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Die Türkei und die Minderheiten - ein GedenktagAm 6. und 7. September 1955 erfolgten in Istanbul und Izmir Ausschreitungen gegen die ethnischen Minderheiten.Die Türkei ist stolz darauf, über ein jahrhundertelanges Erbe multikulturellen Zusammenlebens auf ihrem Staatsgebiet zurückschauen zu können. Menschen unterschiedlicher Sprachen, Religionen und Kulturen haben weitgehend ohne Assimilationsdruck nebeneinander leben können und erst im vergangenen Jahrhundert trat das ein, was in Westeuropa bereits mit dem Aufkommen der Nationalstaaten eingetreten war: die Durchsetzung gesellschaftlicher Homogenität. Noch immer tut sich die Türkei schwer mit der Verarbeitung mit diesem Prozess, der ausgesprochen schmerzhaft verlaufen ist. Da ist die Deportation der Armenier im Ersten Weltkrieg nachdem armenische Gruppierungen Waffenhilfe für russische Truppen leisteten. Da ist der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei im Rahmen des Friedensvertrages von Lausanne, der Tausende von Menschen entwurzelte. Da ist die sogenannte "Varlik Vergisi" während des Zweiten Weltkrieges, die zu einer Enteignung der Minderheiten führte. Und da sind die Ereignisse vom 6. und 7. September 1955. In den vergangenen Jahren hat eine verstärkte Diskussion über den Umgang der Türkei mit den Minderheiten eingesetzt. Schmerzlich ist bewußt geworden, daß in Istanbul beispielsweise von den zwar im Stadtbild nach wie vor vorhandenen Spuren des Zusammenlebens von Türken, Griechen, Armeniern und Juden im Alltag kaum noch etwas übrig geblieben ist. Die jüdische Gemeinde ist stark geschrumpft, die meisten Armenier ausgewandert und auch von der griechischen Gemeinde sind zumeist nur noch die Alten übrig geblieben. Die Ereignisse von 1955 betrafen vor allem die Griechen. Ausgangspunkt waren Aktionen griechischer Freischärler auf Zypern, das zu diesem Zeitpunkt noch eine britische Kronkolonie war. Die türkische Position war, daß die Türkei zwar keine Gebietsansprüche auf Zypern erhob, jedoch auch zu verhindern suchte, daß Zypern sich Griechenland anschloß. Um Griechenland an den Verhandlungstisch zu bekommen, setzte die türkische Regierung die griechische Minderheit als Geisel ein. Das Ereignis selbst war eine perfekt inszenierte Geheimdienstoperation. Eine durch einen Agent Provokateur auf das Geburtshaus Mustafa Kemal Atatürks geworfene Bombe und die Verbreitung der Meldung in den Straßen Istanbuls, ergänzt durch bereitstehende Gruppe, die die Bevölkerung aufwiegelten, entzündeten einen Aufstand. Wurden zunächst die Scheiben griechischer Geschäfte im Stadtteil Beyoglu eingeworfen, so breitete sich die Bewegung schnell aus. Eine große Zahl von Geschäften wurden geplündert, Kirchen und Synagogen angegriffen. Zwar schritt nach einigen Stunden das Militär ein und zerstreute die Massen, doch hinterließ das Ereignis tiefe Spuren im Gedächtnis der Gemeinden. Auch wenn der türkische Staat Entschädigungen an die Opfer der Ausschreitungen zahlte und nach dem Putsch von 1961 die Vorfälle gerichtlich untersucht, der damalige Ministerpräsdent Menderes wegen dieser Vorfälle zum Tode verurteilt wurde, bliebt nicht nur der Eindruck zurück, daß die Angelegenheit nie bis zuende geklärt wurde. Auch hinterließ sie eine tiefe Narbe in den Beziehungen zu den Minderheiten. |
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