Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen
Die Spekulationen über ein Berufungsurteil gegen Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu nehmen zu und scheinen einige Nervosität auszulösen. Erstinstanzlich war dieser wegen „Beleidigung des Hohen Wahlrates“ nicht nur zu einer Haftstrafe, sondern auch mit Politikverbot belegt worden. Ein Politikverbot gegen einen der populärsten Oppositionspolitiker wiederum dürfte zu neuen politischen Spannungen führen.
Der Rat der Metropole Istanbul hat beschlossen, die Cemevler als Religionsstätten der Aleviten anzuerkennen. Die Regierung und das Präsidium für religiöse Angelegenheiten hatten dies bisher strikt verweigert. Die Aleviten seien ein Teil des Islams und die Gebetstätte eines Muslims sei die Moschee.
Man sollte meinen, dass jede Religionsgemeinschaft und jeder Gläubige selbst entscheidet, was eine religiöse Stätte ist und wie er sein Gebet verrichtet. Doch ganz so einfach ist es nicht. Es beginnt bei der Baugenehmigung für Cemevleri. Insbesondere in Metropolen wie Istanbul ist Platz rar und wenn ein Grundstück für eine religiöse Einrichtung vorgesehen ist, so konnte bisher darauf kein Cemevi errichtet werden. Ihnen wurde bisher nur der Status eines Kulturzentrums zugestanden. Hinzu kommt, dass die Aleviten bereits seit Jahren fordern, dass sie dieselbe Förderung erhalten, wie Moscheen. Diese erhalten Wasser und Strom gratis. Ob auch dies vom Beschluss der Metropole Istanbul erfasst wird, wurde bisher nicht berichtet.
Für sunnitische Hardliner ist der Beschluss ein Affront. Es ist ein Schritt die Einheit der Gläubigen zu zerstören. Die Tageszeitung Yeni Akit warf Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu vor, aus persönlichem politischem Ehrgeiz den Islam spalten zu wollen. Es gibt Aleviten, die sowohl das Cemevi als auch die Moschee besuchen. Ob dies so bleibt, wird wohl auch davon abhängen, dass man ihr Bekenntnis achtet.
Der Vorstoß der Hüda Par kam vermutlich ungelegen. Die kurdisch-islamistische Partei ist Teil des Regierungsbündnisses und erklärte im Vorfeld der von der AKP initiierten Verfassungsdiskussion, dass sie gegen die Beibehaltung von Artikel 4 der geltenden Verfassung ist. In diesem Artikel wird der Grundsatz des Laizismus festgelegt, also einer strikten Trennung von Staat und Religion. Wie strikt diese Trennung in der Wirklichkeit ist, bleibt dahingestellt. Ein offenes Bekenntnis zum Islamismus, d.h. einer islamischen Staatsordnung, wollen die Unterstützer der Regierung jedoch nicht abgeben. Auch die YRP von Fatih Erbakan distanzierte sich.
Man könnte sagen, dass die Hüda Par sich auf diese Weise ins politische Abseits manövriert hat. Doch anders betrachtet hat sie sich als einzige islamistische Partei präsentiert und erhofft vermutlich auf diese Weise zusätzliche Unterstützung von Anhängern eines Gottesstaates in den übrigen religiösen Parteien. Betrachtet man jedoch Meinungsumfragen liegt ihr Stimmanteil nicht hoch genug, um die siebenprozentige Sperrklausel für den Einzug ins Parlament zu überwinden.
Noch bevor das Schuljahr begann zeichnete sich eine neue Quelle der Beunruhigung von Eltern ab: die Sauberkeit an Schulen. In einigen Medienberichten hieß es, die Schulreinigung sei abgeschafft. Tatsächlich verhält es sich wohl anders. Bereits bisher wurde ein großer Teil der Reinigungskräfte an öffentlichen Schulen nicht als reguläre Arbeitskräfte geführt, sondern im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Dies birgt den großen Vorteil, dass weder Kommunen noch Bildungsministerium etwas dafür aufwenden müssen. Die Schulreinigung wird von der Arbeitslosenversicherung bezahlt.
Nun wurden die Bedingungen für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geändert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden nun als Praktikanten bewertet. Ihr Tagessatz richtet sich zwar immer noch nach dem des Mindestlohns, jedoch sollen sie weniger Tage arbeiten. Damit sinkt das Gehalt und außerdem ihre soziale Rechte, weil beispielsweise keine Rentenbeiträge mehr bezahlt werden. Im Schulbereich hat dies zur Folge, dass die Reinigungsstellen so unattraktiv werden, dass niemand sie mehr antreten will. Schulleitungen und Elternvertretungen versuchen darum, Geld aufzutreiben, damit wenigstens das Entgelt wieder auf die vorherige Höhe kommt. An einigen Orten gelingt dies und dort wo es nicht gelingt, sind die Eltern gefragt.
Der Arbeitslosenfond darf nur Maßnahmen bezahlen, die der Erhöhung der Vermittlungsfähigkeiten durch Erwerb von Qualifikation dienen. Der Qualifikationsanteil dieses Programms ist jedoch so gering, dass es ein Hohn ist, es als Qualifizierungsmaßnahme darzustellen. Es ist einfach nur ein weiterer Weg der Zweckentfremdung von Arbeitslosengeldern, die ohnehin weniger den Versicherten als den Arbeitsgebern unter verschiedenen Vorwänden übereignet werden.
Und dann gibt es noch weitere Probleme. Die Gebühren für Schulbusse sind in den letzten zwei Jahren enorm gestiegen, so dass sie sich viele Familien nicht mehr leisten können. Zudem berichten Lehrer, dass Kinder immer häufiger hungrig in die Schule kommen. Während der Bildungsminister also bei seinem neuen Lehrplan von seinem großen Wurf bei der islamisch-türkischen Werteerziehung träumt, hat er nicht einmal die grundlegenden Voraussetzungen einer Schulausbildung geleistet.
Tonya ist ein Landkreis in der Provinz Trabzon. In dieser nicht gerade als fortschrittlich bekannten Region entstand 1969 die erste Milchkooperative mit eigener Molkerei, über die Özgür Kalyoncu in der Nachrichtenplattform Gazete Duvar berichtet. Initiator war ein in die Verbannung geschickter Lehrer, Muhittin Göksoy. Sein Berufsverständnis scheint noch auf die Dorfinstitute zurückzugehen. Für ihn ist der erste Schritt an einer neuen Schule sich sein Umfeld anzusehen. In Tonya stellte er fest, dass die Bevölkerung überwiegend Milchwirtschaft betrieb, ihre Produkte jedoch fast ausschließlich auf dem lokalen Markt absetzte oder an Aufkäufer abgab. Der Lebensstandard war niedrig, soziales Leben und Infrastruktur auf niedrigem Niveau. Göksoy nahm Kontakt zum Bürgermeister und Landrat auf und gewann ihr Vertrauen. Der Landrat förderte sogar die Gründung einer Niederlassung der Lehrergewerkschaft. Gemeinsam beschlossen sie, eine Kooperativgründung anzugehen. Die Lehrer gingen von Tür zu Tür, von Dorf zu Dorf um den Kooperativgedanken zu erklären. Sie gewannen die Familien für das Projekt. Um die Milchwirtschaft rentabler zu machen, bedurfte es einer eigenen Molkerei, um die Produkte nicht nur auf dem lokalen Markt anbieten zu können. Das Startkapital wurde von Landrat, Bürgermeistern. Lehrern und Beamten untereinander gesammelt.
Mit der Kooperative wandelte sich das Leben in Tonya. Die Einwohnerzahl von 25.000 stieg auf 50.000. Die Milchwirtschaft erbrachte einen gewissen Wohlstand. 1983 wurde Tonya als erfolgreichste Kooperative der Türkei ausgezeichnet. Und heute steht sie auf der Kippe.
Als wichtigste Gründe werden die Landwirtschaftspolitik, unfähiges Management und politische Instrumentalisierung der Kooperative genannt. In der ganzen Türkei besteht seit mindestens fünf Jahren eine latente Milchkrise. Die staatlich regulierten Verkaufspreise an die Molkereien drecken kaum die Kosten der Landwirte. In Tonya kam hinzu, dass im Umfeld neue, private Molkereien gegründet wurden und die Kooperative der Konkurrenz nicht begegnen konnte. Die Zahl der Mitgliedsproduzenten ging zurück, die Molkerei ist überschuldet.
Man könnte nun sagen, dass sich die zu Anfang sehr erfolgreiche Kooperative überlebt habe. Richtiger wäre es aber zu überlegen, ob es nicht Wege gibt, um sie an ein gewandeltes Umfeld anzupassen. Neben den allgemeinen Problemen der Landwirtschaft leidet die Schwarzmeer Region unter Abwanderung und Überalterung. Will man die landwirtschaftlichen Gebiete nicht der Verödung überlassen, müssen neue Konzepte entwickelt werden, die das Leben dort auch für junge Familien attraktiv und wirtschaftlich sicher machen. Kooperativen sind dabei eine Organisationsform, bei der die Mitglieder beteiligt sind und sich einbringen können.
Bei seiner Septembersitzung hat der Geldrat der Zentralbank den Zinssatz beibehalten. Es war auch mit keiner Zinsänderung gerechnet worden. Vielmehr richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Erklärung zur Zinsentscheidung. Darin stellt sie fest, dass generell von einem Rückgang der Monatsinflation gesprochen werden könne, diese sich jedoch bei den Dienstleistungspreisen verzögere und ab dem vierten Quartal erwartet wird. In denen Kommentaren zur Zentralbankentscheidung wird dies überwiegend als Signal bewertet, dass mit einer Zinssenkung im Oktober nicht zu rechnen ist, diese jedoch ab November beginnen könnten.
Da der Zentralbankzins bislang ein nur loses Verhältnis zu den Marktzinsen hat, dürfte das Groß der Bevölkerung mehr interessieren, wann die Finanzierungsbedingungen für Bevölkerung und Wirtschaft verbessert werden. Es ist offensichtlich, dass eine schnelle Belebung der Nachfrage durch Kreditprogramme und Lockerung der Bremsen bei der Kreditvergabe zu einem schnellen Anstieg der Inflation führen werden. Kommentatoren raten darum, dass vor einem solchen Schritt die Inflation erst in einen niedrigen zweistelligen Bereich gesunken sein muss.
Ob Staatspräsident Erdoğan dies toleriert, wird wohl weitgehend von der Frage, ob im Zeitraum von 1-1,5 Jahren vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen ausgerufen werden. Die Opposition drängt darauf. Auf der anderen Seite böte eine vorgezogene Wahl dem amtierenden Staatspräsidenten die einzige Chance, noch einmal zu kandidieren. Doch dazu müsste der Beschluss zur Parlamentsauflösung vom Parlament ausgehen. Das Regierungsbündnis jedoch verfügt nicht die dazu erforderliche Mehrheit und ist auf die Unterstützung der Opposition angewiesen. Diese macht eine solche Unterstützung von einem möglichst frühen Wahltermin abhängig.