergleute unter sich begrub. Nach Angaben der Angehörigen der Bergleute soll die Zahl jedoch bei 10-15 Arbeitern liegen. Das Ausmaß der Katastrophe wird dadurch verschärft, dass in der Anlage Zyanid zur Reinigung des Goldes eingesetzt wird. Bei dem Erdrutsch soll es sich um kontaminierten Abraum gehandelt haben. Es handelt sich um die zweitgrößte Goldmine der Türkei, in der außerdem Silber und Kupfer gefördert werden. Das Gelände erstreckt sich über eine Fläche von 200 Fußballfeldern und liegt 600 Meter vom Euphrat entfernt. Geplant ist eine Erweiterung auf die Fläche von 640 Fußballfeldern.

Mit der Katastrophe kommt die Vorgeschichte ans Licht. Das Ministerium für Umwelt und Stadt hatte bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung angesichts eines Antrags auf Erweiterung des Abbaugebietes erklärt, dass es kein Risiko für Erdrutsche gäbe. Außerdem war die Anlage 2022 nach einem Bruch in einem Zyanid-Rohr vorübergehend stillgelegt worden. Doch nach drei Monaten konnte der Bergbau fortgesetzt werden. Weiterhin stellte sich heraus, dass dem kanadischen Partner der Betreibergesellschaft Steuerschulden in Höhe von 7,2 Mio. Dollar erlassen wurden.

Der Bergbau ist ein stark umstrittenes Thema. Die Regierung fördert ihn mit dem Argument, dass die Türkei nicht reich genug sei, um die Bodenschätze unter der Erde zu lassen. Die Gegner wiederum weisen auf den Landschaftsverbrauch und die Risiken hin. Besonders umstritten ist dabei der Abbau von Gold. Zum einen wird für die Reinigung der Erze Zyanid verwendet, zum anderen führt der Tagebau zur Lösung von Schwermetallen. Im Westen der Türkei ist im Gebiet der Kaz Dağları eine erhöhte Konzentration von Schwermetallen in Brunnen festgestellt worden, die sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Trinkwasserversorgung von Dörfern genutzt werden. Hinzu kommt, dass es kaum sinnvolle Möglichkeiten nach einem Unfall gibt, eine Ausbreitung der Abwässer eines Goldtagebaus zu vermeiden.

Etappensieg beim Kanal Istanbul

Das 11. Verwaltungsgericht Istanbul ist dem Antrag der Metropolverwaltung der Stadt gefolgt und hat den Bebauungsplan für den geplanten Kanal Istanbul aufgehoben. Die Metropole hatte eingewendet, dass der Plan öffentlichem Interesse widerspreche, weil durch das Projekt unwiederbringliche Schäden an landwirtschaftlichen Flächen, Wald und Gewässern entstehen würden. Doch auch wenn es still um das von Staatspräsident Erdoğan aufgebrachte “Mega-Projekt“ geworden ist, dürfte es damit noch nicht vom Tisch sein. Zum einen hängt das Schicksal des Kanals vom Ausgang der Kommunalwahl ab, zum anderen kann das Bezirksverwaltungsgericht das Urteil ohne weiteres noch kippen. Interessant wiederum ist, dass es der AKP-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt Kurum ablehnte, auf den Kanal Istanbul einzugehen. Er erklärte, er werde sich nicht mit Dingen aufhalten, die derzeit nicht auf der Tagesordnung stehen.

Staatsbesuch in Ägypten

Nachdem sich General Sisi 2013 an die Macht putschte, waren die türkisch-ägyptischen Beziehungen nahezu am Nullpunkt angekommen. Mit der Unterstützung der Moslembruderschaften in Syrien und Libyen stieg das Konfliktpotenzial nicht nur mit Ägypten, sondern auch mit Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Im östlichen Mittelmeer führte dies zu einer Kooperation von Griechenland, Ägypten und Israel, die wiederum türkische Reaktionen auslöste. Doch nach mehr als einer Dekade wollen Ägypten und die Türkei die Konflikte beilegen. Als einen Meilenstein dazu kann man wohl den Staatsbesuch von Präsident Erdoğan in Kairo in dieser Woche bewerten.

Mit Ausnahme von Israel hat die Türkei die Spannungen zu allen übrigen Kontrahenten abgebaut. Hinter dieser Entwicklung stehen ebenso wirtschaftliche wie auch realpolitische Erwägungen. Zwar gestaltet sich der Geldfluss aus den Vereinigten Emiraten und Saudi Arabien langsamer als von der türkischen Regierung erhofft, doch gibt es beachtliche Investitionszusagen aus beiden Ländern. Realpolitisch zeigte sich die Isolation der Türkei als ausgesprochen hinderlich bei der Wahrung ihrer Interessen insbesondere im östlichen Mittelmeerraum.

Türkei-Müdigkeit

Fuat Keyman, Vize-Rektor der Sabancı Universität, hat in zwei Beiträgen für die Tageszeitung Karar zur türkischen Außenpolitik Stellung genommen. Er verarbeitet in diesen Beiträgen die Erfahrungen einer USA-Reise, die er recht anschaulich in dem ersten Beitrag mit dem Begriff der Türkei-Müdigkeit zusammenfasst. Während lange Zeit in den Beziehungen der Türkei und den USA die Feststellung im Vordergrund stand, dass das Land aufgrund seiner geographischen Lage zu wichtig sei, um es zu verlieren, stellt Keyman fest, dass eine genervte Tendenz besteht, lieber nicht über das Land zu reden. Während hinter dieser Haltung auf der einen Seite ein tiefer Vertrauensverlust steht, so spielt dabei auch die Verhandlungsführung der türkischen Regierung bei der Lösung von Interessenkonflikten eine Rolle. Der Versuch, beispielsweise die Zustimmung zum NATO-Beitritt Schwedens mit der Freigabe des Verkaufs von F16-Kampfflugzeugen zu verknüpfen, kann als Beispiel gelten.

Keyman geht in seinem zweiten Beitrag darauf ein, dass in den USA der Eindruck vorherrsche, dass der Weg von einer vom Westen und den USA dominierten Weltordnung zu einer multipolaren unvermeidbar sei. In einem solchen Gefüge verändert sich die Rolle der Länder des „globalen Südens“. Als Beispiele weist Keyman auf Indien, Brasilien und Vietnam hin. Als bestimmende Elemente der türkischen Außenpolitik sieht er vier Faktoren an. Mit „die Welt nach dem Westen“ spielt er auf eine neue multipolare Weltordnung an. Doch nach Keymans Auffassung übersieht die türkische Regierung, dass auch in dieser neuen Ordnung die USA ein entscheidender Faktor bleiben und dass die Türkei dazu neigt, ihre Macht zu überschätzen. Aus der multipolaren Weltordnung folgt der Spielraum für „strategische Autonomie“ für aufsteigende Länder. Doch bleibt das strategische Element der türkischen Außenpolitik schwach, weil im Außenministerium und bei den Think Tanks nicht Eignung, sondern Beziehungen im Vordergrund stehen. Als dritten Faktor sieht Keyman den „Transaktionismus“ an, eine Strategie bei der die türkische Regierung versucht, für Zugeständnisse Gegenleistungen zu erhalten. Die Kehrseite dieser Vorgehensweise ist jedoch Vertrauensverlust. Der „wettbewerbsfähige Autoritarismus“ als letzter Faktor wiederum hat dem Ansehen der Türkei nicht nur im Westen, sondern global geschadet.

Explodierendes Haushaltsdefizit

Im Januar 2024 lagen die Staatsausgaben bei 768 Mrd. TL, die Einnahmen bei 617,2 Mrd. TL. Damit ergab sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von rund 150 Mrd. TL. Gegenüber dem Vorjahresmonat ist dies ein Anstieg um 367 Prozent.

Mit 16 Prozent nahmen Zinszahlungen dabei die Spitzenstellung ein, gefolgt von einem Anteil von 12,5 Prozent für soziale Sicherheit. Bei der Einnahmenseite fällt auf, dass 58 Prozent auf Mehrwert- und besondere Mehrwertsteuer zurückgehen.

Der starke Anstieg der Ausgaben für Zinsen ist angesichts des Kursverfalls der Türkischen Lira und der stark gestiegenen Leitzinsen nicht überraschend. Der schnelle Anstieg der Aufwendungen für soziale Sicherung dagegen verweist auf ein strukturelles Problem. Immer neue Leistungsausweitungen wie beispielsweise die Frühverrentung im vergangenen Jahr führen zu hohen Defiziten der Sozialversicherung. Während auf diese Weise die Zahl der Anspruchsberechtigten vergrößert wurde, liegt die Mindestrente weit unter dem Bedarf von Rentnern, die sonst über kein weiteres Einkommen verfügen.

Der hohe Anteil der indirekten Steuern wiederum wirft das Problem der Steuergerechtigkeit auf. Letztlich führt er dazu, dass breite Bevölkerungsteile mit geringem Einkommen überproportional zum Haushalt beitragen.