Istanbul Post

Kurzmeldungen: Alle Kurzmeldungen

Die Woche vom 1. bis zum 8. November 2024

Die Woche begann mit der Nachricht über die Absetzung von drei DEM-Bürgermeistern. Derweil dauern die Proteste in Istanbul-Esenyurt an und werden kontinuierlich von Polizeieinsätzen begleitet. Die Nerven liegen blank, viele befürchten, dass auch die Metropolen Ankara und Istanbul unter Zwangsverwaltung gestellt werden könnten. Doch angesichts der politischen Folgen eines solchen Schrittes wirkt dies nicht wirklich überzeugend. Mit dem letzten Inflationsbericht der Zentralbank für dieses Jahr zeigt sich ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust des Programms zur Inflationsbekämpfung.

Abgesetzte Bürgermeister

Nachdem in der vergangenen Woche der CHP-Bürgermeister des Istanbuler Stadtbezirks Esenyurt abgesetzt wurde, folgten in dieser Woche die Bürgermeister von Mardin, Batman und Halfeti. An Stelle der drei DEM-Bürgermeister wurden unverzüglich Zwangsverwalter eingesetzt. Hintergrund war, wie zuvor auch, ein Terrorismusvorwurf. Nur dass in bei diesen Maßnahmen die Bürgermeister nicht eingesperrt wurden.

Zu den abgesetzten Bürgermeistern gehört Ahmet Türk. Er ist nun schon zum dritten Mal gewählt und abgesetzt worden. Dabei hatte er in der vergangenen Woche einen Auftritt mit dem Vizestaatspräsidenten anlässlich der Versöhnungsfeier zweier verfeindeter Familien. Der Anwalt von Türk weist zudem darauf hin, dass eines der Verfahren, wegen denen Ahmet Türk abgesetzt wurde, nicht nur vor Jahren eingestellt wurde, sondern zudem verjährt ist.

Derweil werden in Istanbul-Esenyurt die Proteste fortgesetzt. Die Stadtverordneten wollten täglich zusammenkommen, doch entzog ihnen der Zwangsverwalter das Fraktionszimmer. Es kam immer wieder zu kleineren Auseinandersetzungen vor der Stadtverwaltung, die von der Polizei abgeschirmt wird.

Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu wiederum machte eine Ankara-Tour und besuchte die Vorsitzenden der Oppositionsparteien. Auch die MHP wollte er besuchen, doch lehnte deren Vorsitzender das Gesprächsangebot ab. Wie zu erwarten erhielt İmamoğlu die Unterstützung von den Parteien Deva, Gelecek, Saadet, aber auch von der YRP. Deren Vorsitzender Fatih Erbakan verwies darauf, dass ein Abgeordneter seiner Partei bereits einen Gesetzentwurf eingebracht habe, mit dem künftig die Absetzung eines Bürgermeisters an einen rechtskräftigen Schuldspruch gebunden und die Nachfolge nicht per Zwangsverwalter, sondern durch Wahl des Stadtrates geklärt werden soll.

Der CHP-Vorsitzende Özel reiste unverzüglich nach der Einsetzung von Zwangsverwaltern nach Mardin. Doch unumstritten ist die Unterstützung der abgesetzten DEM-Bürgermeister beim rechten Flügel seiner Partei nicht. Hatte Ankaras Oberbürgermeister Yavaş in der vergangenen Woche bei der Kundgebung vor der Stadtverwaltung Esenyurt, bei der auch die DEM vertreten war, nicht teilgenommen, so äußerten auch andere CHP-Politiker ihre Besorgnis über eine mögliche Annäherung beider Parteien.

Die Präsidentenwahl in den USA und die Türkei

Mit Neugierde wie auch Sorge schaut Europa nach dem Sieg von Donald Trump nach Washington. Für die meisten europäischen Staaten hat sich in den USA das Gegenkonzept ihrer langfristigen Politik durchgesetzt. Zentral sind dabei Erwartungen in der Klima- und der Sicherheitspolitik. Trump hatte angekündigt, dass er den Krieg in der Ukraine kurzfristig beenden will. Insbesondere im Hinblick auf den Iran könnte er zudem eine härtere Politik einschlagen, die das Risiko eines neuen Nahost-Krieges erhöht. Ein amerikanisches Ausscheren aus der Klimapolitik dürfte die Klimaziele scheitern lassen. Die Wirkung der angekündigten Schutzzölle in den USA wiederum sind geeignet den Welthandel zu dämpfen und birgt eine weltweite Inflationsgefahr.

Staatspräsident Erdoğan beeilte sich, seinen „Freund Trump“ zur Wahl zu gratulieren. Die türkische Regierung hofft vermutlich, dass das persönlich gute Verhältnis zwischen beiden Politikern einen Vorteil für die türkisch-amerikanischen Beziehungen ermöglicht. Gleichwohl hatte Trump während seiner ersten Präsidentschaft nicht gezögert, Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen und hatte bei der Freilassung des inhaftierten Missionars Brunson auch zu offenen Drohungen gegriffen.

Auf der anderen Seite wird voraussichtlich das Gefühl militärischer Bedrohung in Westeuropa ansteigen. Während die USA sich zunehmend auf den Standpunkt stellen, dass Europa mehr für die eigene Sicherheit tun müsste, sieht es im Augenblick nicht danach aus, dass der Krieg in der Ukraine den von Westeuropa gewünschten Verlauf nimmt. In diesem Zusammenhang könnte aus der Sicht europäischer Staaten die Türkei an Bedeutung gewinnen. Sie verfügt über eine große Armee und eine zunehmend bedeutendere Rüstungsindustrie.

Ein anderer Aspekt ist, dass die Republikaner dafür eintreten, dass sich US-Truppen aus dem Irak und Syrien zurückziehen. Sollte solch ein Rückzug nicht zu einem ähnlichen Desaster wie der aus Afghanistan führen, wäre dazu eine Lösung des auf kleiner Flamme schwelenden syrischen Bürgerkriegs erforderlich. Dies wiederum berührt die Zukunft der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die eng mit der PKK verbunden zugleich aber mit den USA verbunden sind. Die Auflösung der PKK, wie sie vom MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli gefordert wird, könnte neuen Spielraum schaffen, wenn die SDF im Rahmen eines Friedensplans in Syrien in die syrische Armee eingegliedert würde.

Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen einer veränderten US-Politik gehen einige Kommentatoren davon aus, dass die neue US-Regierung die angekündigten Schutzzölle nicht gleich verhängen werde, sondern sie im Zuge von Verhandlungen mit China und den EU-Staaten benutzen wird.

Frauen können in der Ehe ihren Familiennamen behalten

Im Zuge des 9. Justizreformpaketes war vorgesehen, an der bestehenden Praxis eines einheitlichen oder doppelten Familiennamens festzuhalten. Einem Bericht der Tageszeitung Karar zufolge hat die Regierungsmehrheit jedoch diese Bestimmung zurückgezogen. Darum gilt jetzt ein Urteil des Verfassungsgerichts, das es Frauen freistellt, ob sie in der Ehe ihren Familiennamen beibehalten, den des Mannes annehmen oder einen Doppelnamen führen möchte.

Hungern

Die OECD gibt eine Studie zu den Lebensbedingungen in den Mitgliedsländern heraus. Dabei werden 15jährige danach gefragt, ob sie in den zurückliegenden 30 Tagen an zumindest einem kein Geld hatten, um sich etwas zu essen zu kaufen. Unter allen beteiligten Ländern lag der Durchschnitt bei 8 Prozent, die diese Frage mit „Ja“ beantworteten. Die Türkei stellt mit fast 20 Prozent das Schlusslicht unter allen teilnehmenden Ländern. Auf einer Skala von 0 (unzufrieden) bis 10 wurden die Teilnehmenden außerdem nach ihrer Lebenszufriedenheit gefragt. Die Türkei erreichte mit einem Durchschnitt von 5,5 Punkten dabei den niedrigsten Wert.

Doch nicht nur die Gegenwart ist problematisch. Die Bildungsreformgruppe (ERG) weist in ihrem Bericht darauf hin, dass in den letzten Jahren die Bildungsbeteiligung von Jugendlichen deutlich zurückgeht. Dies gilt für Männer wie für Frauen. Bei den Männern bedeutet dies einen frühen Berufseinstieg mit der Perspektive einer minimalen Berufsausbildung. Für Frauen häufig eine frühe Heirat, die ihr Leben weitgehend bestimmen wird. Dies gilt umso mehr für Migranten, deren Bildungsbeteiligung im Jugendalter gering ist. Dabei wird darauf hingewiesen, dass es den Familien schwer fällt, die Bildungsausgaben zu finanzieren. Zudem sind insbesondere Migranten vielfach auf jeden Verdienst angewiesen. Und das Versprechen bürgerlicher Gesellschaften, durch Bildung einen sozialen Aufstieg zu erreichen, verliert in immer breiteren Kreisen an Glaubwürdigkeit.

Inflation sinkt langsamer als erhofft

Am 8. November hat die Zentralbank ihren letzten Inflationsbericht für dieses Jahr vorgelegt. Sie hat darin ihre Erwartung für die Inflation zum Jahreswechsel von 34 Prozent (Schätzung zu Jahresanfang 2024) auf 44 Prozent erhöht. Dies war erwartet worden, denn mit der offiziellen Inflation im Oktober war deutlich geworden, dass Schätzungen unter 44/45 Prozent unrealistisch sind. Für das kommende Jahr wurde die Inflationsschätzung von 17,5 Prozent auf 21 Prozent angehoben. 2026 sollen dem neuen Bericht zufolge 12 Prozent erreicht werden.

In ihrer Analyse der Preisentwicklung gibt sich die Zentralbank optimistisch. Verringerte Nachfrage und eine zurückhaltendere Haltung bei Preisanstiegen der Industrie wirken sich dämpfend aus, bei der Inflation bei Dienstleistungen bestehe jedoch die Tendenz, die zurückliegende Inflation als Maßstab zu nehmen. Darum trete bei Dienstleistungen der Rückgang mit Verzögerung auf.

Teure Kulturaktivitäten

Es begann mit einer Diskussion über Millionenbeträgen, die die Metropole Ankara für Konzerte zum Gründungstag der Republik ausgegeben hat. Wie viel ist noch nicht abschließend geklärt, doch die CHP reagiert auf die Vorwürfe mit dem Hinweis, dass in der Zeit der AKP-Stadtregierungen ebenfalls große Summen an befreundete Künstlerinnen und Künstler ausgegeben wurden. Ähnliche Vorwürfe werden nun auch für Istanbul erhoben.

Der Kolumnist der Tageszeitung Karar Akif Beki zeigt sich genervt von der Diskussion. Hohe Kulturausgaben von Kommunen für Popkonzerte damit zu begründen, dass die Vorgänger dies ebenso gehandhabt haben, wirkt nicht unbedingt überzeugend. Wäre es da nicht sinnvoller danach zu fragen, was eine kommunale Kulturpolitik sein könnte? Vor diesem Hintergrund kann dann auch die Prioritätensetzung diskutiert werden…