Jahrgang 2 Nr. 0 vom 4.08.2001
Dossier

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Zwei Jahre nach dem Marmara-Beben

Am 17. August, früh morgens erschütterte ein Erdbeben die Marmara-Region. Das Beben mit Stärke 7,4 forderte nach offiziellen Angaben 15.226 Tote und 23.982 Verletzte. Die Folgen des Bebens reichen jedoch weiter. Als Hauptursache für die hohe Zahl der Toten und die gravierenden Schäden werden Baumängel und fehlende Planung bzw. Unterlassungssünden bei der Bauaufsicht angeführt. Mangelnde Vorbereitung und Pannen beim Katastrophenschutz führten einerseits zu einem massiven Gesichtsverlust von Staat und traditionellen Organisationen, andererseits jedoch auch zu einem starken Aufwind für 'zivilgesellschaftliche' Organisationen.

Es wurde gesagt, daß nach diesem Erdbeben nichts mehr so seien könne, wie es zuvor gewesen war. Aber hat sich wirklich etwas geändert? Ist die Türkei, ist Istanbul heute besser auf ein Erdbeben vorbereitet als vor zwei Jahren? Die Meinungen gehen weit auseinander.

Die internationale Erdbebenhilfe ist ein weiteres wichtiges Kapitel. So führte das griechische Engagement zu einem wichtigen Klimawechsel in der Beziehung beider Länder. Auch der deutsche Hilfsbeitrag war groß - aber wie fällt nach zwei Jahren die Bilanz aus?

Ein Erdbeben dieser Stärke in einem dichtbesiedelten und wirtschaftlich zentralen Gebiet hat langfristige Auswirkungen. Nach wie vor sind nicht alle Schäden repariert, nicht alle zerstörten Häuser ersetzt. Tausende wohnen nach wie vor in provisorischen Unterkünften: Zelten und Wohncontainern. Berichte aus der Region zeigen, daß ein Ende des Leidens für die Erdbebenopfer bisher nicht abzusehen ist. Die seit November 2000 sich ablösenden Wirtschaftskrisen haben die Not verschärft: Arbeitslosigkeit und Inflation treffen insbesondere diejenigen, die ohnehin nichts haben. Allen voran die Erdbebenopfer.

Angesichts der nach wie vor vorhandenen Not wird in den Medien zunehmend Rechenschaft verlangt. So wird beispielsweise gefragt, was aus den Milliarden Dollar-Beträgen geworden ist, die die Türkei im Rahmen internationaler Erdbebenhilfe eingenommen hat. Oder was aus den Katrillionen TL geworden ist, die im Rahmen von Sondersteuern eingezogen wurden. Angesichts der bisher vorgelegten Zahlen, ist ein Teil der ausländischen Kredithilfen für den Wohnungsneubau bisher nicht ausgezahlt worden, weil die Bebauungspläne der Gemeinden bisher nicht fertig geworden sind. Außerdem sind von den eingenommenen Sondersteuern nach Angaben der Tageszeitung "Radikal" von mehr als 4 Katrillionen bisher lediglich 2 Katrillionen TL ausgegeben worden.

Rechenschaft wird jedoch auch von der Justiz verlangt. Auch zwei Jahre nach dem Erdbeben ist juristisch die Verantwortung für die Hohe Zahl von Toten und das Ausmaß der Sachschäden ungeklärt. In der Tat stellen sich hier gewichtige Fragen und eine gründliche rechtliche Bewertung braucht ihre Zeit. Wie die Tageszeitung "Zaman" jedoch meldet, ist der größte Teil der eingeleiteten Verfahren inzwischen wieder eingestellt worden. Ein Schuldspruch ist nach dieser Reportage in nicht einem Fall erfolgt.

Um den 17. November herum findet in Istanbul eine Aktionswoche statt. Auf zahlreichen Veranstaltungen wird Bilanz gezogen. Die Bilanz zeigt jedoch schon jetzt, daß es lange dauern wird, die Risiken durch Erdbeben zu verringern. Voraussetzung ist jedoch, daß überhaupt an den Ursachen angesetzt wird. Folgt man der Einschätzung der Istanbuler Architektenkammer, so liegen die Gefahren zwar auch "unter der Erde" - die wirkliche Gefahr entspringt jedoch aus Fehlplanungen, unkontrolliertes Anwachsen der Städte und unkontrollierten Gewinninteressen.

Professor Isikara, einer der renomiertesten Erdbebenspezialisten der Türkei, merkte einmal an, daß die Frage, wann und wie stark ein Erdbeben in der Marmara-Region sein werde, zwar spannend sei. Die wichtigste Frage sei jedoch, wie man sich auf ein Erdbeben vorbereiten könne. Denn es seien nicht die Erdbeben, die die Menschen töten, sondern falsches Verhalten und einstürzende Häuser.

 

 


6 Monate nach dem Beben von Gölcük (März 2000)


Warum bebt die Erde?


Erdbebenkarte


Interview mit Prof. Isikara vom Erdbeben-Observatorium der Bosporus-Universität (April 2000)

Mein Ziel ist eine Gesellschaft, die auf Erdbeben vorbereitet ist
Interview mit Prof. Isikara (August 2001)


"Es fällt schwer zu sagen, daß die Zeit gut genutzt worden ist ..." Gespräch mit dem Sekretär der Istanbuler Architektenkammer Bülend Tuna


Ursachenanalyse der Schäden durch das Marmara-Erdbeben durch die Architektenkammer Istanbul


Gespräch mit Pfarrer Gerhard Duncker über die Erdbebenhilfe der evangelischen Gemeinde Istanbul


100 Waisenkinder fanden ein Zuhause
Die Deutsch-Türkische Stiftung (DTS) hat in einjähriger Bauzeit ein neues Zuhause für 100 Waisenkinder in der Nähe der Stadt Gölcük errichtet.


Linksammlung


Wohnen im Erdbebengebiet


Kurze Bilanz der gerichtlichen Aufarbeitung


Aktionen zum Jahrestag des Marmara-Erdbebens

 

 

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