Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 18. bis zum 25. Oktober 2024

Der Aufruf des MHP-Vorsitzenden, den inhaftierten Führer der PKK im Parlament auftreten und die Auflösung der Organisation verkünden zu lassen, war eine Überraschung. Genauso wie der Tags darauf verübte Terroranschlag auf das Rüstungsunternehmen TUSAS in Ankara. Staatspräsident Erdoğan weilte zu diesem Zeitpunkt beim BRICS-Gipfel in Russland. Eine Mitgliedschaft in der Organisation konnte er nicht heimbringen, wohl aber die Ankündigung, dass der chinesische Präsident Xi Jingping die Türkei besuchen werde.

Surreale Politik

Was mit einem Handschlag des MHP-Vorsitzenden mit den Vorsitzenden der DEM begann mündete bei der Fraktionsrede des MHP-Vorsitzenden Bahçeli in dem Aufruf, der inhaftierte Anführer der PKK Abdullah Öcalan möge vor der Fraktion der DEM im Parlament auftreten und die PKK für aufgelöst erklären. Indirekt stellte er dabei sogar die Freilassung Öcalans in den Raum. Tags zuvor hatte der CHP-Vorsitzende Özel den inhaftierten früheren HDP-Ko-Vorsitzenden Demirtaş besucht. Letzterer hatte in diesem Zusammenhang einen Aufruf veröffentlichen lassen. Er appellierte darin an die politischen Parteien mit einer Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen zu beginnen. Männer müssen ihre Identität hinterfragen, die Erziehung müsse sich ändern und der Schutz vor Gewalt wirksamer gestaltet werden. Am nächsten Tag brach Özel zu einer Reise in die Südost-Provinzen auf, bei denen er auch die Bürgermeister von Diyarbakır und Mardin besuchte.

Unter ihrem früheren Vorsitzenden Kılıçdaroğlu hatte sich die CHP um die Kurden-Frage herumgedrückt, den Prozess zur friedlichen Lösung des Konflikts nicht unterstützt. Nun scheint sie auf der Suche nach einer Position zu sein, die den Prozess fördern könnte.

Gelinde gesagt, entfaltet sich diese Politik ein wenig unvermittelt. Über Jahre hinweg hatten Bahçeli und seine Partei versucht, CHP und DEM mit der PKK in einen Topf zu werfen und zu kriminalisieren. Nun erwartet er von Öcalan, den er zuvor als Baby-Mörder charakterisierte, die PKK aufzulösen. Für die Öffentlichkeit erkennbar sind diesem Kurswechsel keine Verhandlungen vorausgegangen. Auch ist nicht bekannt, dass es innerhalb von MHP oder AKP Diskussionen über einen Politikwechsel gegeben hätte oder worin dieser bestehen sollte.

Will man also nicht in Spekulationen verfallen, muss man sich wohl an die sichtbaren Fakten halten. Was würde also geschehen, wenn Öcalan und DEM auf den Aufruf von Bahçeli eingingen? Öcalan gilt nach wie vor als ideeller Führer der PKK. Sein Wort hätte Gewicht. Würde DEM eine Fraktionssitzung als Plattform für einen Aufruf von Öcalan zur Verfügung stellen, stellte sie sich offen gegen die PKK. Dies hat sie bisher vermieden. Unter den Kurden gibt es seit dem Städtekrieg vor zehn Jahren eine bedeutende Kriegsmüdigkeit.

Doch wie sollte eine Auflösung der PKK aussehen? Sollten ihre Anhänger in die Türkei zurückkehren? Und was würde dort mit ihnen geschehen? Und was geschieht mit den Tausenden in türkischen Gefängnissen? Was geschieht mit den durch Unterstützung der PKK in Nordost-Syrien verteidigten Gebieten? Würden sich die dortigen Milizionäre vollständig in die Demokratischen Kräfte Syrien (SDF) eingliedern? Und würde die türkische Regierung dies akzeptieren? Das Gedankenspiel zeigt schnell, dass es vor einer Auflösung der PKK wohl einigen Gesprächsbedarf gibt, der über das Angebot von Bahçeli hinaus geht. Einstweilen hat das Manöver nur die politischen Fronten in der Türkei aufgemischt. Bleibt zu hoffen, dass dies nicht die einzige Intention war.

Bleibt zudem anzumerken, dass die PKK nur ein Teil des Kurden-Konflikts ist. Zu den zentralen Konfliktpunkten gehören die Zulassung von Pluralität, eine intakte kommunale Selbstverwaltung und die Anerkennung der kurdischen Kultur, insbesondere durch die Zulassung von Kurdisch als Unterrichtssprache.

Terroranschlag in Ankara

Am 23. Oktober griffen ein Mann und eine Frau die TUSAS-Fabrik in Ankara mit automatischen Waffen und einer Bombe an. Beide wurden getötet, fünf weitere Menschen starben, 22 wurden verletzt. Verantwortlich für den Anschlag wird die PKK gemacht.

Der Anschlag wirft viele Fragen auf. Seit langem hatte die PKK keine Anschläge in der Türkei mehr verübt. Auch ist es der erste Angriff auf eine Rüstungsfabrik. Dass der Angriff in keinem Zusammenhang zur Öcalan-Diskussion steht, erscheint kaum vorstellbar. Doch welche Botschaft sollte damit gegeben werden? Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie Videos von dem Angriff unmittelbar danach an die Medien gelangten. Zugang dürften nur der Sicherheitsdienst und die Polizei gehabt haben.

Tod eines Predigers

Ein häufiger Kommentar zum Tod von Fettullah Gülen war, dass er sich nun dem himmlischen Gericht stellen muss, nachdem er dem weltlichen entkommen war. Er hat ein beachtliches Lebenswerk hinterlassen, denn die von ihm geführte islamische Gemeinschaft hat sich auf viele Länder ausgebreitet und wurde dort insbesondere durch die dort eingerichteten Schulen bekannt. In Deutschland bemühte sich die Gemeinde vor allem um den christlich-islamischen Dialog. Auf dem Gipfel ihrer Macht forderte sie in der Türkei den damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan heraus, beherrschte den Sektor für Nachhilfeschulen, verfügte über eine hohe Medienpräsenz und galt als tonangebend in den staatlichen Verwaltungen. Ihre Unternehmervereinigungen gewannen stets an Boden.

Doch die Gemeinde unterlag im Machtkampf mit der Regierung, wurde für den Putschversuch von 2016 verantwortlich gemacht und als Terrororganisation verfolgt.

In einem Kommentar für die Tageszeitung Karar spricht Taha Akyol von den zwei Gesichtern der Gülen Gemeinschaft. Nach außen war sie eine sehr erfolgreiche islamische Bruderschaft, wie es zahlreiche weitere in der Türkei gibt. Doch in ihrem Inneren verfügte sie über Geheimstrukturen, die nicht erst mit dem Machtkampf mit der Regierung in Erscheinung traten. Ab 2007 stand sie der Regierung bei dem Versuch zur Seite, eine vollständige Kontrolle über den Staat zu erhalten, in dem durch groß angelegte Strafverfahren vor allem gegen die Spitzen des Sicherheitsapparats vorgegangen wurde. Auf der Grundlage gefälschter Beweise wurden hunderte eingesperrt und in den Ergenekon- und Balyoz-Verfahren vor Gericht gezerrt.

Die doppelte Struktur – einer öffentlichen und einer geheimen – ist im Grunde nicht auf die Gülen Gemeinschaft beschränkt. Sie teilt sie mit anderen islamischen Bruderschaften und dies entspringt nicht zuletzt deren paradoxen Rechtslage. Denn diese Gemeinschaften wurden nach der Gründung der türkischen Republik aufgelöst und durften nicht wiedergegründet werden. Gleichwohl bestanden sie – teilweise unter der Schirmherrschaft des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten, teilweise daneben – sie fort und erlebten seit den 1950er Jahren einen Wiederaufstieg. Mit der wirtschaftlichen Liberalisierung der 1980er Jahre gewannen sie auch wirtschaftlich an Einfluss und verfügen heute über beachtliche Wirtschaftsimperien. Ihre Nähe zur Politik ermöglichte es zudem, ihre Mitglieder in staatliche Schlüsselpositionen einzuschleusen. Da sie über keine offizielle Rechtsform verfügen, sind sie praktisch unkontrollierbar. Und die Versuchung, politische Nähe in politischen Einfluss oder Machtübernahme umzuwandeln ist weiterhin gegeben.

Ein neuer Kriminalskandal

Eine Bande im Gesundheitswesen hat dafür gesorgt, dass Neugeborene in die Intensivstationen bestimmter Krankenhäuser eingeliefert wurden, mit denen sie Vereinbarungen hatte. Dabei sollen zehn Neugeborene gestorben sein. Zudem wurden die Säuglinge länger als erforderlich auf den Intensivstationen gehalten, um höhere Beträge bei den Versicherungen abrechnen zu können. Aufgefallen war dies bei Kontrollen der Gesundheitsverwaltung nach einer Beschwerde, die Angelegenheit wurde daraufhin der Polizei übergeben. Gleichwohl dauerte es länger als ein Jahr, bis 47 Personen verhaftet wurden. Zehn Krankenhäuser wurden geschlossen, gegen weitere laufen Ermittlungen.

Gesundheitsminister Memişoğlu musste sich den Vorwurf gefallen lassen, dass nicht früh genug eingriffen wurde. Immerhin starben zehn Neugeborene während der polizeilichen Ermittlungen. Die CHP bewertete das Vorgehen der Bande als eine direkte Folge der Privatisierungspolitik bei der Gesundheitsversorgung. Inzwischen wurde der Vorwurf erhoben, dass es eine weitere Bande gäbe, die in ähnlicher Weise bei Dialyse-Patienten vorgegangen ist.

Teufelskreis

Die Wirtschaftsplattform ekonomim verfügt über profilierte Kolumnisten. Am 25. Oktober setzte sich Prof. Burak Arzova mit der Statistik des Inlandstourismus auseinander. Alaattin Aktaş beschäftigte sich mit den bevorstehenden Verhandlungen über den Mindestlohn und Dr. Burcu Aydın hob hervor, dass es für eine nachhaltige Überwindung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme eines Ausbrechens aus einem Teufelskreis bedarf.

Auf den ersten Blick wirkt die in dieser Woche veröffentlichte Statistik des Inlandtourismus nicht unbedingt spannend. Meist wird vor allem auf die Zahlen der internationalen Touristen geschaut, weil diese Devisen bringen. Prof. Arzova stellt jedoch interessante Verbindungen her. Die Zahl derer, die im vergangenen Jahr eine Inlandsreise machte, entspricht ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung. Betrachtet man in dieser Zeit die Entwicklung der Einkommensverteilung, so haben die 20 Prozent mit den höchsten Einkommen einen Zuwachs von 0,7 Prozent, die ärmsten 20 Prozent jedoch nur 0,1. Es liegt nahe, dass es wohl vor allem die reichten 20 Prozent waren, die sich im vergangenen Jahr einen Urlaub leisten konnten. Doch auch hier fällt auf, dass die Zahl der Übernachtungen zurückgegangen ist. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Ausgaben für eine Urlaubsreise um 115,8 Prozent gestiegen waren. Dies wiederum liegt in etwa auf dem Niveau, auf dem die Bevölkerung die tatsächliche Inflation einschätzt.

Alaattin Aktaş greift das Ziel der Regierung auf, die Löhne im kommenden Jahr nicht um die Inflationsrate dieses Jahres, sondern um die erwartete Inflation für das kommende Jahr zu steigern. Der Hebel dazu liegt in der Festsetzung des Mindestlohns. Es wird davon ausgegangen, dass rund die Hälfte der abhängig Beschäftigten Mindestlohn erhalten. Für die übrigen wiederum hat der Anstieg des Mindestlohns eine wichtige Signalwirkung. Und die Regierung hat die letzte Entscheidung bei der Festsetzung des Mindestlohns. Sollte die Regierung also an ihrer Ankündigung festhalten, die erwartete Inflation für 2025 zum Maßstab zu nehmen, liefe dies auf eine Erhöhung des Mindestlohns um 17,5 Prozent hinaus. Dies hätte jedoch auch zur Folge, dass die Kaufkraftverluste aus diesem Jahr nicht kompensiert würden. Hinzu kommt, dass die Inflationserwartung der Zentralbank in den meisten Fällen zu niedrig angesetzt ist. Aktaş hält einen Anstieg des Mindestlohns um 30 Prozent für wahrscheinlich. Sicher ist er sich jedoch, dass die Auseinandersetzung darüber die kommenden zwei Monate beherrschen wird.

Burcu Aydın weist darauf hin, dass das aktuelle Programm zur Inflationsbekämpfung im Grunde den Modellen der 1990er Jahre entspricht: Anhebung der Zinsen und Steuern, Drücken des Devisenkurses und der Gehälter. Dies zeigt zwar kurzfristig Wirkung, ist jedoch nicht nachhaltig. Hoffnung darauf, den Teufelskreis aus höheren Zinsen und Steuern und sinkender Löhne und Devisenpreise zu entgehen hat sie nicht. Der aktuell dem Parlament vorliegende Haushalt 2025 beispielsweise sieht nicht Einsparungen, sondern Steuererhöhungen vor.