Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 26. April bis zum 3. Mai 2024

Während auf der einen Seite durch Sondierungsgespräche zwischen den Parteien und einer Gesprächstour des Parlamentspräsidenten zur Vorbereitung von Verfassungsgesprächen Bewegung in die sonst festgefahrenen Fronten brachte, zeigte sich die Regierung fest entschlossen, eine Mai-Kundgebung auf dem Istanbuler Taksim Platz nicht zuzulassen. Nachdem selbst die offizielle Jahresinflation knapp unter 70 Prozent liegt wird die Frage, ob die Lastenverteilung bei der Inflationsbekämpfung nicht neu justiert werden müsste.

Der 1. Mai in Istanbul

Generell verliefen die 1. Mai Kundgebungen in der Türkei friedlich. Nur in Istanbul war es anders. Das Verfassungsgericht hatte entschieden, dass das Verbot der Kundgebung auf dem Taksim Platz verfassungswidrig ist. Innenminister Yerlikaya entschied, dass es sich um kein Verbot handele, sondern eine Beschränkung. Der Platz sei ungeeignet. Und so begann in der Nacht des 30. April die bekannte weiträumige Absperrung. Sie reichte vom Aquädukt auf der historischen Halbinsel bis zum Metrobus Gayrettepe. Der Fährverkehr auf dem Bosporus wurde unterbrochen und die Metro hielt an den Bahnhöfen im Sperrgebiet nicht. Tausende Polizisten wurden aufgeboten. Nach Angaben von Innenminister Yerlikaya wurden 217 Personen festgenommen.

In diesem Jahr hat mit Hinweis auf das Urteil des Verfassungsgerichts auch die CHP zu einer Kundgebung auf dem Taksim aufgerufen. Die Versammlung, an der auch der Vorsitzende Özgür Özel und Bürgermeister Ekrem İmamoğlu teilnahmen, wurde von der Polizei aufgehalten. An vielen Stellen wurde Tränengas eingesetzt. Während die CHP nach einem kurzen Protest aufgab, erklärten auch die Gewerkschaften gegen Mittag die Veranstaltung für beendet. Widerspruchslos blieb dies nicht. Kritisiert wurde, dass eine entschlossenere Haltung der CHP oder auch ein längerer gewaltfreier Protest wirksamer gewesen wären. Doch es scheint offenkundig, dass die Verantwortlichen für die Mai-Demonstrationen vor einer Eskalation zurückschreckten.

Ausgestanden ist es damit wohl nicht. Die Entscheidung von CHP und Gewerkschaften, sich zurückzuziehen trifft nicht auf ungeteilte Zustimmung. Auf der anderen Seite bleibt durchaus offen, wie eine Kraftprobe mit der Polizei ausgegangen wäre. Und natürlich besteht das Risiko einer Eskalation. Die Regierung wiederum hat Stärke demonstriert. Ob es ihr etwas nützt bleibt offen, denn außer dem Staatspräsidenten ist wohl kaum jemand davon überzeugt, dass eine Mai Kundgebung auf dem Taksim Platz die Staatsräson gefährdet. Auch der wiederholte Bruch von Urteilen des Verfassungsgerichts ist nicht populär.

Freispruch für verdächtige Polizisten gefordert

Im Verfahren wegen der Erschießung des Vorsitzenden der Anwaltskammer Diyarbakır Tahir Elçi am 25. November 2015 während eines Polizeieinsatzes hat die Staatsanwaltschaft Freispruch für drei angeklagte Polizisten gefordert. Vierzehn Anwaltskammern der Region protestieren dagegen und weisen darauf hin, dass aufgrund der mangelhaften Untersuchung der Verdacht besteht, dass die Täter geschützt werden sollen. Auch seien alle Beweisanträge der Anwälte der Nebenkläger abgewiesen worden.

Spitzengespräche in Ankara

Am Donnerstag trafen der CHP-Vorsitzende Özgür Özel und Staatspräsident Erdoğan in der AKP-Parteizentrale zu einem Gespräch zusammen. Es war das erste Gespräch der Vorsitzenden beider Parteien seit acht Jahren. Das Gespräch soll positiv verlaufen sein und es ist ein Gegenbesuch in der Parteizentrale der CHP geplant. Über den Inhalt des 90minütigen Gesprächs ist wenig bekannt. Schwerpunkte sollen die neue Verfassung sowie die politische Lage nach der Kommunalwahl gewesen sein. Einen Tag nach dem Gespräch erklärte Staatspräsident Erdoğan, dass er das Gespräch als Zeichen der Aufweichung der politischen Fronten betrachte und er bei nächst möglicher Gelegenheit den Gegenbesuch durchführen wolle, denn dies benötige das Land.

Ebenfalls mit Schwerpunkt Verfassung fand am Freitag außerdem ein Vorstandsbesuch der DEM bei der CHP statt. Im Anschluss an das Gespräch zeigten sich beide Parteien zufrieden und erklärten, dass der Dialog fortgesetzt werden solle. Themen des Gesprächs waren der Ausgang der Kommunalwahl, die Besuche von Parlamentspräsident Kurtulmuş zur Abstimmung der Vorgehensweise bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung sowie das Gespräch zwischen Özgür Özel und dem Staatspräsidenten.

Erfolgreiches Gespräch

Am vergangenen Wochenende besuchte der Holländische Ministerpräsident Mark Rutte die Türkei. In der anschließenden Pressekonferenz würdigte er die Wichtigkeit der Türkei für die NATO und hob das Engagement der Regierung für einen Frieden in Gaza hervor. Der Gastgeber garnierte dies mit dem Hinweis darauf, dass Holland das Land mit den höchsten Investitionen in der Türkei sei und dass es darum gehen müsse, die bilateralen Handelsbeziehungen aufzustocken. Einen Tag später erklärte die türkische Regierung, dass sie die Kandidatur des holländischen Ministerpräsidenten für das Amt des NATO Generalsekretärs unterstützen werde.

Bevölkerungsbewegungen

Prof. Dr. Murat Yılmaz von der Universität Van hat die Bevölkerungsdaten der 51 Provinzen ohne Metropolstatus untersucht und sich dabei neben der Entwicklung der Bevölkerungszahl 2022-23 auch auf die Verteilung zwischen Stadt und Land konzentriert. Er fand heraus, dass die Bevölkerung in den Provinzen um Istanbul anstieg. Auch in den Südost-Provinzen gibt es deutliche Anstiege, während die Bevölkerung in einigen vom Erdbeben betroffenen Provinzen abfiel. Insbesondere in Adıyaman fällt außerdem auf, dass die Stadtbevölkerung stark abnahm, während die Landbevölkerung wuchs. Die Menschen waren aus den zerstörten Städten aufs Land gezogen. Doch als weiterer Faktor, der zu Anstiegsraten der Landbevölkerung von bis zu 30 Prozent führt, werden auch ökonomische Gründe vermutet. Es wird davon ausgegangen, dass insbesondere ältere und einkommensschwache Kreise aus wirtschaftlichen Gründen aus den Städten wegziehen. Sollte diese Hypothese stimmen, ist in den kommenden Jahren mit einem anhaltenden Anstieg der Landbevölkerung zu rechnen.

Preisanstieg beim Hühnerfleisch

Alle Preise steigen, doch manche etwas schneller. Nachdem die Preise für Rind- und Lammfleisch stark gestiegen sind, steht nun ein Exportverbot für Hühnerfleisch im Raum, denn auch hier bewegt sich der Preis schnell nach oben. Verantwortlich dafür sind einem Bericht der Tageszeitung Birgün zufolge zwei Faktoren: steigende Futterkosten und erhöhte Nachfrage. Bei den Futterkosten konnte man für 1 kg Hühnerfleisch 2019 noch 3,79 kg Futter kaufen. 2022 ist dies auf 2,60 kg Futter zurückgegangen. Die Ursache liegt vor allem darin, dass das Futter überwiegend importiert wird und darum sehr sensibel auf die Schwäche der Türkischen Lira reagiert. Die inländische Futterproduktion wiederum hat im vergangenen Jahr unter der Dürre gelitten. Die Nachfragesteigerung wiederum wird auf die gestiegenen Preise für Rind- und Lammfleisch zurückgeführt, so dass die Verbraucher verstärkt auf Hühnerfleisch ausweichen. Doch mit der steigenden Nachfrage ist kein Produktionsanstieg verbunden.

Drei Inflationswerte

Während das Türkische Statistikinstitut (TUIK) den monatlichen Anstieg der Verbraucherpreise im April 2024 mit 3,18 Prozent angibt, ermittelte die unabhängige akademische Arbeitsgruppe Inflation ENAG einen Wert von 5,02 Prozent. Zuvor hatte die Handelskammer Istanbul (ITO) einen Verbraucherpreisanstieg um 4,89 Prozent. Zwar sind Erhebungsmethode und Warenkorb bei allen drei Studien unterschiedlich, doch erscheint insbesondere die Kluft zwischen dem Wert von TUIK zu dem von ITO beträchtlich, denn bis zum Übergang zu einer „unorthodoxen Geldpolitik“ vor drei Jahren verliefen beide Werte weitgehend parallel. Und so wird immer wieder spöttisch angemerkt, dass sich TUIK an der Inflationsbekämpfung durch Korrektur der Statistik beteiligt.

Doch auch der Wert von TUIK bringt die Jahresinflation auf ein Niveau knapp unter 70 Prozent. Zugleich hatte auch die Zentralbank in ihrer jüngsten Zinsentscheidung mit Hinweis auf die März-Inflation festgestellt, dass das Anstiegstempo weiter zu hoch ist.

Mit der Ankündigung, in diesem Sommer keine Erhöhung des Mindestlohnes vorzunehmen, hat die Regierung deutlich gemacht, dass die Last der Inflationsbekämpfung auf den ärmsten Teil der Bevölkerung abgewälzt wird. Plausibel ist dies nicht, denn dieser Bevölkerungsteil verfügt über keine Einsparungspotenziale. Eine Verringerung der Nachfrage tritt auf diese Weise nicht ein und damit auch keine Verringerung des Inflationsdrucks. Hinzu kommen die ethischen und politischen Aspekte, die eine solche Politik nicht wirklich vernünftig erscheinen lassen.

Sorge um die Außenhandelsbilanz

In einem Beitrag für die Wirtschaftsplattform ekonomim setzt sich Talip Aktaş mit der Außenhandelsbilanz auseinander. Er zeigt, dass diese nach Ende der Pandemie eine ausgesprochen negative Entwicklung zeigt. Dies gilt auch, wenn man die Aufwendungen für Energie und Gold außer Acht lässt. Bedenkt man zugleich, dass die Regierung auf eine Aufwertung der Türkischen Lira setzt, um die Inflation zu bremsen, werden Exporte verteuert und Importe stimuliert. Die Folge ist eine Drosselung der Industrieproduktion, die durch die Reduzierung des Zugangs zu Krediten ohnehin gebremst wird.