Jahrgang 2 Nr. 0 vom 11.08.2001
 

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Bestandsaufnahme der Türkischen Ingenieur- und Architektenkammer zum 1. Jahrestag des Mamara-Erdbebens

Zum ersten Jahrestag des Gölcük-Erdbebens veranstaltete die Istanbuler Architektenkammer in Yalova eine Diskussionsveranstaltung zur Analyse der Versäumnisse, die zum Ausmaß der Katastrophe beigetragen haben. Gegenstand der Podiumsdiskussion war außerdem, was im zurückliegenden Zeitraum unternommen wurde, um der Mängel Herr zu werden.

Wir möchten in Zusammenfassung Auszüge aus dem Vorwort der Dokumentation der Veranstaltung wiedergeben, weil hier in geraffter Form auf die wichtigsten Probleme der Erdbebensicherung aus der Sicht der Architektenkammer eingegangen wird.

Selbst bei der Planung noch Planlosigkeit

Einer der wichtigsten Gründe für die große Zahl von Hauseinstürzen und des Verlustes von Menschenleben ist die in den 50er Jahren begonnene planlose Verortung von Industrie und Stadtentwicklung. Der Mangel einer Regionalplanung und die Verleihung von Planungsautorität an die Stadtverwaltungen hat dazu geführt, daß nicht nur alle kulturellen und umweltschutzbezogenen Gesichtspunkte sondern auch der Verlauf der Nord-Anatolischen Bruchspalte völlig unberücksichtigt geblieben ist. Statt dessen wurden Planungsentscheidungen vor allem ab den 80er Jahren vor allem unter dem Gesichtspunkt maximalen Profits getroffen. Dieser Prozeß wurde durch die Zentralverwaltung in Ankara durch die Zuerkennung von besonderen Baurechten bei industriellen Bauprojekten sowie die Genehmigung der kommunalen Planentscheidungen gefördert und zur Herausbildung einer unkontrollierten und unqualifizierten Bebauung geführt.

Inkonsequente Baukontrolle

Eine andere Tatsache, die bei der Kontrolle der mit Baugenehmigung errichteten Betonbauten, ans Tageslicht kam, waren Rechtslücken und die Inkonsequenz der Bauüberwachung. Insbesondere in Adapazari zeigte sich bei den zur Seite gestürzten Bauten, daß die Baukontrolle durch mangelhaft qualifizierte und nicht mit der nötigen Zuständigkeit versehene Beamte erfolgt war. Die berechtigte Erwartung auf eine "Bestrafung der Verantwortlichen" ist erneut auf keine Resonanz gestoßen.

Risikoreiche Bauverfahren

Betonbauten können nur sicher errichtet werden, wenn qualifiziertes Personal die Planung und Kontrolle sachgerecht umsetzen. Aufgrund der Möglichkeit in betonbauweise mehrstöckige Gebäude errichten zu können, sind die Städte in verantwortungsloser Weise durch ungenehmigte Bauten nahezu besetzt worden.

Mängel in der Berufsausbildung

Obwohl die Türkei seit Jahrhunderten Erdbeben erlebt, wurde dem Thema "Erdbeben" in der Ausbildung von Ingenieuren und Architekten leider nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet. Erdbebenresistente Architektur und Konstruktionsplanung, Erdbebenschäden verringernde Bau- und Prüfverfahren kommen im Lehrprogramm der Universitäten nicht vor.

Der Bausektor hat einen großen Bedarf an Technikern und qualifizierten Kräften.

Das Bauingenieurwesen ist beinahe vollständig zu einer Planung von Betonbauten geworden. Für andere Bausysteme sind qualifizierte Bau-Ingenieure kaum zu finden.

Fehlende Koordination nach dem Erdbeben

Daß viele Menschen, die durch das Erdbeben verschüttet wurden, aufgrund unkoordinierter Hilfeleistungen starben, weil sie nicht rechtzeitig Hilfe erhielten, muß eingestanden werden. Aber auch die Versorgung mit Hilfsgütern verlief unkoordiniert. Insbesondere wurde es versäumt, die Erdbebenopfer in einer Weise zu organisieren, die sie nicht als dauernde Hilfeempfänger betrachtet, sondern sie als selbständige und tatkräftige Bürger betrachtet. Hier liegt einer der Gründe für die sozio-psychologischen Schäden und die Erosion gesellschaftlichen Verhaltens.

 

 

 

 

 

 

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